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Der preußische Regierungsagent Karl Marx

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Hellmann
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Im Streit zwischen den politischen Lagern spielte nun der in Paris seit Januar 1844 erscheinende „Vorwärts!“ eine wichtige Rolle, über dessen Hintergründe wir durch Mehring gleich gehörig aufgeklärt werden:

In Paris erschien seit Neujahr 1844, zweimal in der Woche, der »Vorwärts!«, der nicht eben den feinsten Ursprung hatte. Ein gewisser Heinrich Börnstein, der in Theater- und sonstigen Reklamegeschäften machte, hatte ihn für die Zwecke seines Geschäftsbetriebs gegründet, und zwar mit einem reichlichen Trinkgelde, das ihm der Komponist Meyerbeer gespendet hatte; man weiß ja aus Heine, wie sehr dieser königlich-preußische Generalmusikdirektor, der mit Vorliebe in Paris lebte, auf eine weitverzweigte Reklame versessen und auch wohl angewiesen war. Als geriebener Geschäftsmann hing Börnstein dem »Vorwärts!« aber ein patriotisches Mäntelchen um und ließ das Blatt von Adalbert von Bornstedt redigieren, einem ehemals preußischen Offizier und nunmehrigen Allerweltsspitzel, der sowohl »Konfident« Metternichs war als auch von der Berliner Regierung bezahlt wurde. In der Tat wurden die »Deutsch-Französischen Jahrbücher« sofort nach ihrem Erscheinen vom »Vorwärts!« mit einer Schimpfsalve begrüßt, von der schwer zu sagen ist, ob sie alberner oder pöbelhafter war.

Bei alledem aber wollte das Geschäft nicht glücken. Im Interesse einer fingerfertigen Übersetzungsfabrik, die Börnstein eingerichtet hatte, um neue Stücke der Pariser Bühne mit unglaublicher Fixigkeit an die deutschen Theaterdirektionen zu vertreiben, mußte er die jungdeutschen Dramatiker auszustechen suchen, und wieder, um diesen Zweck bei den nun einmal rebellisch gewordenen Spießern zu erreichen, mußte er einiges vom »gemäßigten Fortschritt« faseln und dem »Ultrawesen« nicht nur nach links, sondern auch nach rechts absagen. In derselben Notwendigkeit befand sich Bornstedt, wenn er die Flüchtlingskreise nicht kopfscheu machen wollte, in denen unverdächtig zu verkehren ja die Vorbedingung seines Sündensoldes war. Allein die preußische Regierung war so verblendet, daß sie ihre eigenen staatsretterischen Notwendigkeiten nicht begriff und den »Vorwärts!« in ihren Staaten verbot, worauf andere deutsche Regierungen das gleiche taten.

(Mehring, ebenda)

Man kann sicher annehmen, Mehring hat alles gewusst. Sobald es nicht direkt Marx betrifft, geht Mehring ohne Scheu und deutlichst zur Sache. Bei Marx pflegt er aber fast immer so tun, als wäre er von diesem „großen Revolutionär“ noch selber schwer beeindruckt gewesen.

An einigen Stellen müssen wir aber zwischen den Zeilen lesen, wie am Beispiel des oben zuletzt zitierten Satzes.

Allein die preußische Regierung war so verblendet, daß sie ihre eigenen staatsretterischen Notwendigkeiten nicht begriff und den »Vorwärts!« in ihren Staaten verbot, worauf andere deutsche Regierungen das gleiche taten.

Das Verbot des „Vorwärts!“ durch die preußische Regierung sollte nämlich eine wichtige Veränderung in Redaktion und Haltung des Blattes auslösen und ich kann nicht glauben, dass Mehring den Zusammenhang so schön dokumentiert, aber selber nicht begriffen habe. Die angeblich verblendete Entscheidung der preußischen Regierung führte zu folgenden Konsequenzen (wieder Mehring):

Bornstedt gab nun das Spiel im Anfang Mai als hoffnungslos auf, aber nicht so Börnstein. Er wollte seine Geschäfte machen, so oder so, und sagte sich mit der Kaltblütigkeit eines geriebenen Spekulanten, daß der »Vorwärts!«, wenn er nun einmal in Preußen verboten bleiben solle, auch alle Würze eines verbotenen Blattes erhalten müsse, so daß es dem preußischen Spießbürger lohne, ihn auf Schleichwegen zu beziehen. Es war ihm deshalb sehr willkommen, als ihm der jugendliche Heißsporn Bernays einen gepfefferten Artikel für den »Vorwärts!« anbot, und nach einigem Geplänkel erhielt Bernays die redaktionelle Leitung des Blatts an der Stelle Bornstedts. Nunmehr beteiligten sich auch andere Flüchtlinge am »Vorwärts!«, aus jeglichem Mangel an einem andern Organ, unabhängig von der Redaktion und jeder auf eigene Verantwortung.

Es kam natürlich wieder zu Streit zwischen Marx und Ruge, der angeblich durch Ruge veranlasst worden sei.

Unter den ersten befand sich Ruge. Auch er plänkelte erst unter seinem Namen mit Börnstein, wobei er sogar, als wäre er noch völlig einverstanden mit Marx, dessen Aufsätze in den »Deutsch-Französischen Jahrbüchern« er verteidigte. Ein paar Monate darauf veröffentlichte er zwei neue Artikel, ein paar kurze Bemerkungen über die preußische Politik und einen langen Klatschartikel über die preußische Dynastie, worin vom »trinkenden König« und der »hinkenden Königin«, von ihrer »rein spirituellen« Ehe usw. gesprochen wurde, beide aber nicht mehr unter seinem Namen, sondern mit der Unterschrift: Ein Preuße, was auf Marx als Verfasser hindeutete.
(Mehring, ebenda)

Was mich nicht überzeugt, denn Rheinländer sind keine Preußen und den auf Rügen geborenen Ruge nach einem seiner letzten Aufenthalte als Sachsen zu bezeichnen, ist an den Haaren herbei gezogen. Aber der nun von Marx folgende Angriff gegen Ruge im „Vorwärts!“ soll damit begründet sein.

In der Sache handelte es sich um den schlesischen Weberaufstand von 1844, den Ruge als eine gleichgültige Sache behandelt hatte; ihm habe die politische Seele gefehlt und ohne eine politische Seele sei eine soziale Revolution unmöglich. Was Marx dagegen einwandte, hatte er im Grunde schon im Aufsatze zur Judenfrage gesagt. Die politische Gewalt kann keine sozialen Übel heilen, weil der Staat nicht Zustände aufheben kann, deren Produkt er ist.

Was im letzten Satz so tief philosophisch daherkommt, ist ein für die praktischen Interessen der Arbeiter ganz heimtückische Fallgrube von Marx. Behauptet er damit doch allen Ernstes, dass der Staat zur Besserung der sozialen Zustände grundsätzlich nicht fähig wäre.

Das ist die Linie, auf der später Ferdinand Lassalle mit seinem „ehernen Lohngesetz“ dem Publikum einreden wird, dass Gewerkschaften zur Hebung der Löhne nicht imstande seien, weil die Löhne immer nach seinem „ehernen Lohngesetz“ um das Existenzminimum schwanken müssten.

Marx wandte sich scharf gegen den Utopismus, indem er sagte, daß sich der Sozialismus nicht ohne Revolution ausführen lasse, aber er wandte sich nicht minder scharf gegen den Blanquismus, indem er ausführte, daß der politische Verstand den sozialen Instinkt betrüge, wenn er durch kleine nutzlose Putsche vorwärts zu kommen suche. Mit epigrammatischer Schärfe erklärte Marx das Wesen der Revolution: »jede Revolution löst die alte Gesellschaft auf; insofern ist sie sozial. Jede Revolution stürzt die alte Gewalt; insofern ist sie politisch.« Die soziale Revolution mit einer politischen Seele, die Ruge verlange, sei sinnlos, dagegen vernünftig sei eine politische Revolution mit einer sozialen Seele.

Das bekannte Geschwalle, das letztlich nur die Leute spalten und jeden abwerten soll, der irgendwo etwas gegen die herrschenden Verhältnisse zu unternehmen beabsichtigt, jeweils zur Not pseudophilosophisch begründet.

Die allseitige Teilnahme für die Weber machte Marx gegen die Unterschätzung des Aufstandes durch Ruge geltend, »aber der geringe Widerstand der Bourgeoisie gegen soziale Tendenzen und Ideen« täuschte ihn nun doch nicht. Er sah voraus, daß die Arbeiterbewegung die politischen Antipathien und Gegensätze innerhalb der herrschenden Klassen ersticken und die ganze Feindschaft der Politik gegen sich lenken werde, sobald sie eine entschiedene Macht erlangt habe. Marx deckte den tiefsten Unterschied zwischen der bürgerlichen und der proletarischen Emanzipation auf, indem er jene als ein Produkt gesellschaftlichen Wohlbefindens, diese als ein Produkt gesellschaftlicher Not nachwies.
(Mehring, ebenda)

Hirnerweichend, aber Ruge ist Marx wichtiger als alle Weber.

Die Isolierung vom politischen Gemein-, vom Staatswesen sei die Ursache der bürgerlichen, die Isolierung vom menschlichen Wesen, vom wahren Gemeinwesen des Menschen, sei die Ursache der proletarischen Revolution. Wie die Isolierung von diesem Wesen unverhältnismäßig allseitiger, unerträglicher, fürchterlicher, widerspruchsvoller sei als die Isolierung vom politischen Gemeinwesen, so sei ihre Aufhebung, selbst als partielle Erscheinung wie in dem schlesischen Weberaufstande, um so viel unendlicher, wie der Mensch unendlicher sei als der Staatsbürger und das menschliche Leben als das politische Leben.

Wer so formuliert, ist der richtige Mann als großer Vordenker der politischen Organisation der Arbeiterklasse – für Regierung und Polizei im Kapitalismus. Wer noch nicht durch die herrschenden Verhältnisse um den Verstand gebracht wurde, wird es mit solchem hegelianischen Geschwurbel zuletzt doch noch.

In Auszügen:

Hieraus ergibt sich, daß Marx über diesen Aufstand ganz anders urteilte als Ruge

Im Anschluß daran erinnerte Marx an die genialen Schriften Weitlings


Womit wir bei den auf Ruge, Herwegh und Bakunin folgenden Opfern des frühen „Marxismus“ wären:

Die »anderthalb Handwerksburschen«, auf die Ruge verächtlich herabsah, während Marx sie eifrig studierte, waren im Bunde der Gerechten organisiert, der sich während der dreißiger Jahre im Anschluß an die französischen Geheimbünde entwickelt hatte und in deren letzte Niederlage im Jahre 1839 verwickelt worden war. Es war ihm insofern zum Heil gewesen, als sich seine versprengten Elemente nicht nur in dem alten Mittelpunkte Paris wieder gesammelt, sondern auch den Bund nach England und der Schweiz verbreitet hatten, wo ihm die Vereins- und Versammlungsfreiheit breiteren Spielraum bot, so daß diese Absenker sich kräftiger entwickelten als der alte Stamm. Die Pariser Organisation stand unter der Leitung des Danzigers Hermann Ewerbeck, der, wie er Cabets Utopie ins Deutsche übersetzte, auch noch in Cabets moralisierendem Utopismus befangen war. Ihm geistig überlegen erwies sich Weitling, der die Agitation in der Schweiz leitete, und mindestens an revolutionärer Entschlossenheit wurde Ewerbeck auch durch die Londoner Führer des Bundes übertroffen, den Uhrmacher Josef Moll, den Schuhmacher Heinrich Bauer und Karl Schapper, einen ehemaligen Studenten der Forstwissenschaft, der sich bald als Schriftsetzer, bald als Sprachlehrer durchs Leben schlug.
(Mehring, ebenda)

Die Genannten werden bald alle selbst den Hass des Karl Marx und seine Zerstörungswut gegenüber ihrer erfolgreichen Organisation zu spüren bekommen. Mit der Kritik an Hermann Ewerbeck in Paris ging es ja schon los, als Weitling von Marx noch über den grünen Klee gelobt wurde.
 
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Vorher musste aber noch einmal ein neuer Streit gegen Bruno Bauer geführt werden, der eine eigene Zeitung auf die Beine gebracht hatte.

Von dem »imponierenden Eindruck« dieser »drei wirklichen Männer« wird Marx zuerst durch Friedrich Engels gehört haben, der ihn im September 1844 bei einer Durchreise in Paris aufsuchte und zehn Tage mit ihm verkehrte. Sie fanden nun vollauf die weitgehende Übereinstimmung ihrer Gedanken bestätigt, die schon ihre Beiträge zu den »Deutsch-Französischen Jahrbüchern« verraten hatten. Gegen diese Auffassung hatte sich inzwischen ihr alter Freund Bruno Bauer in einer von ihm gegründeten »Literaturzeitung« gekehrt, und seine Kritik kam just während ihres Zusammenseins zu ihrer Kenntnis. Sie entschlossen sich kurzer Hand, ihm zu antworten, und Engels schrieb sofort nieder, was er zu sagen hatte. Marx aber ging nach seiner Weise tiefer auf die Sache ein, als ursprünglich beabsichtigt war, und stellte in angestrengter Arbeit während der nächsten Monate zwanzig Druckbogen her, mit deren Abschluß im Januar 1845 zugleich sein Aufenthalt in Paris abschloß.

Ein ganzes Buch noch einmal gegen den alten Freund Bruno Bauer; es war wohl nur der Hass auf ehemalige „Freunde“, der Marx so zum Schreiben motivieren konnte.

Oder wie Raddatz schreibt:

Marx war ablenkbar – durch Personen, durch vermeintliche Intrigen, durch Attacken. Und indem er denen begegnete, entwickelte er die eigenen Positionen; wenn er einen Gegner >aufs Korn nahm< präzisierte er sich.
Raddatz, S. 71

Der Vernichtung talentierter, erfolgreicher, von Marx getäuschter und betrogener ehemaliger „Freunde“ galt seine ganze Energie.

Friedrich Engels, ein anderer Charakter und beeindruckender Kopf, der hier aber nicht das Thema werden soll, hatte im „Vorwärts!“ vom 31. August 1844 seinen Artikel über „Die Lage Englands, Teil I“ veröffentlicht, der hier nachzulesen ist:

http://www.mlwerke.de/me/me01/me01_550.htm

Zwischen dem 18. September und dem 19. Oktober 1844 folgte auf sieben Ausgaben aufgeteilt „Die Lage Englands, Teil II“:

http://www.mlwerke.de/me/me01/me01_569.htm

Unter gleichem Titel hatte Engels schon in den Jahrbüchern eine Besprechung des Buches „Past and Present“ von Thomas Carlyle (1843) über die soziale Lage Englands veröffentlicht:

http://www.mlwerke.de/me/me01/me01_525.htm

Zum gleichen Thema hat Friedrich Engels dann 1845 in Leipzig sein Buch „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ publiziert.

http://www.mlwerke.de/me/me02/me02_225.htm

Durchaus lesenswert als Kontrast zu Marx.

