Für erstaunlich viele Theologen sind die Evangelien reine Glaubenszeugnisse und keine historischen Biografien. So sieht es zumindest die von dem protestantischen Theologen Rudolf Bultmann (1884-1976) begründete Schule der „historisch-kritischen Exegese“, dessen Thesen auch Katholiken übernommen haben. Danach darf es nichts Übernatürliches geben, hat sich Gott nie in der Geschichte offenbart. Jesus war ein apokalyptischer Wanderprediger, dessen Verkündigung im Judentum auf Widerstand stieß, der scheiterte und hingerichtet wurde. Seine Jünger wollten den Tod ihres Meisters nicht wahrhaben, bestanden darauf, dass er auferstanden sei und weiterleben würde. Jahrzehnte später hätten christliche Gemeinden das, was sie von Jesus noch wussten und glauben wollten, schriftlich fixiert – so seien die Evangelien entstanden.
Mittlerweile haben Geschichtswissenschaft, Archäologie und auch Papyrologie gezeigt, dass diese Überzeugungen wohl unhaltbar sind. In den Höhlen von Qumran am Toten Meer wurde womöglich ein Fragment des Markus-Evangeliums entdeckt, das demnach vor dem Jahr 50 entstanden wäre. Das wohl früheste Evangelium könnte also binnen zwei Jahrzehnten nach der Auferstehung Christi, als die Erinnerung an ihn noch lebendig war, verfasst worden sein.
Archäologische Ausgrabungen zeigen, wie präzise die Autoren der Evangelien das Heilige Land beschrieben; eine ganze Reihe von Details, die man zuvor für fiktiv hielt, konnte bestätigt werden. Das spricht dafür, dass die Texte auf Augenzeugenberichte zurückgehen, dass sie vertrauenswürdige historische Dokumente sind.