moin,
ich hab´da mal wieder - inspiriert vom user [MENTION=1427]Ei Tschi[/MENTION] - eine Frage:
was ist eigentlich so schwer an der Erkenntnis, dass die Chance auf anhaltendes, individuelles Wohlbefinden und damit dauerhaften Frieden NUR gelingen kann, wenn jeder Einzelne verstehen will und kann, was "Kompromiss" bedeutet?
Nämlich, dass es niemals um die "Durchsetzung eigener Interessen", sondern stets nur um die "Einbettung eigener Interessen in das Gesamtgefüge" gehen kann. Und insoweit IMMER Kompromisse gesucht werden müssen, die aber auch dann ECHTE Kompromisse sein müssen. Das heißt: "ein Kompromiss ist eben NICHT ein Ergebnis, wo beide Seiten NICHT ganz zufrieden sind, sondern das Wort "nicht" muss eben genau ebenfalls wegverhandelt werden. Ein Kompromiss hat letztlich doch nur dann Chance auf Dauerhaftigkeit, wenn beide Seiten ZUFRIEDEN sind.
Was ist so schwer daran, DAS zu begreifen?f
fragt
Dummi
Dass Problem ist nicht, dass die Menschen das Konzept eines gegenseitig vorteilhaften Kompromisses nicht verstehen.
Das Erreichen solcher Kompromisse, mit denen alle Seiten zufrieden sind, ist das große Problem und zwar auf allen Ebenen.
Beginnt man auf der individuellen Ebene, hat man das grundlegende Problem dass die Leistungsfähigkeit der Individuen hochgradig unterschiedlich ist, genauso wie die Bedürfnisse und die Persönlichkeiten. Dazu zählt auch deutlich mehr als Grundbedürfnisse (Lebensmittel, Wärme, Wöhnung...). Persönlichkeitseigenschaften, zum Beispiel die Ausprägung an Verträglichkeit spielen eine gewaltige Rolle in der Fähigkeit und dem Willen, Kompromisse einzugehen. Menschen mit niedriger Verträglichkeitswertung, sind mit ständiger Kompromissfindung langfristig sehr unzufrieden, deswegen ist es eine Eigenschaft, die kompetitive Menschen auszeichnet, die dann unter anderem um Managementpositionen konkurrieren. Der Grad an individueller Leistungsfähigkeit wird ebenfalls die Frage der Möglichkeit einer für alle Seiten positiven Kompromissfindung, gerade auf lange Sicht, sehr schwierig machen. Besonders leistungsfähige Menschen werden gerade in den Fragen der Ressourcenverteilung eine deutlich andere Bewertung dessen, was ein positiver Kompromiss sein soll, haben als weniger leistungsfähige.
Hier kommt, auf einer höheren Ebene (gesellschaftlich) aber auch individuell eine Problematik zum Vorschein, die man "Price's Law of productivity" nennt. Das ist eine Funktion, die grob beschreibt wie die Leistungsverteilung aller in einem Gebiet tätigen Personen, aussieht. 50% des Outputs werden dabei von der Quadratwurzel der Zahl tätiger Personen erwirtschaftet. Bedeutet also beispielsweise, wenn 100 Wissenschaftler in einem Feld publizieren (hier kommt Price ursprüngliche Beobachtung her), werden 50% aller Artikel von 10 Wissenschaftlern publiziert. Bei Tausend wären es knapp 32.... Dieses Gesetz scheint sich sehr breit anwenden zu lassen, von Nahrungsmittelproduktion bis hin zu Büchern und spricht damit das größte Problem der Kompromissfindung direkt an. Leistungsfähigkeit, erbrachte Leistung, Know How... sind nicht gleichmäßig oder linear verteilt, sondern sehr stark massiert auf einem kleinen Teil der Bevölkerung.
Das macht die Kompromissfindung ungleich schwerer.
Den reinen individuelle Vergleich einmal verlassend, kommem dann noch Ideologieunterschiede sehr gewichtig zum Tragen. Einen für beide Seiten positiven Kompromiss zwischen 2 oder mehr Ideologien zu finden, ist extrem schwierig.
Was wäre zum Beispiel der positive Kompromiss zwischen Anhängern der Ergebnisgerechtigkeit und der Chancengerechtigkeit? Oder noch viel problematischer zwischen den Anhängern eines islamischen Frauenbildes und eines europäisch emanzipierten?
Dann käme noch das Problem der shifting baselines hinzu. Grob ausgesagt bedeutet das: Die gesellschaftlichen Gegebenheiten in denen man aufwächst betrachtet man als normal. Je weiter man sich von der eigenen nukleoden Gesellschaft entfernt, desto größer werden hier die Unterschiede in den Baselines oder eben dem, was normal ist.
Ein weiteres Hindernis wäre das, was dir doch eigentlich direkt ins Auge stechen müsste. Die Einigung auf eine gemeinsame Faktenlage oder Realität. Nehmen wir den Klimawandel als Beispiel. Man müsste sich erstmal grundlegend darauf einigen, ob er stattfindet und zumindest grob, in welchem Tempo. Ansonsten ist eine Kompromissfindung defacto ausgeschlossen. Ein bisschen Klima retten, würde keine Seite akzeptieren.
Und alle diese Probleme bleiben bestehen, sind auchnoch vielfach miteinander verwoben. Das bleibt auch dann der Fall wenn man deine Prämisse des gegenseitig positiven Kompromisses annimmt, ohne Faktoren wie kurzfristige Verhandlungsvorteile oder ganz schlicht Macht (militärisch, wirtschaftlich, technologisch...), einzuberechnen.
Eine schöne, idealistische Idee, die an der Komplexität der Realität scheitern muss.