Wir verdanken Friedrich Engels auch eine Schilderung der erfolgreichen Arbeit der Sozialisten in England und der breiten Diskussion kommunistischer Vorstellungen unter den Arbeitern:

Während die englische Hochkirche praßte, haben die Sozialisten für die Bildung der arbeitenden Klassen in England unglaublich viel getan; man kann sich anfänglich nicht genug wundern, wenn man die gemeinsten Arbeiter in der Hall of Science über den politischen, den religiösen und sozialen Zustand mit klarem Bewußtsein sprechen hört; aber wenn man die merkwürdigen Volksschriften aufspürt, wenn man die Lektürers der Sozialisten, z.B. den Watts in Manchester hört, so nimmt es einen nicht mehr wunder. Die Arbeiter besitzen gegenwärtig in sauberen wohlfeilen Ausgaben die Übersetzungen der französischen Philosophie des verflossenen Jahrhunderts, am meisten den »Contrat social« von Rousseau, das »Système de la Nature« und verschiedene Werke von Voltaire, außerdem in Pfennig- und Zweipfennigbroschüren und Journalen die Auseinandersetzung der kommunistischen Grundsätze; ebenso sind die Ausgaben von Thomas Paine und Shelleys Schriften zu billigem Preise in den Händen der Arbeiter. Dazu kommen noch die sonntäglichen Vorlesungen, welche sehr fleißig besucht werden; so sah ich bei meiner Anwesenheit in Manchester die Kommunisten-Hall, welche etwa 3.000 Menschen faßt, jeden Sonntag gedrängt voll und hörte da Reden, welche unmittelbare Wirkung haben, in welchen dem Volke auf den Leib geredet wird, auch Witze gegen die Geistlichen vorkommen.
http://www.mlwerke.de/me/me01/me01_468.htm

Das würde dann mit dem Marxismus bald der Vergangenheit angehören; statt klarem Bewusstsein der politischen Zusammenhänge und Verhältnisse die sinnlose Werttheorie und geschraubte Dialektik.

Wie kommt es, daß man diesen ganzen Kram duldet? Aber einmal haben die Kommunisten sich unter dem Whigministerium eine Parlamentsakte verschafft und sich überhaupt damals so festgesetzt, daß man ihnen jetzt als Korporation nichts mehr tun kann. Zweitens würde man den hervorragenden Einzelnen sehr gerne zu Leib gehen, aber man weiß, daß dies nur zum Vorteil der Sozialisten ausschlüge, indem es die öffentliche Aufmerksamkeit auf sie lenkt, wonach sie streben. Gäbe es Märtyrer für ihre Sache (und wie viele wären alle Augenblicke dazu bereit), so entstände Agitation; Agitation aber ist das Mittel, ihre Sache noch mehr zu verbreiten, während jetzt ein großer Teil des Volkes sie übersieht, indem es sie für eine Sekte wie eine andere hält; Gegenmaßregeln, wußten die Whigs sehr wohl, wirken kräftiger für eine Sache als Selbstagitation, daher gaben sie ihnen Existenz und eine Form; jede Form aber ist bindend. Die Tories schlagen hingegen etwa los, wenn die atheistischen Schriften zu arg ausfallen; aber jedesmal zum Nutzen der Kommunisten; im Dezember 1840 wurden Southwell und andere wegen Blasphemie gestraft; gleich erschienen drei neue Zeitschriften, eine »Der Atheist«, die andere »Der Atheist und der Republikaner«, die dritte, von dem Lektürer Watts herausgegeben: »Der Gotteslästerer«. Einige Nummern des »Gotteslästerers« haben großes Aufsehen erregt, und man studierte umsonst darauf, wie man diese Richtung unterdrücken könnte. Man ließ sie gehen, und siehe da, alle drei Blätter gingen wieder ein!

Drittens retten sich die Sozialisten wie alle die andern Parteien durch Gesetzumgehen und Wortklauben, was hier an der Tagesordnung ist.

So ist hier alles Leben und Zusammenhang, fester Boden und Tat, so nimmt hier alles äußere Gestalt an: während wir glauben etwas zu wissen, wenn wir die matte Elendigkeit des Steinschen Buches verschlucken, oder etwas zu sein, wenn wir da oder dort eine Meinung mit Rosenöl verduftet aussprechen.

In den Sozialisten sieht man recht deutlich die englische Energie; was mich aber mehr in Erstaunen setzte, war das gutmütige Wesen dieser, fast hätte ich gesagt Kerls, das aber so weit von Schwäche entfernt ist, daß sie über die bloßen Republikaner lachen, da die Republik ebenso heuchlerisch, ebenso theologisch, ebenso gesetzlich ungerecht sein würde als die Monarchie; für die soziale Reform aber wollen sie, samt Weib und Kindern, Gut und Blut einsetzen.

(Engels, ebenda)

Irgendwie scheint Engels nicht so ganz von Herzen begeistert vom Erfolg der Sozialisten und Kommunisten zu sein und bald würden die regen Aktivitäten der einfachen Arbeiter unter dem marxistischen Dogmengebäude mit seinen abstrusesten Thesen erstickt sein.

In der Zeitung „The New Moral World“ der von Robert Owen in England geführten politischen Bewegung hatte Friedrich Engels übrigens noch im November 1843 einen Artikel über die politischen Verhältnisse in Deutschland und der Schweiz veröffentlicht, dem wir in einem Absatz entnehmen können, wie die staatsgefährdende Entwicklung der Linkshegelianer und der ersten kommunistischen Vereine des Weitling hätte weitergehen können, wenn – ja wenn sie sich nicht unter dem maßgeblichen Einfluss von Karl Marx alle miteinander systematisch zerstritten hätten. Wo Engels im folgenden Text für seine englischen Leser von einer „Partei“ schreibt, ist natürlich der Freundeskreis der Junghegelianer um die genannten Köpfe gemeint.

Bereits im August 1842 verfochten einige wenige in der Partei die Ansicht, daß politische Veränderungen unzureichend seien, und erklärten, daß ihrer Meinung nach eine soziale Revolution auf der Grundlage des Gemeineigentums der einzige gesellschaftliche Zustand sei, der sich mit ihren abstrakten Grundsätzen vertrüge. Doch sogar die Führer der Partei, wie zum Beispiel Dr. Bruno Bauer, Dr. Feuerbach und Dr. Ruge, waren damals nicht zu diesem entschiedenen Schritt bereit. Das politische Organ der Partei, die »Rheinische Zeitung«, veröffentlichte einige Abhandlungen, die den Kommunismus vertraten, jedoch ohne den erwünschten Erfolg. Indessen war der Kommunismus eine so notwendige Konsequenz der neuhegelianischen Philosophie, daß keine Opposition ihn niederhalten konnte; und im Verlauf dieses Jahres hatten seine Begründer die Genugtuung, einen Republikaner nach dem anderen sich ihren Reihen anschließen zu sehen. Außer Dr. Heß, einem Redakteur der jetzt verbotenen »Rheinischen Zeitung«, der in der Tat der erste Kommunist in der Partei war, gibt es jetzt noch viele andere, wie Dr. Ruge, Herausgeber der »Deutschen Jahrbücher«, der wissenschaftlichen Zeitschrift der Junghegelianer, die durch Beschluß des deutschen Reichstages verboten wurde, Dr. Marx, ebenfalls ein Redakteur der »Rheinischen Zeitung«, Georg Herwegh, der Dichter, dessen Brief an den König von Preußen im vergangenen Winter von den meisten englischen Zeitungen übersetzt wurde, und andere mehr, und wir hoffen, daß der Rest der republikanischen Partei nach und nach auch zu uns übergehen wird.
http://www.mlwerke.de/me/me01/me01_480.htm

Nun endet die Zeit in Paris mit einer weiteren „Abrechnung mit Bruno Bauer“ (Raddatz, s. 71) für die Friedrich Engels dem Autor Marx zur Publikation die »Literarische Anstalt Frankfurt am Main« mit ihrem Verleger J. Rütten besorgt, der auch noch 1000 Franc Honorar für das unverkäufliche Machwerk hinlegt.

Georg Jung findet >das Aufzählen der Unwichtigkeiten entsetzlich ermüdend<; Ruge spricht von einer >gehässigen und gemeinen Brühe< und belustigt sich über den >Tropf Engels, dem Bruno Bauer vor wenigen Monaten noch das Orakel war<, das plötzlich verlegt sei, dafür die Bauers dumme Jungen geworden sind. Sogar der eigene Verleger schrieb aus Frankfurt (Ruge hatte seinem Schweizer Associé Fröbel verboten, Bücher von Marx weiter zu drucken), das Buch sei … vielmehr >ohne fesselndes Interesse<. Das >zu große Ding< … fand so gut wie keine Beachtung.
Raddatz, a.a.O. S. 72

Wer sich das Machwerk selber anschauen will, kann das unter diesem Link tun:

Karl Marx-Friedrich Engels
Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik
gegen Bruno Bauer und Konsorten


Geschrieben September bis November 1844.
Erstmals erschienen Ende Februar 1845.


http://www.mlwerke.de/me/me02/me02_003.htm

Den Friedrich Engels hat Marx gegen dessen Sträuben für seinen eineinhalb Druckbögen umfassenden Beitrag mit auf den Titel gesetzt.

Auch Mehring lässt in seinem Urteil keinen Zweifel:

Das ist ihrer ersten gemeinsamen Schrift nicht förderlich gewesen, der »Kritik der kritischen Kritik«, wie sie selbst sie tauften, oder der »Heiligen Familie«, dem Namen, den sie ihr nach einem Vorschlage des Verlegers gaben. Die Gegner spotteten sofort, sie renne offene Türen ein, und auch Engels meinte, als er das fertige Buch erhielt, das Ding sei ganz famos, aber bei alledem zu groß; die souveräne Verachtung, womit die kritische Kritik behandelt werde, stehe zu den zweiundzwanzig Bogen der Schrift im argen Gegensatze; das meiste werde dem größeren Publikum unverständlich sein und auch nicht allgemein interessieren.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_095.htm

Der französische Außenminister Guizot, der dem Heinrich Heine beträchtliche Summen zahlte, hatte gegen den „Vorwärts!“ nach einem anstößigen Artikel über das Attentat des Bürgermeisters Tschech auf Friedrich Wilhelm IV. einschreiten müssen. Der verantwortliche Redakteur Bernays wurde wegen einer versäumten Kautionsstellung und „Aufforderung zum Königsmord“ zu zwei Monaten Haft und 300 Franc Geldstrafe verurteilt.

Die preußische Regierung beharrte aber auf der Ausweisung der Redakteure und Mitarbeiter der Zeitung.

Nach längeren Verhandlungen ließ sich der französische Minister endlich breitschlagen: wie man damals annahm und wie Engels noch in seiner Grabrede auf Frau Marx betont hat, durch die unschöne Vermittlung Alexander von Humboldts, der mit dem preußischen Minister des Auswärtigen verschwägert war. Neuerdings ist Humboldts Andenken von dieser Beschuldigung zu entlasten versucht worden durch die Angabe, daß die preußischen Archive nichts darüber enthielten. Das ist aber kein Gegenbeweis, denn erstens sind die Akten über die traurige Affäre nur unvollständig erhalten, und zweitens werden solche Dinge nie schriftlich abgemacht. Was wirklich Neues aus den Archiven beigebracht worden ist, beweist vielmehr nur, daß sich ein entscheidender Akt hinter den Kulissen abgespielt hat. In Berlin war man am wütendsten auf Heine, der elf seiner schärfsten Satiren auf die preußische Wirtschaft und namentlich auch auf den König im »Vorwärts!« veröffentlicht hatte. Aber auf der andern Seite war Heine für Guizot der kitzlichste Punkt der kitzlichen Sache.
(Mehring, ebenda)

Was Mehring hier zu der Regel schreibt, dass „solche Dinge nie schriftlich abgemacht“ werden, gilt natürlich nicht nur für einen Schwager des preußischen Außenministers Alexander von Humboldt. Sondern selbstverständlich wird jeder Minister brauchbare Mitglieder seiner Familie für besonders delikate Angelegenheiten einspannen, gerade weil es darüber und die dazu fließenden Gelder später keine Unterlagen in den Archiven geben soll.

Heine blieb unbehelligt, dagegen erging gegen eine Reihe anderer deutscher Flüchtlinge, die für den »Vorwärts!« geschrieben hatten oder im Verdacht standen, es getan zu haben, am 11. Januar 1845 der Ausweisungsbefehl; unter ihnen Marx, Ruge, Bakunin, Börnstein und Bernays. Ein Teil von ihnen rettete sich: Börnstein, indem er sich verpflichtete, auf die Herausgabe des »Vorwärts!« zu verzichten, Ruge, indem er sich beim sächsischen Gesandten und bei französischen Deputierten die Stiefel ablief, um zu versichern, ein wie loyaler Staatsbürger er sei. Für dergleichen war Marx natürlich nicht zu haben; er siedelte nach Brüssel über.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_064.htm
 
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Brüssel und neuer Streit gegen alte Freunde


Einzig Marx war der französischen Ausweisungsordre gefolgt und ging nach Brüssel. Dabei hatte er offiziell mit dem Artikel, in dem der „Vorwärts!“ bedauert hatte, dass bei dem Attentat auf den preußischen König kein besserer Schütze war, nichts und außer einem namentlich gezeichneten Artikel und wenig beachteten anonymen Beiträgen überhaupt wenig mit dieser Zeitung zu tun gehabt.

Marx hat die Versammlungen von Handwerksburschen besucht und wird in einem Bericht an die preußische Geheimpolizei, den Raddatz zitiert, sogar an erster Stelle dieser gefährlichen Kommunisten genannt; ob Marx den Spitzelbericht selber verfasst hat?

Es ist ein wirklich bejammernswerter Zustand, … wenn man hier sieht, auf welche Weise einige Intriganten die armen deutschen Handwerker irreführen, nicht bloß die Arbeiter, sondern auch junge Kaufleute, Kommis usw. in den Kommunismus zu ziehen suchen. Alle Sonntage versammeln sich die deutschen Kommunisten vor der Barrière du Trone in einem Saal eines Weinhändlers auf der Chaussée, wenn man aus dem Tore kommt, rechts das zweite oder dritte Haus, Avenue de Vincennes.

Das klingt schon etwas komisch für einen professionellen Polizeispitzel, erst fast philosophische Betrachtungen anzustellen, den Namen des Weinhändlers nicht ermittelt zu haben, selbst wenn es keine Hausnummern gab und man sich streiten konnte, ob es sich bei den durcheinander oder ineinander gebauten Häusern um das zweite oder dritte Haus handelt, eine derartige Beschreibung der Lokalität an seine Auftraggeber zu senden.

Hier kommen oft 30, oft 100, 200 deutsche Kommunisten zusammen; sie haben den Saal gemietet. Es werden Reden gehalten, offen Königsmord, Abschaffung allen Besitzes, herunter mit den Reichen usw. gepredigt; dabei keine Religion mehr, kurz, der krasseste abscheulichste Unsinn.

Allein die Interpunktion - ein Polizeispitzel oder gar nur ein besorgter einfacher Bürger, dessen Schreiben an die Polizei so in die Geheimakten kommt, der seine Sätze auch mal mit „;“ trennt, ist gelinde gesagt: sehr ungewöhnlich – wenn uns nicht Auguste Cornu, aus dessen Buch „Karl Marx und Friedrich Engels“ der Text von Raddatz zitiert wurde, hiermit einen Bären aufgebunden hat.

Ganz dreist kommt es aber zuletzt.

Ich könnte junge Deutsche nennen, die von achtbaren Eltern dort Sonntags hingeführt und verdorben werden. Die Polizei muß wissen, daß so viele Deutsche sich dort jeden Sonntag versammeln; sie weiß aber vielleicht nicht, welches der politische Zweck ist. Ich schreibe Ihnen dies in aller Eile, damit die Marx, Hess, Herwegh, A. Weil, Börnstein nicht fortfahren, also junge Leute ins Unglück zu stürzen.
(zitiert nach Raddatz, a.a.O. S. 76)

Das erinnert an den ehemals von Marx geschriebenen Artikel, in dem Marx allein für das Verbot der „Rheinischen Zeitung“ verantwortlich gemacht wurde.

Jedenfalls sei also ein Polizeikommissar in Paris bei Marx mit dem Ausweisungsbefehl erschienen, nach dem der Paris binnen 24 Stunden zu verlassen hatte, während seine Frau Jenny noch Zeit hatte, die Möbel und Wäsche zu verkaufen.

In Brüssel wird gleich ein Haus gemietet, im Mai zieht die Familie Marx schon in ein noch besseres. Geld ist genug vorhanden:

Jung schickt aus Köln 750 Franc (schon in der Pariser Zeit hatte Marx über 4000 Franc aus Köln bekommen). Bis auf die 1500 Franc von Leske, Vorschuß für ein Buch, das nie geschrieben wurde, verdiente Marx in den drei Brüsseler Jahren, in denen die Familie auf sieben Köpfe anwachsen sollte, keinen Centime eigenes Geld. Der erste Brief an Engels, der überhaupt erhalten ist, fleht um Unterstützung…
(Raddatz, S. 79)

Anscheinend floss also genug Geld, man bemüht dafür nur nicht mehr „Freunde“ in Köln oder geschäftswidrig mit Geld um sich werfende Verleger wie diesen Leske, der ungeschriebene Bücher eines völlig unbekannten Autors mit Höchsthonoraren finanziert. In Zukunft wird meist Engels als Geldgeber genannt, der verglichen mit Marx selber aber eher sparsam lebte und ein merkwürdiges Verständnis für die Verschwendungssucht seines Freundes gehabt haben müsste.

Anfang April 1845 war auch Engels nach Brüssel übersiedelt und beide treten zuerst einmal eine größere Reise nach England an.

Im Frühjahr 1845 kam auch Engels nach Brüssel, und die Freunde machten eine gemeinsame Studienreise nach England, die sich auf sechs Wochen ausdehnte. Auf ihr gewann Marx, der schon in Paris begonnen hatte, sich mit MacCulloch und Ricardo zu beschäftigen, tiefere Einblicke in die ökonomische Literatur des Inselreichs, wenn er nur auch erst »die in Manchester aufzutreibenden Bücher« einsehen konnte, neben den Auszügen und Schriften, die Engels besaß. Engels, der schon bei seinem ersten Aufenthalt in England sowohl für die »New Moral World«, das Organ Owens, wie für den »Northern Star«, das Organ der Chartisten, gearbeitet hatte, frischte die alten Beziehungen auf, und so wurden auch von beiden Freunden neue Verbindungen angeknüpft, mit den Chartisten sowohl wie mit den Sozialisten.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_116.htm

Es würde hier zu weit führen, die britische Industrie- und Handelspolitik im Zusammenhang mit dem deutsch-britischen Textilunternehmen der Familie Engels zu erörtern.

Allerdings zum tieferen Verständnis kurz wenige Sätze zu dem berüchtigten Ökonomen Jean Baptiste Say, von dem das bekannte Saysche Theorem stammt, wonach es keine Absatzkrisen geben könne, was anlässlich geldpolitisch verursachter Wirtschaftskrisen immer wieder gern dem Publikum versichert wird:

Die Vorfahren Says waren Hugenotten aus Nîmes und mussten nach Genf fliehen, von wo sie in der Mitte des 18. Jahrhunderts nach Lyon zurückkehrten. Jean-Baptistes Vater war im Textilgewerbe tätig. Die Erziehung der Kinder (Jean-Baptiste hatte mehrere Geschwister) erfolgte im Sinn der Aufklärung...

Nachdem Say im elterlichen Geschäft erste berufliche Erfahrungen sammeln konnte, ging er gemeinsam mit seinem Bruder Horace im Jahr 1785 nach England. Die beiden erlebten dort die industrielle Revolution, die bei Say einen nachhaltigen Eindruck hinterließ. Nicht zuletzt war es ihm durch die erworbenen Englischkenntnisse später auch möglich das Werk Wohlstand der Nationen (1776) von Adam Smith zu lesen.
Trotz Vorliebe für die Literatur, nahm Say nach der Rückkehr nach Frankreich eine Stelle bei einer Versicherung an. Im Jahr 1789 veröffentlichte er Texte über die Pressefreiheit.

http://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Baptiste_Say

Die Hugenotten haben Frankreich gehasst und waren in Preußen und England genau darum gern geduldet, viele dürften politisch in Frankreich für die Interessen Englands tätig gewesen sein, wie gerade unser Say. Das Textilgewerbe war eine britische Spezialität, fast wie das „Enlightenment“ und wir finden beides gern zusammen bei den einschlägigen Leuten.
Say wurde zeitweise von Mirabeau beschäftigt und war Anhänger der französischen Revolution…

Nach einer Anstellung als Chefredakteur wurde er 1799 zum Mitglied des Tribunats im Finanzausschuss im Konsulat Napoléons ernannt.

Während die Wissenschaft zunächst Nebentätigkeit war, wurde Say durch Erscheinen des Traité d’économie politique (1803) auch über Frankreich hinaus berühmt. Es enthielt auch erstmals das berühmte Saysche Theorem. Mit seiner marktliberalen Position stand Say fortan in Opposition zu Napoléon, der aus kriegspolitischen Gründen den Handel einschränkte. Say verlor 1806 sein Amt als Tribun und wurde Opfer der Zensur.

Say ging nach Auchy les Hesdin (Pas-de-Calais), um sich eine Baumwollfabrik aufzubauen. Er beschäftigte mehrere hundert Mitarbeiter.

(ebenda)

Er soll die modernsten Maschinen aus England gehabt und die Armee Napoleons beliefert haben, was viele Kontakte und Informationen einbringt, für welche die Briten wieder Verwendung hatten.

Das erklärt vielleicht etwas, warum der Sohn eines erfolgreichen englisch-preußischen Textilfabrikanten ein Jahr vor dem Abitur vom Vater aus dem Gymnasium genommen wird und noch vor jeder politischen Idee für verschiedene Zeitungen zu schreiben beginnt, wie das „Stuttgarter Morgenblatt für gebildete Leser“, die „Augsburger Allgemeinen Zeitung“ und den „Telegraph“, um daraufhin ganz zielstrebig in politische Kreise einzudringen, in England wie in Deutschland. Im Normalfall haben Textilfabrikanten und deren Söhne für sowas keine Zeit, wenn es die „Geschäftsbeziehungen“ nach England nicht fordern.
 
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Im Anschluss an die Reise nach England sollte es wieder einigen ehemaligen Freunden mit einem weiteren Buch an den Kragen gehen. Es geriet noch länger und trotz der Mitarbeit des Friedrich Engels noch ungenießbarer. Der Verlag in Westfalen hat es gar nicht erst in den Druck gehen lassen.

Nach dieser Reise machten sie sich zunächst wieder an eine gemeinsame Arbeit. »Wir beschlossen«, wie Marx später lakonisch genug gesagt hat, »den Gegensatz unsrer Ansicht gegen die ideologische der deutschen Philosophie gemeinschaftlich auszuarbeiten, in der Tat mit unserm ehemaligen philosophischen Gewissen abzurechnen. Der Vorsatz ward ausgeführt in der Form einer Kritik der nachhegelschen Philosophie. Das Manuskript, zwei starke Oktavbände, war längst an seinem Verlagsort in Westfalen angelangt, als wir die Nachricht erhielten, daß veränderte Umstände den Druck nicht erlaubten. Wir überließen das Manuskript der nagenden Kritik der Mäuse um so williger, als wir unsern Hauptzweck erreicht hatten - Selbstverständigung.«
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_116.htm

Mehring hat sich, weil das Werk so eindeutig missraten war, in seiner Kritik einmal kaum gezügelt:

War ihre gründliche und selbst allzu gründliche Abrechnung mit den Bauers schon eine harte Nuß für die Leser, so, wären diese zwei starken Bände von zusammen fünfzig Druckbogen noch eine viel härtere Nuß für sie gewesen. Der Titel des Werkes lautete »Die deutsche Ideologie, Kritik der neuesten deutschen Philosophie in ihren Repräsentanten Feuerbach, B. Bauer und Stirner, und des deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten«. Engels hat später aus der Erinnerung gesagt, die Kritik Stirners allein sei nicht weniger umfangreich gewesen als das Buch Stirners selbst, und die Proben, die inzwischen davon veröffentlicht worden sind, lassen diese Erinnerung als durchaus glaubhaft erscheinen. Es ist eine noch weitläufigere Überpolemik, als schon die »Heilige Familie« in ihren dürrsten Kapiteln aufzeigt, dafür sind die Oasen in der Wüste viel spärlicher gesäet, wenn sie auch keineswegs völlig fehlen. Und wo immer sich dialektische Schärfe zeigt, artet sie alsbald in Haarspaltereien und Wortklaubereien mitunter recht kleinlicher Art aus.

eine Redewendung totzuhetzen, der Rede des Gegners durch buchstäbliche oder mißverständliche Deutung einen möglichst törichten Sinn unterzustellen, die Neigung zum Gesteigerten und Grenzenlosen im Ausdruck

http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_116.htm

Wer das so entstandene und erst vom Marx-Engels-Lenin-Institut, Moskau, 1932 veröffentlichte Werk selber beurteilen möchte:

Karl Marx

Die deutsche Ideologie

Kritik der neuesten deutschen Philosophie
in ihren Repräsentanten
Feuerbach, B. Bauer und Stirner
und des deutschen Sozialismus
in seinen verschiedenen Propheten


Geschrieben 1845-1846.


http://www.ml-werke.de/marxengels/me03_009.htm

Den Feuerbach hat man übrigens zur gleichen Zeit noch nach Brüssel locken wollen:

In seiner kecken Art hatte Engels schon von Barmen aus an Feuerbach geschrieben, um ihn für den Kommunismus zu werben. Feuerbach hatte freundlich, aber - wenigstens vorläufig - ablehnend geantwortet. Womöglich wolle er im Sommer an den Rhein kommen und dann wollte Engels ihm schon »beibringen«, daß er auch nach Brüssel müsse. Einstweilen schickte er Hermann Kriege, einen Schüler Feuerbachs, als »famosen Agitator« an Marx.
(Mehring, ebenda)

Nach Feuerbach, Bauer und Stirner sollte auch der ehemalige Gefährte und Sozialist Karl Grün im II. Band der „Deutschen Ideologie“ sein Fett abbekommen.

Der zweite Teil des geplanten Werks sollte sich mit dem deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten befassen, die »gesamte fade und geschmacklose Literatur des deutschen Sozialismus« kritisch auflösen.

Es waren damit Männer wie Moses Heß, Karl Grün, Otto Lüning, Hermann Püttmann und andere gemeint, die sich eine ganz ansehnliche, namentlich auch an Zeitschriften reiche Literatur geschaffen hatten: den »Gesellschaftsspiegel«, der vom Sommer 1845 bis zum Sommer 1846 als Monatsschrift erschien, dann die »Rheinischen Jahrbücher« und das »Deutsche Bürgerbuch«, von denen 1845 und 1846 je zwei Jahrgänge herauskamen, weiter »Das Westphälische Dampfboot«, eine Monatsschrift, die auch im Jahre 1845 begann, aber ihr Leben bis in die deutsche Revolution erstreckte, endlich einzelne Tagesblätter wie die »Trier'sche Zeitung«.

(Mehring, ebenda)

Wir erleben hier immer wieder das gleiche Phänomen, dass die beiden Figuren sich in die Kreise eindrängen und bald für Streit sorgen, natürlich immer unter dem Vorwand, die falschen Anschauungen der (ehemaligen) Freunde und Mitstreiter korrigieren und widerlegen zu müssen. Mit dem Ergebnis, dass all diese Unternehmungen sehr "kurzlebig" waren, wie es der Franz Mehring nennt:

Engels gab mit Moses Heß gemeinsam den »Gesellschaftsspiegel« heraus, in den auch Marx einen Beitrag stiftete. Mit Heß haben beide in der Brüsseler Zeit mannigfach zusammengearbeitet, und es hatte fast den Anschein, als habe er sich ganz in ihre Anschauungen eingelebt. Für die »Rheinischen Jahrbücher« hat Marx wiederholt um Heines Mitarbeit geworben, und wenn nicht von ihm, so hat diese Zeitschrift, ebenso wie das »Deutsche Bürgerbuch«, die beide von Püttmann herausgegeben wurden, Aufsätze von Engels veröffentlicht.
Im »Westphälischen Dampfboot« haben Marx wie Engels mitgearbeitet; Marx hat hier das einzige Stück aus dem zweiten Teile der »Deutschen Ideologie« veröffentlicht, das bisher ans Tageslicht gekommen ist: eine gründlich scharfe Kritik einer feuilletonistischen Schrift, die Karl Grün über die soziale Bewegung in Frankreich und Belgien veröffentlicht hatte.

(Mehring, ebenda)

So schaut das eigentlich immer aus, wenn Regierungsagenten eine oppositionelle Bewegung zersetzen. Die haben Geld, die haben Zeit, die sind immer zur Stelle bei jeder Zeitschrift und jedem sonstigen Vorhaben und bald gibt es Streit, wird von denen mal der Eine, dann der Andere angegriffen, abwechselnd in den verschiedenen Zeitschriften und Gruppierungen, bis alles auseinanderfällt.

In ihrem pädagogischen Bemühen um den »wahren« Sozialismus haben es Engels und Marx weder an Nachsicht noch an Strenge fehlen lassen. Im »Gesellschaftsspiegel« von 1845 hat Engels als Mitherausgeber dem guten Heß noch manches durchgehen lassen, was ihm selbst sehr gegen den Strich laufen mußte; im »Deutschen Bürgerbuch« von 1846 aber machte er den »wahren« Sozialisten doch schon die Hölle heiß… Die Rücksicht auf das Proletariat und die Massen bestimmte in erster Reihe die Stellung, die Marx und Engels zu dem »wahren« Sozialismus genommen haben. Wenn sie von all seinen Vertretern Karl Grün am heftigsten bekämpften, so nicht nur weil er in der Tat die meisten Blößen bot, sondern auch, weil er, in Paris lebend, unter den dortigen Arbeitern heillose Verwirrung anrichtete und auf Proudhon einen verhängnisvollen Einfluß gewann. Und wenn sie im »Kommunistischen Manifest« mit äußerster Schärfe und selbst mit deutlicher Anspielung auf ihren bisherigen Freund Heß vom »wahren« Sozialismus abrückten, so aus dem Grunde, weil sie damit eine praktische Agitation des internationalen Proletariats einleiteten.

Der Franz Mehring muß sich natürlich besonders dämlich stellen und Marx und Engels hier verteidigen, obwohl sie ganz offensichtlich mit System und Routine als Spalter und Saboteure und Streithansl in der politischen Szene unterwegs waren.

Die immer einmal wieder in diesem Zusammenhang erwähnten, im gleichen Jahr 1845 verfassten „Thesen über Feuerbach“ sind das schon bei anderen Gelegenheiten strapazierte hegelsche Geschwurbel; um nur die erste „These“ zu zitieren:

Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus (den Feuerbachschen mit eingerechnet) ist, daß der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit, nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung gefaßt wird; nicht aber als sinnlich menschliche Tätigkeit, Praxis; nicht subjektiv. Daher die tätige Seite abstrakt im Gegensatz zu dem Materialismus von dem Idealismus - der natürlich die wirkliche, sinnliche Tätigkeit als solche nicht kennt - entwickelt.

Feuerbach will sinnliche - von den Gedankenobjekten wirklich unterschiedene Objekte: aber er faßt die menschliche Tätigkeit selbst nicht als gegenständliche Tätigkeit. Er betrachtet daher im "Wesen des Christenthums" nur das theoretische Verhalten als das echt menschliche, während die Praxis nur in ihrer schmutzig-jüdischen Erscheinungsform gefaßt und fixiert wird. Er begreift daher nicht die Bedeutung der "revolutionären", "der praktisch-kritischen" Tätigkeit.

http://www.ml-werke.de/marxengels/me03_005.htm

Leider hat Marx es dann doch nicht verstanden, seine Leser über die genaue Bedeutung der praktisch-kritischen Tätigkeit in der Dialektik des Verhältnisses von Subjekt und Objekt an sich und für sich in der subjektiven Praxis aufzuklären, um einmal zu zeigen, wie beliebig man derartigen Unsinn weiter zu spinnen vermag.

Das sind also die beiden Leuchten, an die geschäftstüchtige Verleger ihr Geld verschwendet haben sollten, in ihrer ganzen sinnlich-menschlichen Tätigkeit in der Form leerer Worte und aufbauschenden Geschwafels. Vielleicht fehlte den beiden ja auch ganz subjektiv jede persönliche Erfahrung mit der menschlich-sinnlichen Tätigkeit der wirklichen Arbeit in der Praxis.

Andererseits ist es unübersehbar, wie wirkungsvoll Marx und Engels mit ihren ausgeklügelten dogmatischen Streitereien die oppositionellen Gruppierungen und Freundeskreise verwirrt und lahmgelegt und auseinandergetrieben, den vielfältigen regierungskritischen Publikationen ein jähes Ende bereitet haben. Etwas dem Vergleichbares war durch die üblichen Maßnahmen von Zensur und Polizeiapparat nicht zu erreichen.
 
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Der Bruch mit Weitling und Proudhon


Die Bedeutung der Handwerksgesellen für die Entstehung und Verbreitung der ersten sozialistischen Ideen hängt mit der alten Tradition der Wanderjahre zusammen.

Seit dem Spätmittelalter war die Zeit der Wanderschaft für deutsche Handwerker eine wichtige Voraussetzung für die spätere Meisterprüfung. Die Gesellen lernten bei ihren abwechselnden Meistern die verschiedenen Techniken ihres Handwerks und dessen unterschiedliche Traditionen in den verschiedenen Ländern, da auch der Aufenthalt im Ausland ein wichtiger Teil der Wanderzeit und der damit verbundenen Kenntnisse von fremden Ländern und allgemeiner Lebenserfahrung war.

Auf der Walz kamen die Gesellen in Kontakt mit politischen Emigranten, deren Ideen über die Wandergesellen wieder zurück nach Deutschland neue Anhänger fanden. Dem kam noch der Umstand zugute, dass die Gesellen überall organisiert waren, so dass die Neuankömmlinge durch die bereits länger Anwesenden Hilfen und Informationen bekamen und dabei eine gewisse Tradition schon bestand, sich insgeheim zu organisieren und auch Informationen auszutauschen, von denen etwa die Meister nichts erfahren sollten; der beste Nährboden für die frühen sozialistischen Ideen und erste sozialistische Geheimbünde.

Wilhelm Weitling(1808-1871) war ein Schneidergeselle auf der Walz und schloß sich 1836 in Paris dem „Bund der Geächteten“ an. Diese 1834 entstandene frühsozialistische Organisation hatte ihren Namen daher, dass der 1832 von deutschen Emigranten und Handwerkern gegründete „Deutsche Volksverein“ 1834 in Frankreich verboten wurde. Der Bund mit etwa 500 Mitgliedern forderte soziale und politische Befreiung:

„Befreiung Deutschlands vom Joch schimpflicher Knechtschaft und Begründung eines Zustandes, der, soviel als menschliche Voraussicht vermag, den Rückfall in Knechtschaft verhindert. Die Erreichung dieses Hauptzweckes ist nur möglich bei Begründung und Erhaltung der sozialen und politischen Gleichheit, Freiheit, Bürgertugend und Volkseinheit, zunächst in den der deutschen Sprache und Sitte angehörenden Landesgebieten, sodann aber auch bei allen übrigen Völkern des Erdbodens"
http://de.wikipedia.org/wiki/Bund_der_Geächteten

Unter dem Einfluss von Wilhelm Weitling spalteten sich 1836 etwa 400 Mitglieder in einen neuen „Bund der Gerechten“ ab, der weniger konspirativ, dafür stärker programmatisch und agitatorisch ausgerichtet war.

Mit seiner stark an christlichen Gerechtigkeitsvorstellungen orientierten Schrift „Die Menschheit wie sie ist und wie sie sein sollte“ wurde Wilhelm Weitling der weithin bekannte und gerühmte Wortführer dieser Organisation.

Online hier nachzulesen: http://www.marxists.org/deutsch/referenz/weitling/1838/mensch/index.htm

Wegen seiner Beteiligung an dem von Auguste Blanqui 1839 geführten Aufstand gegen den „Bürgerkönig“ – „Roi Bourgeois“, also „König der Bourgeoisie“ trifft seinen bekannten Spruch „Enrichissez-vous“ eher - Louis-Philippe, der erst 1848 gestürzt wurde, musste 1839 die Zentrale des Bundes nach London verlegt werden.

Weitling vertrat im Gegensatz zur Genossenschaftsbewegung und den Franzosen Saint-Simon und Fourier einen eher klassenkämpferischen Standpunkt, nach dem die Interessen der Arbeiter und des Bürgertums unvereinbar seien und die politische Aufklärung der Arbeiter die Basis für die Durchsetzung ihrer Interessen sein würde.

Das klingt nach Marx und Engels, aber eben nicht nach weltfremd sinnlosen und hirnerweichend endlosen Theoriegeschwülsten wie „Dialektischer Materialismus“ und „Wertformanalyse“, womit die politische Aufklärung der Arbeiter wirkungsvoll sabotiert werden konnte.

Drei Jahre als Agitator und Organisator in der Schweiz waren die erfolgreichste Zeit Weitlings, bis mit dem Jahr 1844 die Repressionen gegen ihn und seinen Arbeiterbund einsetzen.

Die Ankündigung seiner nächsten Schrift brachte Weitling dann nicht nur die Verfolgung durch die Zürcher Polizei und die Verurteilung zu fast einem Jahr Gefängnis im ersten Kommunistenprozeß der Geschichte ein – sie fand und findet auch fast durchgängig die Mißbilligung der marxistischen Historiker. Die nehmen ihm übel, daß er unter dem Titel "Das Evangelium der armen Sünder" ans religiöse Gefühl appellierte und die Bibel kommunistisch interpretierte. Sie entdecken darin ein Abgleiten in den Irrationalismus, einen Wirklichkeitsverlust, der sich in den folgenden Jahren verstärkte. Manche Historiker sehen in Weitling gar einen Fall für die Psychiatrie. Als er aus dem Gefängnis entlassen wurde, war jedenfalls nichts mehr mit ihm anzufangen, und das war im wesentlichen seine Schuld – so, pointiert formuliert, das immer noch vorherrschende Bild.
Tatsächlich dürfte Weitling nach seiner Haftentlassung zunächst Schwierigkeiten gehabt haben, mit der veränderten Situation zurechtzukommen. Zwar wurde er auf einem Meeting in London am 22. September 1844 als "Führer der deutschen Kommunisten" herzlich begrüßt. Doch die Diskussionen, die er bald darauf im Londoner Arbeiterbildungsverein führte, zeigten, daß seine Führungsrolle längst nicht mehr so unangefochten war, wie noch zwei Jahre zuvor…

http://www.hamarsiske.de/Artikel/Weitling-soz.html

Wir werden gleich an einigen Aussagen Weitlings zeigen, wie klar seine Sicht der Dinge im Gegensatz zu allen marxistischen Verleumdungen war.

Dass die Arbeiterbewegung an die sozialen Vorstellungen von Gerechtigkeit und Menschenliebe der Heiligen Schriften anknüpft, musste das Besitzbürgertum wirklich fürchten, wie das Vorgehen gegen Weitling in der Schweiz beweist. Der marxistische Materialismus, der den Menschen als eine verbesserte Art von Maschine auffassen will, war dem Volk kaum zu vermitteln. Das Besitzbürgertum kannte genau die Leute, die ihm und seinen Interessen gefährlich werden konnten:

Weitling und Proudhon waren in den Tiefen der Arbeiterklasse geboren, gesunde und kräftige Naturen, reich begabt und von den Umständen so begünstigt, daß es ihnen wohl möglich gewesen wäre, zu jenen seltenen Ausnahmen zu gehören, von denen sich die Spießbürgerweisheit nährt, daß jedem Talent der arbeitenden Klasse der Aufstieg in die Reihen der besitzenden Klasse eröffnet sei. Beide haben diesen Weg verschmäht und freiwillig die Armut erwählt, um für ihre Klassen- und Leidensgenossen zu kämpfen.
Stattliche Männer, voll markiger Kraft, wie geschaffen für jeden Genuß des Lebens, legten sie sich die härtesten Entbehrungen auf, um ihren Zielen zu folgen. »Ein schmales Nachtlager, oft zu dreien im engen Zimmer, ein Stück Brett als Schreibtisch und mitunter eine Tasse schwarzen Kaffees« - so lebte Weitling, als sein Name bereits die Großen der Erde schreckte, und ähnlich hauste Proudhon, als sein Name schon europäischen Ruf hatte, »gekleidet in ein gestricktes wollenes Wams und an den Füßen die klappernden Holzschuhe«, in seinem Pariser Kämmerchen.

http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_116.htm

Die warteten auch vergebens auf hohe „Spenden“ freigiebiger Freunde und hohe Verlegervorschüsse, obwohl sie im Gegensatz zu Marx die bevorschussten Bücher dann wohl abgeliefert hätten. Solche Männer waren eine klar erkannte Gefahr.

Gemeinsam war ihnen vor allem ihr Ruhm und ihr Verhängnis. Sie waren die ersten modernen Proletarier, die den historischen Beweis des Geistes und der Kraft lieferten, den historischen Beweis, daß die moderne Arbeiterklasse sich selbst befreien könne, die zuerst den fehlerhaften Kreis zerbrachen, worin sich Arbeiterbewegung und Sozialismus bewegten. Insoweit haben sie Epoche gemacht, insoweit ist ihr Schaffen und Wirken vorbildlich gewesen, hat es befruchtend auf die Entstehung des wissenschaftlichen Sozialismus gewirkt. Niemand hat die Anfänge Weitlings und Proudhons mit reicherem Lobe überschüttet als Marx.(Mehring, ebenda)

Anfangs 1846 hatten Marx und Engels das „Kommunistische Korrespondenz-Komitee“ in Brüssel, London und Paris gegründet, mit dem sie Verbindung zum „Bund der Gerechten“ und dessen Wortführern wie Weitling und Schapper aufnehmen konnten.

Das Brüsseler Komitee bildete gewissermaßen die Zentrale der Korrespondenz-Komitees, in ihm waren zum Beispiel Karl Marx, Wilhelm Wolff und Joseph Weydemeyer tätig. Zwischen Mai und Juni 1846 entstand ein weiteres Komitee in London, gebildet unter anderem von Joseph Maximilian Moll und Karl Schapper. Im August 1846 begab sich Engels nach Paris und bildete dort das Pariser Komitee, um im Auftrag des Brüsseler Komitees die Vorstellungen der Komitees unter dem „Bund der Gerechten“ zu verbreiten.

Auf den Londoner Konferenzen 1847, auf der sich der „Bund der Kommunisten“ formierte, für den Marx später das „Kommunistische Manifest“ verfasste, waren alle Komitees anwesend, für Paris Engels und für Brüssel Wolff.
http://de.wikipedia.org/wiki/Kommunistisches_Korrespondenz-Komitee

Kaum gegründet, dient das sogenannte Korrespondenz-Komitee von Marx und Engels gleich dem wichtigsten Ziel der Spaltung der Bewegung:

Ende März 1846 üben Marx und Engels in einer Sitzung des Brüsseler Komitees Kritik am „wahren Sozialismus“ Karl Grüns und am „Handwerks-Kommunismus“ von Wilhelm Weitling, der an der Sitzung teilnimmt, und mit dem es daraufhin zum Bruch kommt. Ebenso distanziert sich Moses Hess von ihnen, neben Marx und Engels ein Mitautor der Schrift „Die deutsche Ideologie“.
(wiki, ebenda)

Ein Brief von Weitling an Moses Hess vom 31. März 1844 dokumentiert den Ablauf der Sitzung und die Hintergründe und kann im Internet (wenn auch in englischer Übersetzung, Link folgt unten) nachgelesen werden.

Franz Mehring muß die Ereignisse hier gewaltig entstellen:

Seine Übersiedelung nach Brüssel war immerhin das Gescheiteste, was er tun konnte, denn wenn er geistig noch zu retten war, so war Marx der Mann, ihn zu heilen. Daß Marx ihn in gastlichster Weise willkommen geheißen hat, ist nicht nur von Engels bezeugt, sondern auch von Weitling selbst anerkannt worden. Aber eine geistige Verständigung erwies sich als unmöglich; in einer Versammlung Brüsseler Kommunisten, die am 30. März 1846 stattfand, stießen Marx und Weitling heftig aufeinander; daß Marx von Weitling aufs empfindlichste gereizt worden war, berichtet Weitling selbst in einem Brief an Heß.
(Mehring, ebenda)

Tatsache war, dass Marx den Wilhelm Weitling, dessen Schriften er ja gut genug kannte und bisher zur Täuschung und Umgarnung Weitlings und dessen Anhängerschaft zuhöchst gelobt hatte, jetzt mit einem Beschluss zur „richtigen“ Propaganda kommunistischer Vorstellungen gegen seine eigenen Positionen einschwören wollte.

Ich zitiere hier mal aus der englischen Übersetzung (Weitling an Hess):

1. An examination must be made of the Communist party.

2. This can be achieved by criticizing the incompetent and separating them from the sources of money.

3. This examination is now the most important thing that can be done in the interest of communism.

4. He who has the power to carry authority with the moneyed men also has the means to displace the others and would probably apply it.

5. “Handicraft communism” and “philosophical communism” must be opposed, human feeling must be derided, these are merely obfuscations. No oral propaganda, no provision for secret propaganda, in general the word propaganda not to be used in the future.

6. The realization of communism in the near future is out of the question; the bourgeoisie must first be at the helm.

7. Marx and Engels argued vehemently against me.
Weydemeyer spoke quietly. Gigot and Edgar did not say a word. Heilberg opposed Marx from an impartial viewpoint, at the very end Seiler did the same, bitterly but with admirable calm. I became vehement, Marx surpassed me, particularly at the end when everything was in an uproar, he jumping up and down in his office. Marx was especially furious at my resume. I had said: The only thing that came out of our discussion was he who finds the money may write what he pleases....

That Marx and Engels will vehemently criticize my principles is now certain. Whether or not I will be able to defend myself as I would like to do, I don’t know. Without money Marx cannot criticize and I cannot defend myself; nevertheless, in an emergency it may not matter that I have no money.

http://marx.org/archive/marx/works/1847/communist-league/1846let1.htm

Auf der Sitzung waren außer Marx und Engels noch dessen Schwager Edgar, der Bruder der Jenny Marx, anwesend, Pavel Annenkov, ein schweigsamer Russe, Joseph Weydemeyer, dessen gutmütige Unterstützung für die Publikation und Finanzierung des oben schon besprochenen, missratenen Werkes von Marx und Engels ihm bald besonders von Engels mit bösen Bemerkungen gedankt wurde, und drei weitere Personen, von denen einer, Sebastian Seiler, anscheinend von Marx und Engels vorgeschoben worden war, um die Streitfrage dieses Abends auf den Tisch zu bringen.

Wenn man den Brief Weitlings liest, kann man über seine klare Sicht der Machenschaften von Marx und Engels nur staunen angesichts seiner schwierigen persönlichen Lage – er war nämlich finanziell auf Zuwendungen von Marx selber angewiesen und es ging ja eben darum, dass eine Absage an jeglichen „Handwerkerkommunismus“ die Bedingung weiterer finanzieller Unterstützung sein sollte, was aber eben dieser Sebastian Seiler vorbringen musste.

Außerdem wurde die Unterstützung der Bourgeoisie gefordert, weil eine Revolution durch das Proletariat derzeit noch nicht zu erwarten sei.

Weitling war nicht bereit, seine Überzeugungen für Geld zu verraten:

In Marx’s brain, I see nothing more than a good encyclopaedia, but no genius. His influence is felt through other personalities. Rich men made him editor, voila tout. Indeed, rich men who make sacrifices have a right to see or have investigations made into what they want to support.
(ebenda)


Kurz darauf sollte Weitling von Marx und Konsorten dazu gebracht werden, ein „Zirkular“ gegen Hermann Kriege zu unterschreiben, der einst von Engels an Marx empfohlen worden war, als der sich vergebens um Feuerbach bemüht hatte, dem ja nur dieselben Fallen gestellt werden sollten.

… Einstweilen schickte er Hermann Kriege, einen Schüler Feuerbachs, als »famosen Agitator« an Marx.
(Mehring, ebenda)

Dieser „famose Agitator“ war inzwischen in den USA aktiv geworden und man wollte ihm die Möglichkeit nehmen, sich dort auf Gesinnungsfreunde in Europa zu berufen, man wollte ihn also diskreditieren.

Mehring stellt diese neuerliche Sauerei von Marx und Engels gegen einen ehemaligen Mitstreiter, in die man Wilhelm Weitling hinein zu ziehen beabsichtigte, als einen von Weitling betriebenen Bruch dar:

Wenige Tage darauf trieb es Weitling aber zum unheilbaren Bruch. Die amerikanische Propaganda Krieges hatte nicht die Hoffnungen erfüllt, die auch von Marx und Engels auf sie gesetzt worden waren. Der »Volks-Tribun«, eine Wochenschrift, die Kriege in New York herausgab, trieb in kindisch-pomphafter Weise eine phantastische Gefühlsschwärmerei, die mit kommunistischen Grundsätzen nichts zu tun hatte und die Arbeiter im höchsten Grade demoralisieren mußte. Noch schlimmer war, daß Kriege in grotesken Bettelbriefen von amerikanischen Millionären einige Dollars für sein Blatt zu schnappen suchte. Dabei gebärdete er sich als literarischer Vertreter des deutschen Kommunismus in Amerika, so daß für dessen wirkliche Vertreter aller Anlaß vorlag, gegen diese kompromittierende Gemeinschaft zu protestieren.

Einen solchen Protest unter eingehender Begründung in einem Rundschreiben an ihre Gesinnungsgenossen zu erheben und zunächst an Krieges Blatt zur Veröffentlichung einzusenden, beschlossen am 16. Mai Marx, Engels und ihre Freunde. Einzig und allein Weitling schloß sich aus unter nichtssagenden Vorwänden: »Der Volks-Tribun« sei ein kommunistisches Organ, das den amerikanischen Verhältnissen vollkommen entspreche; die kommunistische Partei habe in Europa so mächtige und zahlreiche Feinde, daß sie ihre Waffen nicht nach Amerika zu richten brauche, und am wenigsten gegen sich selbst. Daran ließ sich Weitling aber nicht genügen, sondern richtete noch einen Brief an Kriege, um ihn vor den Protestierenden als »ausgefeimte Intriganten« zu warnen. »Im Kopfe der ungeheuren geldbeschwerten Ligue von vielleicht zwölf oder zwanzig Mann spukt nichts als Kampf gegen mich Reaktionär. Ich kriege zuerst den Kopf heruntergeschlagen, dann die andern und zuletzt ihre Freunde und ganz zuletzt schneiden sie sich selbst den Hals ab ... Und diesem Treiben öffnen sich jetzt ungeheure Summen, für mich aber kein Verleger. Ich stehe von dieser Seite ganz allein mit Heß, aber Heß ist wie ich in die Acht erklärt.« Nunmehr gab auch Heß den verblendeten Mann auf.

Kriege druckte den Protest der Brüsseler Kommunisten ab, der danach auch von Weydemeyer im »Westphälischen Dampfboot« wiedergegeben wurde, fügte aber den Brief Weitlings oder doch dessen ärgste Stellen als Gegengift bei und veranlaßte die Sozialreform-Assoziation, eine deutsche Arbeiterorganisation, die seine Wochenschrift zu ihrem Organ erkoren hatte, Weitling als Redakteur zu berufen und ihm das nötige Reisegeld zu senden. So verschwand Weitling aus Europa.

(Mehring, ebenda)

Dass Hess den angeblich „verblendeten Mann“ aufgegeben habe, muß nicht viel besagen, weil Moses Hess von Marx gleich weiter bekämpft wurde, aber vielleicht eine Verständigung auf Kosten des in die USA emigrierten Weitling erhofft hatte.

Nach einem von Raddatz zitierten Bericht des oben erwähnten schweigsamen Russen Pavel Annenkow gab es im Hause der Familie Marx noch eine weitere Sitzung mit Angriffen auf Weitling:

Engels hatte seine Rede noch nicht beendet, als Marx den Kopf hob und sich direkt an Weitling mit der Frage wandte: >Sagen Sie uns doch, Weitling, der Sie mit Ihren kommunistischen Predigten in Deutschland so viel Lärm gemacht und der Sie so viele Arbeiter gewonnen haben, die dadurch Arbeit und Brot verloren, mit welchen Gründen rechtfertigen Sie ihre revolutionäre und soziale Tätigkeit, und worauf denken Sie dieselbe in Zukunft zu gründen?< Ich erinnere mich sehr genau an eben diese Form der schroffen Frage, weil mit ihr in dem kleinen Kreise eine heftige Diskussion begann, die übrigens, wie sich gleich zeigen wird, nicht lange andauerte…
...
Röte stieg in den bleichen Wangen Weitlings auf, und seine Sprache wurde lebhaft und frei. Mit vor Erregung zitternder Stimme begann er zu beweisen…daß er, Weitling, sich den heutigen Angriffen gegenüber mit der Erinnerung an jene Hunderte von Briefen und Erklärungen der Dankbarkeit tröste, die er aus allen Teilen seines Vaterlandes erhalten habe, und daß vielleicht seine bescheidene Vorbereitungsarbeit wichtiger für die gemeinsame Sache sei als die Kritik und die Kabinettsanalysen von Lehren, die von der leidenden Welt und den Drangsalen des Volkes weit entfernt seien. Bei den letzten Worten schlug Marx, nun vollends wütend geworden, mit der Faust so heftig auf den Tisch, daß die Lampe darauf klirrte und ins Schwanken geriet, und aufspringend rief er >Niemals noch hat die Unwissenheit jemandem genützt!<

Raddatz, a.a.O. S. 96/97
 
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Nach dem gleichen Schema musste gleich noch der ebenfalls wie Weitling berühmte und gefährliche Pierre Joseph Proudhon bekämpft werden, der daran aber auch selber die Schuld hatte, wie uns Mehring versichert.

In denselben Maitagen bahnte sich auch der Bruch zwischen Marx und Proudhon an. Um dem Mangel eines eigenen Organs zu steuern, halfen sich Marx und seine Freunde mit gedruckten oder lithographierten Rundschreiben wie im Falle Krieges; daneben aber bemühten sie sich, ständige Korrespondenzverbindungen zwischen den Hauptorten herzustellen, wo Kommunisten saßen. Solche Korrespondenzbüros gab es in Brüssel und in London, und auch in Paris sollte eins eingerichtet werden. Marx hatte an Proudhon geschrieben und um dessen Beteiligung ersucht. Proudhon sagte zwar zu, in einem aus Lyon vom 17. Mai 1846 datierten Briefe, wenn er auch weder oft noch viel zu schreiben versprechen konnte. Aber er benutzte zugleich die Gelegenheit, eine große Moralpauke an Marx zu richten, die diesem die Kluft offenbaren mußte, die sich zwischen beiden aufgetan hatte.

Proudhon bekannte sich jetzt zu einem fast absoluten »Anti-Dogmatismus« in ökonomischen Fragen. Marx solle nicht in den Widerspruch seines Landsmanns Martin Luther fallen, der nach dem Umsturz der katholischen Theologie sich sogleich unter großem Aufwand von Anathemen und Exkommunikationen darangemacht habe, eine protestantische Theologie zu gründen. »Schaffen wir dem menschlichen Geschlechte nicht neue Arbeit durch neuen Wirrwarr, geben wir der Welt das Beispiel einer weisen und weitsichtigen Duldung, spielen wir uns nicht als die Apostel einer neuen Religion auf, und sei es selbst die Religion der Logik und der Vernunft.« Proudhon wollte also, ganz ähnlich wie die »wahren« Sozialisten, die gemütliche Konfusion erhalten, deren Beseitigung für Marx die erste Vorbedingung einer kommunistischen Propaganda war
.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_116.htm

Da hatte also der guten Marx mit seiner „Wertformanalyse“ noch gar nicht begonnen, als Leute wie Proudhon schon den Braten rochen und vor unsinnigem Dogmatismus und theoretischem Wirrwarr in den Reihen der Sozialisten warnten, was Mehring auf das Schärfste verurteilte.

Jedenfalls waren die Umstände für die marxistische Kontraagitation so schwierig geworden, dass Friedrich Engels im August 1844 selber nach Paris umsiedeln musste, um für die „richtigen Informationen“ zu sorgen, wie Mehring meint:

Das Treiben Grüns mußte um so schlimmeren Argwohn erwecken, und es hing damit zusammen, wenn auch noch andere Beweggründe dazukamen, daß sich Engels im August 1846 entschloß, zeitweise nach Paris zu übersiedeln und die Berichterstattung aus dieser Stadt zu übernehmen, die für die kommunistische Propaganda immer noch der wichtigste Ort war. Über den Bruch mit Weitling, über die westfälische Verlagsgeschichte und was sonst noch diesen oder jenen Staub aufgewirbelt haben mochte, mußten die Pariser Kommunisten unterrichtet werden, zumal da sie an Ewerbeck keinen festen Halt hatten und noch viel weniger an Bernays.

Anfangs lauteten die Berichte, die Engels teils an das Brüsseler Korrespondenzbüro, teils an Marx persönlich erstattete, noch ganz hoffnungsvoll, aber nach und nach ergab sich doch, daß Grün die Sache gründlich »versaut« hatte. Und als Proudhons im Herbst erscheinende Schrift in der Tat nur den Weg in die Sümpfe verfolgte, die sein Brief bereits angedeutet hatte, so ließ Marx die Geißel darauf fallen, gemäß dem Wunsche Proudhons, aber ohne daß dieser sein Versprechen einer Revanche anders eingelöst hätte als durch einige grobe Schimpfworte.

(Mehring, ebenda)

Bei der „westfälischen Verlagsgeschichte“ hatten sich die zuerst von Weydemeyer zur Zahlung von Vorschüssen an Marx bequatschten zwei mit kommunistischen Vorstellungen sympathisierenden Kapitalisten schließlich geweigert, die Marxschen Streitereien noch länger zu finanzieren.

Davon unbeeindruckt wird Karl Marx sein nächstes großes Buch gegen Proudhon und dessen Ideen schreiben und man kann es hier lesen:

Karl Marx

Das Elend der Philosophie
Antwort auf Proudhons "Philosophie des Elends"


Deutsch von E. Bernstein und K. Kautsky
Mit Vorwort und Noten
von
Friedrich Engels


http://www.ml-werke.de/marxengels/me04_063.htm

Es wurde von Dezember 1844 bis April 1847 geschrieben, dann allerdings erst 1885 erstmalig veröffentlicht. Es hätte Proudhon aber auch schon vorher nicht groß schaden können. Man kann das ja selber leicht beurteilen.

Pierre Joseph Proudhon stammte aus armen Verhältnissen und war einer der ersten Anarchisten.

Er war Sohn eines Küfers und einer Küchenmagd und arbeitete bis zu seinem zwölften Geburtstag als Ochsenhirt. Durch ein Stipendium wurde ihm der Schulbesuch ermöglicht, er musste diesen aufgrund Geldmangels aber trotzdem frühzeitig beenden. Er erlernte den Beruf des Schriftsetzers und bildete sich als Autodidakt weiter. Als er nach Paris ging, wurde er zum Verfasser vieler Schriften auf den Gebieten des Sozialismus und der Politischen Ökonomie, wobei er u.a. mit Karl Grün, Arnold Ruge und dem Sohn von Fichte und in Paris mit den Mitgliedern der Sociéte´d'Économie Politique (Sekretär: Garnier) verkehrte. Sein späterer Verleger Guillaumin hatte 1841 die Zeitschrift Journal des Économistes gegründet.
http://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Joseph_Proudhon

Sein „Eigentum ist Diebstahl“ wurde zum geflügelten Wort.

Qu'est ce que la propriété? Ou recherches sur le principe du droit et du gouvernement (1840)

In dieser Schrift zieht Proudhon den Schluss: Eigentum ist Diebstahl (gemeint ist Privateigentum als Privileg oder Monopol, im Sinn von: „Solange Eigentum Privilegien birgt, solange bedeutet privilegiertes - also erpresserisches - Eigentum Diebstahl“). Man dürfe außer den persönlichen Arbeitsmitteln lediglich diejenigen Güter besitzen, die man durch eigene oder kollektive Arbeit hergestellt oder im Tausch dafür erworben hat. Ausbeutung der Arbeitskraft anderer gehöre unterbunden, um die daraus resultierende Kapitalanhäufung und Machtkonzentration zu verhindern. Die Gesellschaft soll sich auf dem freiwilligen Zusammenschluss dezentral organisierter, überschaubarer Einheiten („fédéralisme“), also einem herrschaftsfreien System ('Anarchie'), ohne Staat und Kirche, gründen.

Proudhon war einer der ersten, den Begriff Anarchie positiv zu wenden. „Anarchie“ definiert Proudhon ausgehend von der ursprünglichen Bedeutung des Wortes als „Abwesenheit jedes Herrschers, jedes Souveräns“; „das ist die Regierungsform, der wir uns täglich mehr nähern (…) wie der Mensch die Gerechtigkeit in der Gleichheit sucht, so sucht die Gesellschaft die Ordnung in der Anarchie.“

(ebenda)

Konnten Marx und Engels der Wirkung von Proudhon zu dessen Lebzeiten noch wenig anhaben, so gelang es doch den späteren Marxisten, das geistige Erbe der frühen Sozialisten und Anarchisten zu unterdrücken und zu verdrängen.
 
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Der Bund der Kommunisten


Nachdem mit Wilhelm Weitling der führende Kopf und Ideengeber des Handwerker-Kommunismus ausgeschaltet und in die USA vertrieben werden konnte, war das nächste Ziel von Marx und Engels, die gesamte Organisation dieser Handwerker unter ihre Kontrolle zu bringen, also den einst von Weitling gegründeten Bund der Gerechten zu übernehmen.
Den historischen Darstellungen heute sieht man die wirklichen Vorgänge kaum mehr an; man muss es schon zwischen den Zeilen lesen und sich denken können.

Der Bund der Kommunisten war eine 1847 in London unter wesentlichem Einfluss von Karl Marx und Friedrich Engels als Geheimbund gegründete revolutionär-sozialistische Vereinigung mit internationalem Anspruch…

Der zuvor existierende Bund der Gerechten war bereits 1836 in Paris auf Initiative des nach Frankreich emigrierten Schneidergesellen Wilhelm Weitling aus dem seit 1834 bestehenden Geheimbund Bund der Geächteten hervorgegangen. Unter Weitlings Führung hatte der bis dahin eher von kleinbürgerlichen Intellektuellen geprägte Bund eine frühe revolutionär-sozialistische und proletarische Ausrichtung erhalten.

Die Umbenennung des Bundes der Gerechten in Bund der Kommunisten war das Ergebnis zweier Kongresse im Jahr 1847, bei denen die im selben Jahr dem Bund beigetretenen Karl Marx und Friedrich Engels zusammen mit Wilhelm Wolff ihre Erkenntnisse einbrachten, und damit eine inhaltliche Neuausrichtung des Bundes einleiteten.

http://de.wikipedia.org/wiki/Bund_der_Kommunisten

Jedenfalls kamen die beiden Intriganten Marx und Engels durch die Unterwanderung und Übernahme von Weitlings Handwerkerorganisation plötzlich zu so etwas wie einer politischen Basis unter den Arbeitern.

Die meisten der etwa 500 Mitglieder des Bundes der Kommunisten waren aus den deutschen Staaten emigrierte beziehungsweise wegen ihrer politischen Haltung ausgewiesene Handwerkergesellen, die sich aufgrund der repressiven politischen Verhältnisse während der Zeit der Restauration zwischen 1815 und 1848 ins Ausland abgesetzt hatten. Die in den deutschen Fürstentümern verbliebenen oder zurückgekehrten Bundesmitglieder versuchten, verschiedene regionale Arbeitervereine aufzubauen.
(wiki, ebenda)

Ganz so einfach hat sich die Übernahme und Umfirmierung des über die Jahre schon traditionsreichen und bekannten Handwerkerbundes mit der Verdrängung volksnaher und pragmatischer Agitation für sozialistische Ideen durch hegelsche Dogmatik und ökonomische Hirnweberei um die Arbeitswerttheorie allerdings nicht abgespielt.

Die Maßnahmen gegen Weitling und Kriege hatten 1846 in London das Misstrauen geweckt:

Das Londoner „Kommunistische Korrespondenzbüro“, das sich unter Schappers und Molls Leitung aus dem „Bund der Gerechten“ entwickelt hatte, beargwöhnte, „daß Ihr [im] Sinne hättet, eine Art Gelehrten-Aristokratie zu gründen und das Volk von Eurem neuen Göttersitz herab zu regieren“. Und einen Monat später heißt es noch energischer: „…Ihr Brüsseler Proletarier besitzt diese verdammte Gelehrten-Arroganz noch in einem hohen Grade; das zeigt Euer Auftreten gegen Kriege…“

Engels warnte vor einem offiziellen Bruch mit den Londonern, weil ihre eigene winzige Gruppe kaum den Kampf gegen diese mehrere hundert Mann aufnehmen könnte, die in der deutschen Presse als keineswegs ohnmächtige kommunistische Gesellschaft notiert würde.

Raddatz, a.a.O. S. 98

Raddatz entblödet sich natürlich nicht, gleich darauf folgend die „politische Begabung“ von Marx zu rühmen, mit der dieser nun die endgültige Übernahme des Bundes betreibt.

Dessen Londoner Mitglieder ahnten zudem nicht, womit sie es hier zu tun haben, sondern halten den Marx und seinen Engels für überdrehte Gelehrte, von deren Weltfremdheit dann ja nicht viel zu fürchten wäre, statt für zielgerichtet operierende feindliche Agenten, die ihren Bund aufrollen sollen.

Die Darstellung von Raddatz ist in einem weiteren wichtigen Punkt irreführend: das Korrespondenzbüro in London hatte sich natürlich nicht aus dem „Bund der Gerechten“ in London „entwickelt“, sondern war wie das gleichnamige Korrespondenzbüro in Brüssel und der weitere Ableger in Paris von Marx und Konsorten gegründet worden, um den „Bund der Gerechten“ damit ein- und zuletzt abzuwickeln.

Marx gebrauchte für sein Vorhaben nicht nur seine „politische Begabung“, sondern auch einige Mitstreiter, ohne die das nicht geklappt hätte.

Der Karl Schapper in London war kein Handwerker, sondern ein schon am Frankfurter Wachensturm beteiligter Burschenschaftler, der später bei Guiseppe Mazzinis Savoyenfeldzug mitgemacht hatte und ebenso bei Mazzinis Gruppe des „Jungen Deutschland“. Auf Mazzini werden wir später noch eingehender kommen, wenn es um die Agitation des Marx gegen den Lord Palmerston und seinen Agentenführer Mazzini geht.

Vermutlich hatte Karl Schapper in London auch für die Probleme gesorgt, die den nach seiner Haftzeit in der Schweiz nach London gekommenen Weitling nach Brüssel in die Arme von Marx getrieben hatten. Bis auf eine kurze Ausnahme blieb Karl Schapper dem Karl Marx ein treuer Gehilfe:

Schapper zeigte sich vom Scheitern der Revolution massiv enttäuscht und zog sich wieder nach London zurück. Hier verdingte er sich beinahe mittellos als Sprachlehrer und zerstritt sich aufgrund unterschiedlicher Ansichten mit Karl Marx. Nach einer Versöhnung im Jahre 1856 arbeitete Schapper im Londoner Arbeiterbildungsverein und wurde 1865 zum 1. Generalrat der Zentrale der ersten Sozialistischen Internationale gewählt.
http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Schapper_(Arbeiterführer)

Der von Raddatz als Leiter des Londoner Korrespondenzbüros genannte Joseph Maximilian Moll war auch ein zuverlässiger Mitstreiter von Marx.

Nach dem Abschluss einer Uhrmacherlehre wanderte Moll durch verschiedene europäische Staaten. Auf diesen Reisen traf er auf zahlreiche deutsche Arbeitervereine. So trat er 1834 dem in der Schweiz beheimateten Geheimbund Junges Deutschland bei. 1836 wurde er in Paris Mitglied des Bundes der Gerechten, bevor er 1839 nach England ging, wo er 1840 zu den Gründungsmitgliedern des Deutschen Arbeiterbildungsvereins gehörte. 1846 wurde er dann zum Mitglied der Zentralbehörde des Bundes der Gerechten und 1847 wählte man ihn in London in die zentrale Leitung des Bundes der Kommunisten.

Wie zahlreiche andere Mitstreiter kehrte Moll in den Revolutionswirren der Jahre 1848 und 1849 nach Deutschland zurück. In Köln wirkte er 1848 als Nachfolger von Andreas Gottschalk als Präsident des Kölner Arbeiterverein und trieb die marxistische Ausrichtung des Vereins voran.

http://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Maximilian_Moll

Der „Geheimbund Junges Deutschland“ war die oben erwähnte Organisation des Mazzini, der auch Schapper angehört hatte. Die Übernahme des „Kölner Arbeitervereins“ des Kölner Armenarztes Andreas Gottschalk nach dessen Verhaftung durch Schapper und Moll und im Oktober 1848 durch Karl Marx selbst wird später noch behandelt. Moll fiel im Juni 1849 im Badisch-Pfälzischen Aufstand.

In Brüssel hatte Marx ab Januar 1847 noch die „Deutsche-Brüsseler-Zeitung“ zu seiner Verfügung.

Das Blatt wurde seit Beginn des Jahres zweimal wöchentlich von jenem Adalbert von Bornstedt herausgegeben, der ehedem den »Vorwärts!« Börnsteins redigiert und im Solde der österreichischen wie preußischen Regierung gestanden hatte. Diese Tatsache ist heute aus den Berliner wie Wiener Archiven bekannt geworden und kann keinem Zweifel unterliegen; es fragt sich höchstens, ob Bornstedt sein Spitzeln noch in Brüssel fortgesetzt hat.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_116.htm

Franz Mehring erledigt seine Aufgabe wirklich mit Humor. Wenn Adelbert von Bornstedt kein Regierungsagent mehr gewesen wäre, wovon sollte er dann die "Deutsche-Brüsseler-Zeitung" finanziert haben? Wenn ich die Marx-Biographie so lese, dann hat der Autor Mehring uns zwischen den Zeilen alle nötigen Informationen geliefert, jedoch selber in seinen Kommentaren immer den Einfältigsten aller Esel geheuchelt.

Verdacht hat damals auch gegen ihn bestanden, aber er wurde niedergeschlagen durch die Denunziationen, mit denen die preußische Gesandtschaft in Brüssel das Blatt Bornstedts bei den belgischen Behörden verfolgte. Das konnte freilich auch nur ein Augenverblenden sein, um Bornstedt bei den revolutionären Elementen zu beglaubigen, die sich in Brüssel gesammelt hatten; in der Wahl der Mittel für ihre erhabenen Zwecke sind die Verteidiger von Thron und Altar ohne alle Bedenken.
(Mehring, ebenda)

Das gleiche Spiel hat die preußische Regierung ja auch in der Angelegenheit Karl Marx betrieben und immer wieder von den belgischen Behörden seine Ausweisung gefordert. Das muss zur Täuschung der Zielgruppe geschehen.

Marx hat jedenfalls an eine Judasrolle Bornstedts nicht geglaubt. Er meinte, dessen Blatt habe trotz seiner vielen Schwächen immer einiges Verdienstliche; finde man es nicht genügend, so solle man es genügend machen, statt des bequemen Vorwandes, an dem Namen Bornstedt Anstoß zu nehmen. Bitter genug schrieb Marx am 8. August an Herwegh: »Das eine Mal taugt der Mann nichts, das andere Mal die Frau, ein andermal die Tendenz, ein andermal der Stil, ein andermal das Format oder auch die Verbreitung ist mit mehr oder weniger Gefahr verbunden ... Unsere Deutschen haben immer tausend Weisheitssprüche in petto, um zu zeigen, warum sie die Gelegenheit ungenützt vorübergehen lassen müssen. Eine Gelegenheit, etwas zu tun, bringt sie nur in Verlegenheit.« Es folgte noch der Stoßseufzer, daß es mit seinen Manuskripten ähnlich gehe, wie mit der Brüsseler Zeitung und ein kräftiger Fluch über die Esel, die ihm vorwürfen, lieber französisch als gar nichts geschrieben zu haben.

Sollte man danach annehmen, daß Marx die Bedenken gegen Bornstedt ein wenig auf die leichte Achsel genommen habe, um »die Gelegenheit nicht ungenützt« vorübergehen zu lassen, so würde ihm deshalb gleichwohl kein Vorwurf zu machen sein. Denn die Gelegenheit war sehr günstig, und es wäre töricht gewesen, sie sich um eines bloßen Verdachts willen entschlüpfen zu lassen.

Mehring, ebenda

Um die Fäden in der Pariser Gruppe des „Bundes der Gerechten“ in die Hand zu bekommen, übersiedelte Friedrich Engels im August 1846 nach Paris. Die Erfolge zeigen sich im Juni 1847 beim ersten Kongress des Bundes in England, zu dem Marx angeblich „aus Geldmangel“ (Raddatz) nicht kommen kann:

…der ihm ergebene Wilhelm Wolff ist sein Stellvertreter. Aber Engels tritt bereits als französischer Delegierter auf, die Übersiedlung nach Paris hat sich gelohnt. Die Wahl dort war knapp verlaufen – nur drei von fünf Gemeinden hatten für Engels, die beiden restlichen für einen Sonderdelegierten gestimmt; wofür sie aus dem Bund ausgeschlossen wurden.
(Raddatz, S. 100)

Die Nicht-Teilnahme von Marx – ich kann das nur vermuten – hatte wohl den Sinn, das Misstrauen der anderen Teilnehmer zuerst zu besänftigen, um dann die weitreichenden Beschlüsse leichter durchziehen zu können. Dass ausgerechnet ihm das Reisegeld gefehlt habe, ist natürlich lächerlich.

Das Ergebnis des Kongresses: der „Bund der Gerechten“ beschließt eine völlige Reorganisation, nennt sich von nun an „Bund der Kommunisten“ (wogegen die Hamburger Gemeinde zum Beispiel protestierte). Die Anhänger Weitlings werden ausgestoßen; und, das Wichtigste: ein kommunistisches Glaubensbekenntnis soll für den nächsten Kongreß vorbereitet werden.
(Raddatz, ebenda)
 
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Marx und Engels hatten sich übrigens bis Januar 1847 taktisch geschickt geziert, selber Mitglieder des Bundes zu werden. Mehring stellt das gleich noch so dar, als hätten Marx und Engels erst mühsam mit Zugeständnissen überredet werden müssen, dabei war Engels ja schon seit Monaten zu keinem anderen Zweck in Paris, als die Einflussnahme auf den „Bund“ auch über seine Pariser Gemeinden zu ermöglichen.

Die von Schappers Hand geschriebene und vom 20. Januar 1847 datierte Vollmacht, womit Moll in Brüssel bei Marx und danach bei Engels in Paris erschien, ist noch sehr vorsichtig abgefaßt; sie ermächtigt den Überbringer, über die Lage des Bundes zu berichten und genaue Auskunft über alle Gegenstände von Wichtigkeit zu geben. Mündlich ging Moll freier aus sich heraus. Er forderte Marx auf, in den Bund einzutreten und schlug dessen anfängliche Bedenken durch die Eröffnung nieder, daß die Zentralbehörde einen Bundeskongreß nach London zu berufen beabsichtige, um die von Marx und Engels geltend gemachten kritischen Ansichten in einem öffentlichen Manifest als Bundeslehre aufzustellen, jedoch müßten Marx und Engels den veralteten und widerstrebenden Elementen gegenüber mitwirken, und zu diesem Zwecke müßten sie in den Bund eintreten.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_116.htm#ZT20

Sie hatten sich von dem damals in Brüssel „mit diplomatischen Vollmachten zu Verhandlungen“ (Raddatz) erschienen Spießgesellen Moll dafür zusichern lassen:

keine andern Autoritäten! Es geht um Sieg oder Niederlage, um die Anerkennung oder Verwerfung der Marxschen Theorie des „kritischen Kommunismus“. Keineswegs waren die Würfel schon gefallen, noch im September 1847 wird beispielsweise auf dem Brüsseler Ökonomischen Kongreß Marx nicht einmal das Wort erteilt.
(Raddatz, ebenda)

Die letzte Angabe von Raddatz ist etwas missverständlich, weil dieser Kongress nichts mit dem „Bund“ und mit dem Einfluss von Karl Marx auf diesen zu tun hatte, sondern es war ein Kongress von Ökonomen zum Thema Freihandel.

Wie vor Karl Marx sich dort der Dichter und Handlungsreisende Georg Weert – der nebenbei als „Kurier“ für Marx und Engels tätig war - zu Wort gemeldet und seine Sache mit Erfolg vorgetragen hatte, lässt sich aus dem diesbezüglichen Artikel des Friedrich Engels entnehmen. Protokoll der Rede des Weert:

"Denken Sie nicht, meine Herren, daß dies nur meine persönlichen Ansichten sind, es sind auch die Anschauungen der englischen Arbeiter, einer Klasse, die ich unterstütze und respektiere, weil es in der Tat intelligente und energische Menschen sind. (Beifall 'aus Höflichkeit'.) Ich werde das an einigen Beispielen beweisen. Sechs volle Jahre buhlten die Herren der League, die wir hier sehen, vergeblich um Unterstützung bei der Arbeiterklasse. Die Arbeiter vergaßen niemals, daß die Kapitalisten ihre natürlichen Feinde waren. Sie erinnerten sich der League-Unruhen von 1842 und des Widerstandes der Fabrikanten gegen die Zehnstundenbill. Lediglich gegen Ende des Jahres 1845 verbündeten sich die Chartisten, die Elite der Arbeiterklasse, vorübergehend mit der League, um den gemeinsamen Feind, den Landadel, zu schlagen. Doch das geschah nur für eine kurze Zeit, und sie ließen sich niemals durch trügerische Verheißungen von Cobden, Bright und Co. irreleiten, noch erhofften sie von den Bourgeois billiges Brot, hohe Löhne und Arbeit in Fülle. Nein, nicht einen Augenblick hörten sie auf, allein ihrer eigenen Kraft zu vertrauen und eine besondere Partei zu schaffen, welche von hervorragenden Führern, dem unermüdlichen Duncombe und Feargus O'Connor, geleitet wird, die trotz aller Verleumdungen - (hier blickte Herr Weerth Dr. Bowring an, der eine schnelle krampfhafte Bewegung machte) -, die trotz aller Verleumdung in ein paar Wochen neben Ihnen auf derselben Bank im Unterhaus sitzen werden. Im Namen dieser Millionen nun, die nicht daran glauben, daß der Freihandel für sie Wunder tun wird, fordere ich Sie auf, noch an andere Mittel zu denken, wenn Sie die Lage der Arbeiter wirklich verbessern wollen. Meine Herren, ich rufe Sie in Ihrem eigenen Interesse dazu auf. Sie brauchen nicht mehr den Zaren aller Reußen zu fürchten oder einen Einfall der Kosaken, aber wenn Sie sich nicht in acht nehmen, werden Sie den Aufstand Ihrer eigenen Arbeiter zu fürchten haben, und diese werden Sie viel schrecklicher behandeln als alle Kosaken der Welt. Meine Herren, die Arbeiter wollen nicht mehr Worte von Ihnen, sondern Taten, und Sie haben keinen Grund, darüber erstaunt zu sein. Die Arbeiter erinnern sich sehr genau der Jahre 1830 und 1831, als sie in London für Sie die Reformbill durchfochten und für Sie in den Straßen von Paris und Brüssel kämpften, wie man sie damals umwarb, ihnen die Hände schüttelte und ihr Lob in höchsten Tönen sang, wie man sie aber, als sie einige Jahre danach Brot forderten. mit Kartätschen und Bajonetten empfing. ("Oh! Nein, nein!", "Ja, ja! Buzançais, Lyon!") Ich wiederhole deshalb, bringen Sie Ihren Freihandel durch, es wird gut sein, aber überlegen Sie gleichzeitig andere Maßnahmen zugunsten der arbeitenden Klassen, oder Sie werden es bereuen." (Lauter Beifall.)
http://www.ml-werke.de/marxengels/me04_299.htm

Wegen dieser gelungenen Rede habe man dann den Karl Marx, der sich ebenfalls zu Wort gemeldet und eine lange Rede ausgearbeitet hatte, gar nicht mehr zu Wort kommen lassen, behauptet nun Engels. Den ungehaltenen Vortrag des Marx kann man in Engels Artikel nachlesen.

Marx vertrat darin sogar noch den Malthus und grundsätzlich natürlich die Theorie, wonach der Lohn im Durchschnitt um das Existenzminimum des Arbeiters (die „Reproduktionskosten der Arbeitskraft“) schwanken müsse, so dass die Arbeiter dann auch vom Freihandel nichts zu erhoffen hätten:

Man nehme zum Beispiel eine Autorität wie Ricardo, eine Autorität, die unübertroffen ist. Was ist, ökonomisch gesprochen, der natürliche, der normale Preis der Arbeit eines Arbeiters? Ricardo antwortet: "Der auf ein Minimum reduzierte Arbeitslohn - seine unterste Grenze." Arbeit ist eine Ware, so gut wie jede andere. Der Preis einer Ware wird aber von der zu ihrer Produktion notwendigen Arbeitszeit bestimmt. Was ist also notwendig, um die Ware Arbeit zu produzieren? Genau das, was notwendig ist, um die Summe der für die Erhaltung des Arbeiters und für den Ersatz seines Kräfteverbrauchs unentbehrlichen Waren zu produzieren, damit er leben und irgendwie seine race fortpflanzen kann. Wir brauchen jedoch nicht anzunehmen, daß die Arbeiter niemals über diese unterste Grenze emporgehoben oder unter dieselbe hinabgedrückt werden. Durchaus nicht; nach diesem Gesetz wird es der Arbeiterklasse zeitweise besser gehen. Zeitweise werden sie mehr als das Existenzminimum haben, aber dieses Mehr wird nur der Zusatzbetrag sein, der ihnen zu anderer Zeit - in der Zeit der industriellen Stagnation - wieder am Existenzminimum fehlt.

Dieses Gesetz, daß der niedrigste Lohnsatz der natürliche Preis der Ware Arbeit ist, wird sich in demselben Maße durchsetzen wie Ricardos Voraussage, daß der Freihandel eine Realität werden wird. Wir akzeptieren alles, was über die Vorteile des Freihandels gesagt wurde. Die Produktivkräfte werden anwachsen, die Steuern, die dem Land durch die Schutzzölle auferlegt worden sind, werden verschwinden, und alle Waren werden zu einem niedrigeren Preis verkauft werden. Was wiederum sagt Ricardo? "Daß Arbeit, eine Ware gleich anderen, ebenfalls zum niedrigeren Preis verkauft werden wird", daß man sie tatsächlich für sehr wenig Geld haben kann, genauso wie Pfeffer und Salz. Und weiter: Ebenso wie alle anderen Gesetze der politischen Ökonomie eine gesteigerte Bedeutung, ein Mehr an Wahrheit durch die Verwirklichung des Freihandels erhalten werden - ebenso wird auch das von Malthus aufgestellte Bevölkerungsgesetz sich unter der Herrschaft des Freihandels in so großartigen Ausmaßen entwickeln, wie es nur gewünscht werden kann. So hat man zu wählen: Entweder muß man die gesamte politische Ökonomie, wie sie gegenwärtig besteht, ablehnen, oder man muß zulassen, daß unter der Handelsfreiheit die ganze Schärfe der Gesetze der politischen Ökonomie gegen die arbeitende Klasse angewandt wird. Bedeutet das, daß wir gegen den Freihandel sind? Nein, wir sind für den Freihandel, weil durch den Freihandel alle ökonomischen Gesetze mit ihren höchst verblüffenden Widersprüchen in einem größerem Maßstabe und auf einem größeren Gebiet, auf der ganzen Erde wirksam werden, und weil aus der Vereinigung aller dieser Widersprüche zu einer Gruppe sich unmittelbar gegenüberstehender Widersprüche der Kampf hervorgehen wird, der mit der Emanzipation des Proletariats endet.


Irgendwie soll dann das ganze Elend, wenn man es nur gemäß Ricardo und Malthus eingesehen hat und seine Zwangsläufigkeit nach den Gesetzen der Ökonomie sich ungehindert auswirken lässt, zuletzt in der „Emanzipation des Proletariats“ enden. Originell und witzig ist das nicht.

Der Leser vergleiche das dann mit dem Aufruf des Georg Weert, „noch an andere Mittel zu denken, wenn sie die Lage der Arbeiter wirklich verbessern wollen“. Das war dann im Sinne von Marx und Engels „unwissenschaftlich“, ein Fall von „Handwerker-Kommunismus“, wie sie ihn im „Bund der Kommunisten“ gerade bekämpfen wollten.

In der „Deutschen-Brüsseler-Zeitung“ hatte Engels auch als Befürworter von Schutzzöllen argumentiert:

An die Debatten des Vereinigten Landtags über Freihandel und Schutzzoll knüpfte ein Artikel an, der zwar anonym erschien, aber nach Inhalt und Sprache augenscheinlich von Engels verfaßt ist. Er war damals von der Überzeugung durchdrungen, daß die deutsche Bourgeoisie hoher Schutzzölle bedürfe, um nicht von der ausländischen Industrie zerquetscht zu werden, sondern vielmehr die nötige Kraft zur Überwindung des Absolutismus und des Feudalismus zu gewinnen. Aus diesem Grunde empfahl Engels dem Proletariat, die schutzzöllnerische Agitation zu unterstützen, wenn auch nur aus diesem Grunde. Er meinte zwar, List, die Autorität der Schutzzöllner, habe immer noch das Beste der deutschen bürgerlich-ökonomischen Literatur produziert, aber er fügte hinzu, dessen ganzes glorioses Werk sei von dem Franzosen Ferrier abgeschrieben, dem theoretischen Urheber des Kontinentalsystems, und er warnte die Arbeiter, sich durch die Redensart vom »Wohl der arbeitenden Klasse« narren zu lassen, das die Freihändler wie die Schutzzöllner als prunkendes Aushängeschild ihrer eigennützigen Agitation vor sich hertrügen. Der Lohn der Arbeiterklasse bleibe derselbe, unter dem Freihandels- wie dem Schutzzollsystem.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_116.htm#ZT20

Die preußische Regierung war inzwischen nicht untätig geblieben und hatte in Köln eine Zeitung für die Arbeiter gründen lassen.

Gemeinsam von Marx und Engels verfaßt ist ein längerer Aufsatz, der einen Vorstoß des christlich-feudalen Sozialismus zurückwies. Dieser Vorstoß erfolgte in dem »Rheinischen Beobachter«, einem Organ, das die Regierung neuerdings in Köln gegründet hatte, um die rheinischen Arbeiter gegen die rheinische Bourgeoisie aufzuhetzen. In seinen Spalten verdiente sich der junge Hermann Wagener die Sporen, wie er selbst in seinen Denkwürdigkeiten berichtet. Marx und Engels müssen bei ihren nahen Beziehungen zu Köln davon gewußt haben, da der Spott über den »glattgescheitelten Konsistorialrat« sozusagen der Kehrreim ihrer Antwort ist. Wagener war damals Konsistorialassessor in Magdeburg.

Für dieses Mal hatte sich der »Rheinische Beobachter« das Scheitern des Vereinigten Landtags zum Vorwurfe genommen, um die Arbeiter zu ködern. Indem die Bourgeoisie alle Geldforderungen der Regierung abgelehnt habe, habe sie gezeigt, daß es ihr nur darum zu tun sei, die Staatsgewalt an sich zu reißen; das Volkswohl sei ihr gleichgültig; sie schiebe das Volk nur vor, um die Regierung einzuschüchtern; das Volk sei ihr nur Kanonenfutter in dem großen Sturm gegen die Regierungsgewalt. Was Marx und Engels darauf erwiderten, liegt heute auf der Hand. Das Proletariat täusche sich über die Bourgeoisie so wenig wie über die Regierung; es frage sich nur, was seinen eigenen Zwecken diene, die Herrschaft der Bourgeoisie oder die Herrschaft der Regierung, und diese Frage zu beantworten, genüge ein einfacher Vergleich zwischen der Lage der deutschen und der Lage der englischen wie französischen Arbeiter.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_116.htm#ZT20

Hoffentlich verliert der Leser in dem Verwirrspiel mit diversen Regierungskommunisten nicht den Überblick, aber das Aufwiegeln der Arbeiter gegen das Besitzbürgertum war natürlich eine naheliegende Antwort der Regierungen zur Einschüchterung ihrer Bourgeoisie. Sollte das Bürgertum mit Unruhen an den Universitäten und auf den öffentlichen Plätzen drohen, konnte die Regierung mal die Arbeiter in den Fabriken streiken lassen.

Am 12. September 1847 brachte die „Deutsche-Brüsseler-Zeitung“ einen Artikel von Marx mit dem Titel:

Der Kommunismus des "Rheinischen Beobachters"



Mag diese Bemerkung ironisch gemeint sein oder nicht, die Kommunisten müssen dagegen protestieren, daß der "Rheinische Beobachter" "Kommunismus" predigen könne, speziell dagegen, daß der in Nr. 70 der "D[eutschen] B[rüsseler]-Z[eitung]" mitgeteilte Artikel kommunistisch sei.
Wenn eine gewisse Fraktion deutscher Sozialisten fortwährend gegen die liberale Bourgeoisie gepoltert hat, und zwar in einer Weise, die niemandem Vorteil brachte als den deutschen Regierungen, wenn jetzt Regierungsblätter wie der "Rh[einische] Beobachter", auf die Phrasen dieser Leute gestützt, behaupten, nicht die liberale Bourgeoisie, sondern die Regierung repräsentiere die Interessen des Proletariats, so haben die Kommunisten weder mit der ersteren noch mit der letzteren etwas gemein.

Man hat den deutschen Kommunisten allerdings die Verantwortlichkeit hierfür zuschieben wollen, man hat sie der Allianz mit der Regierung beschuldigt.

Diese Anschuldigung ist lächerlich…

http://www.mlwerke.de/me/me04/me04_191.htm
 
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Das Kommunistische Manifest


Die Ideen für das Kommunistische Manifest waren wenig das Verdienst von Marx, der eher schwerfällig alles ausgewälzt hat, was ihm der geniale Friedrich Engels an Einfällen bot, der in seiner Schrift über den „Bund der Kommunisten“ etwas Einblick in die Entwicklung der Ideen gibt:

Inzwischen hatte sich neben dem Kommunismus des Bundes und Weitlings ein zweiter, wesentlich verschiedner herausgebildet. Ich war in Manchester mit der Nase darauf gestoßen worden, daß die ökonomischen Tatsachen, die in der bisherigen Geschichtsschreibung gar keine oder nur eine verachtete Rolle spielen, wenigstens in der modernen Welt eine entscheidende geschichtliche Macht sind; daß sie die Grundlage bilden für die Entstehung der heutigen Klassengegensätze; daß diese Klassengegensätze in den Ländern, wo sie vermöge der großen Industrie sich voll entwickelt haben, also namentlich in England, wieder die Grundlage der politischen Parteibildung, der Parteikampfe und damit der gesamten politischen Geschichte sind. Marx war nicht nur zu derselben Ansicht gekommen…
http://www.mlwerke.de/me/me21/me21_206.htm

Wie der Zufall halt so spielt, solange man noch an seine Wahrscheinlichkeit glauben mag.

Als ich Marx im Sommer 1844 in Paris besuchte, stellte sich unsere vollständige Übereinstimmung auf allen theoretischen Gebieten heraus, und von da an datiert unsre gemeinsame Arbeit. Als wir im Frühjahr 1845 in Brüssel wieder zusammenkamen, hatte Marx aus den obigen Grundlagen schon seine materialistische Geschichtstheorie in den Hauptzügen fertig herausentwickelt, und wir setzten uns nun daran, die neugewonnene Anschauungsweise nach den verschiedensten Richtungen hin im einzelnen auszuarbeiten.
(ebenda)

Wir müssen natürlich die gemeinsame Arbeit schon auf das gemeinsame Vorgehen gegen Bruno Bauer datieren, als Marx und Engels zufällig beide dessen große Bewunderer wurden.
Engels gibt hier gerade noch einen kleinen Überblick zur Einflussnahme auf den alten „Bund der Gerechten“, der von Interesse ist und das professionelle und zielgerichtete Vorgehen noch einmal zeigt:

Mit dem Bund der Gerechten standen wir folgendermaßen. Die Existenz des Bundes war uns natürlich bekannt; 1843 hatte mir Schapper den Eintritt angetragen, den ich damals selbstredend ablehnte. Wir blieben aber nicht nur mit den Londonern in fortwährender Korrespondenz, sondern in noch engerm Verkehr mit Dr. Ewerbeck, dem jetzigen Leiter der Pariser Gemeinden. Ohne uns um die innern Bundesangelegenheiten zu kümmern, erfuhren wir doch von jedem wichtigen Vorgang. Andrerseits wirkten wir mündlich, brieflich und durch die Presse auf die theoretischen Ansichten der bedeutendsten Bundesmitglieder ein. Hierzu dienten auch verschiedne lithographierte Zirkulare, die wir bei besondern Gelegenheiten, wo es sich um Interna der sich bildenden kommunistischen Partei handelte, an unsre Freunde und Korrespondenten in die Welt sandten. Bei diesen kam der Bund zuweilen selbst ins Spiel. So war ein junger westfälischer Studiosus, Hermann Kriege, der nach Amerika ging, dort als Bundesemissär aufgetreten... Hiergegen fuhren wir los in einem Zirkular, das seine Wirkung nicht verfehlte. Kriege verschwand von der Bundesbühne.

Das ging dann mit Weitling so weiter, der besonders die Geduld von Marx und seiner Frau strapaziert habe, bis er nach Amerika ging, „um es dort“ so Engels „mit dem Prophetentum zu versuchen“.

Jedenfalls sei so besonders der Londoner Leitung die Unzulänglichkeit ihrer bisherigen Auffassungen zunehmend klar geworden.

Die von Weitling eingeleitete Zurückführung des Kommunismus auf das Urchristentum - so geniale Einzelheiten sich in seinem "Evangelium des armen Sünders" finden - hatte in der Schweiz dahin geführt, die Bewegung großenteils in die Hände zuerst von Narren wie Albrecht und dann von ausbeutenden Schwindelpropheten wie Kuhlmann zu liefern. Der von einigen Belletristen vertriebne "wahre Sozialismus", eine Übersetzung französischer sozialistischer Wendungen in verdorbenes Hegeldeutsch und sentimentale Liebesduselei (siehe den Abschnitt über den deutschen oder "wahren" Sozialismus im "Kommunistischen Manifest"), den Kriege und die Lektüre der betreffenden Schriften in den Bund eingeführt, mußte schon seiner speichelfließenden Kraftlosigkeit wegen den alten Revolutionären des Bundes zum Ekel werden. Gegenüber der Unhaltbarkeit der bisherigen theoretischen Vorstellungen, gegenüber den daraus sich herleitenden praktischen Abirrungen sah man in London mehr und mehr ein, daß Marx und ich mit unsrer neuen Theorie recht hatten. Diese Einsicht wurde unzweifelhaft dadurch befördert, daß sich unter den Londoner Führern jetzt zwei Männer befanden, die den Genannten an Befähigung zu theoretischer Erkenntnis bedeutend überlegen waren: der Miniaturmaler Karl Pfänder aus Heilbronn und der Schneider Georg Eccarius aus Thüringen.
(ebenda)

Man hatte also in London noch Verstärkung erhalten, um die Bundesbrüder dort auf die neue Linie zu bringen und wir brauchen uns da keine Illusionen zu machen: wäre man ihnen mit Argumenten gekommen, würden die heute noch darüber diskutieren oder hätten die, die ihnen nur mit Argumenten kommen wollten, gleich davongejagt.

Aber mit dringend benötigtem Geld war unter Handwerksgesellen, die wie einst Weitling von früh bis spät und am Sonntag noch bis mittags jede Woche für Hungerlöhne zu arbeiten hatten, leicht eine Mehrheit für alles zu gewinnen, wie Weitling es wohl geahnt hatte, als er mit seiner Abreise nach Amerika den Kampf um seinen „Bund“ aufgab.

Genug, im Frühjahr 1847 erschien Moll in Brüssel bei Marx und gleich darauf in Paris bei mir, um uns im Namen seiner Genossen mehrmals zum Eintritt in den Bund aufzufordern. Sie seien von der allgemeinen Richtigkeit unserer Auffassungsweise ebensosehr überzeugt wie von der Notwendigkeit, den Bund von den alten konspiratorischen Traditionen und Formen zu befreien. Wollten wir eintreten, so sollte uns Gelegenheit gegeben werden, auf einem Bundeskongreß unsren kritischen Kommunismus in einem Manifest zu entwickeln, das sodann als Manifest des Bundes veröffentlicht würde; und ebenso würden wir das Unsrige beitragen können, daß die veraltete Organisation des Bundes durch eine neue zeit- und zweckgemäße ersetzt werde.
(Engels, ebenda)

Allerdings verschweigt hier Engels seinen Lesern, dass das neue Ding noch als „Entwurf des Kommunistischen Glaubensbekenntnisses“ vom ersten Kongress verabschiedet und versandt worden war.

Auch andere waren bereits am Werke, neue Ideen in den Entwurf einfließen zu lassen; zum Schrecken für Engels der Moses Hess:

In letzter Minute konnte er auf einer Sitzung der Kreisbehörde vom 22. Oktober diesen Entwurf des „von einer Mücke gestochenen Hess“ torpedieren. Schon in der Geburtsstunde der Kommunistischen Partei wurden die Fraktionskämpfe „etwas außerhalb der Legalität“ ausgetragen, wurde „der Apparat“ eingesetzt, um hinter dem Rücken vermeintlicher Gegner Beschlüsse durchzusetzen…

Dem Mosi hab` ich, ganz unter uns, einen höllischen Streich gespielt. Er hatte richtig ein gottvoll verbessertes Glaubensbekenntnis durchgesetzt. Vorigen Freitag nun nahm ich dies im Kreise vor,…und war noch nicht an der Hälfte angekommen, als die Leute sich für satisfaits erklärten. Ohne alle Opposition ließ ich mich beauftragen, ein neues zu entwerfen, was nun nächsten Freitag im Kreis wird diskutiert und hinter dem Rücken der Gemeinden nach London geschickt werden. Das darf aber natürlich kein Teufel merken, sonst werden wir alle abgesetzt, und es gibt einen Mordsskandal.“

(Raddatz, a.a.O. S. 101)

Nach Raddatz hat Engels zwischen den beiden Kongressen die “Grundsätze des Kommunismus“ entworfen: „knapper, einleuchtender und gemeinverständlicher als später die Form des Manifests.

Aber er ist unsicher. Marx hat sich offenbar um die Sache gar nicht gekümmert. Anders ist der merkwürdige Satz in Engels´ Brief an ihn vom 24. November, „überleg´ Dir doch das Glaubensbekenntnis etwas“, nicht zu erklären. Etwas! Im selben Brief schlägt Engels dann vor, eben die Katechismusform über Bord zu werfen und ein Manifest zu formulieren.
(Raddatz, S. 102)

Vermutlich hat Marx auf dem zweiten Kongress in London die Ausarbeitungen des Friedrich Engels vorgetragen.

Der zweite Kongreß fand statt Ende November und Anfang Dezember desselben Jahres. Hier war auch Marx anwesend und vertrat in längerer Debatte - der Kongreß dauerte mindestens zehn Tage - die neue Theorie. Aller Widerspruch und Zweifel wurde endlich erledigt, die neuen Grundsätze einstimmig angenommen und Marx und ich beauftragt, das Manifest auszuarbeiten. Dies geschah unmittelbar nachher. Wenige Wochen vor der Februarrevolution wurde es nach London zum Druck geschickt.
http://www.mlwerke.de/me/me21/me21_206.htm

Schon merkwürdig, was Engels da als neue Ideen zu verkaufen sucht: statt eingängiger Parolen erklärungsbedürftige – was ist ein „Proletarier“ - und geschraubte Formulierungen.

An die Stelle des alten Bundesmottos: "Alle Menschen sind Brüder", trat der neue Schlachtruf: "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!", der den internationalen Charakter des Kampfes offen proklamierte.
(Engels, ebenda)

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Das mit „I. Bourgeois und Proletarier“ überschrieben Kapitel des Kommunistischen Manifestes ist unbestritten das Meisterwerk von Marx und Engels, auch wenn Mehring Kritiker erwähnt, „die durch Herausreißen einzelner Sätze haben beweisen wollen, daß die Verfasser des »Manifestes« Carlyle oder Gibbon oder Sismondi oder wen sonst bestohlen hätten“.

Manifest der Kommunistischen Partei
...
I. Bourgeois und Proletarier

Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.

Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen.
In den früheren Epochen der Geschichte finden wir fast überall eine vollständige Gliederung der Gesellschaft in verschiedene Stände, eine mannigfaltige Abstufung der gesellschaftlichen Stellungen. Im alten Rom haben wir Patrizier, Ritter, Plebejer, Sklaven; im Mittelalter Feudalherren, Vasallen, Zunftbürger, Gesellen, Leibeigene, und noch dazu in fast jeder dieser Klassen wieder besondere Abstufungen. Die aus dem Untergange der feudalen Gesellschaft hervorgegangene moderne bürgerliche Gesellschaft hat die Klassengegensätze nicht aufgehoben. Sie hat nur neue Klassen, neue Bedingungen der Unterdrückung, neue Gestaltungen des Kampfes an die Stelle der alten gesetzt.

Unsere Epoche, die Epoche der Bourgeoisie, zeichnet sich jedoch dadurch aus, daß sie die Klassengegensätze vereinfacht hat. Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat.

Die Entdeckung Amerikas, die Umschiffung Afrikas schufen der aufkommenden Bourgeoisie ein neues Terrain. Der ostindische und chinesische Markt, die Kolonisierung von Amerika, der Austausch mit den Kolonien, die Vermehrung der Tauschmittel und der Waren überhaupt gaben dem Handel, der Schiffahrt, der Industrie einen nie gekannten Aufschwung und damit dem revolutionären Element in der zerfallenden feudalen Gesellschaft eine rasche Entwicklung.

Die bisherige feudale oder zünftige Betriebsweise der Industrie reichte nicht mehr aus für den mit neuen Märkten anwachsenden Bedarf. Die Manufaktur trat an ihre Stelle. Die Zunftmeister wurden verdrängt durch den industriellen Mittelstand; die Teilung der Arbeit zwischen den verschiedenen Korporationen verschwand vor der Teilung der Arbeit in der einzelnen Werkstatt selbst.

Aber immer wuchsen die Märkte, immer stieg der Bedarf. Auch die Manufaktur reichte nicht mehr aus. Da revolutionierte der Dampf und die Maschinerie die industrielle Produktion. An die Stelle der Manufaktur trat die moderne große Industrie, an die Stelle des industriellen Mittelstandes traten die industriellen Millionäre, die Chefs ganzer industrieller Armeen, die modernen Bourgeois.


Quelle: http://www.vulture-bookz.de/marx/ar...els_1848--90~Das_Kommunistische_Manifest.html

Was uns noch heute dieses Kapitel so aktuell erscheinen lässt, war die für damalige Verhältnisse übertrieben dargestellten Erfolge der kapitalistischen Entwicklung.

Bei Abfassung des »Manifestes« sahen sie die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise auf einer Höhe, die sie heute kaum erreicht hat. Schärfer noch als das »Manifest« selbst sprach es Engels in seinem Entwurfe aus, wo es heißt, daß in den zivilisierten Ländern fast alle Arbeitszweige fabrikmäßig betrieben würden, daß fast in allen Arbeitszweigen das Handwerk und die Manufaktur durch die große Industrie verdrängt worden seien.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_116.htm#Kap_8

Das Manifest war also so etwas wie „Jules Verne“ in richtiger Vorherahnung der industriellen Entwicklung.

In eigentümlichem Gegensatze dazu standen die verhältnismäßig dürftigen Ansätze von Arbeiterparteien, die das »Kommunistische Manifest« erst zu verzeichnen wußte. Selbst die bedeutendste, der englische Chartismus, war noch stark von kleinbürgerlichen Elementen durchsetzt, geschweige denn die sozialistisch-demokratische Partei Frankreichs. Die Radikalen in der Schweiz und diejenigen polnischen Revolutionäre, denen die bäuerliche Emanzipation als Vorbedingung der nationalen Befreiung galt, waren doch erst nur Schattenbilder an der Wand.
(ebenda)

Mehring weist hier richtig darauf hin, dass die von bürgerlichen Autoren vielkritisierte angebliche „Verelendungstheorie“ des Manifestes seinerzeit in vielen Schriften und nicht zuletzt mit dem sogenannten „Bevölkerungsgesetz von Malthus“ von bürgerlichen Ökonomen vertreten wurde.

Natürlich hatten auch die bürgerlichen „Verelendungstheorien“ keinen anderen Zweck als die „wissenschaftliche“ Apologie der herrschenden Verhältnisse zu liefern und Forderungen sowie politische Anstrengungen zur Änderung dieser Verhältnisse zu entmutigen.

Genau diesen Stiefel haben sich, wie Mehring mutig betont, auch Marx und Engels hier angezogen.

Es stand noch auf dem Standpunkt des Lohngesetzes, wie es Ricardo an der Hand der Malthusischen Bevölkerungstheorie entwickelt hatte; es urteilte deshalb zu geringschätzig über die Lohnkämpfe und gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeiter, in denen es wesentlich nur die Exerzierplätze und Manöverfelder des politischen Klassenkampfes sah. In der englischen Zehnstundenbill erkannten Marx und Engels damals noch nicht wie später den »Sieg eines Prinzips«; unter kapitalistischen Voraussetzungen war sie in ihren Augen nur eine reaktionäre Fessel der großen Industrie. Genug, das »Manifest« kannte noch nicht Fabrikgesetze und Gewerkschaftsorganisationen als Etappen des proletarischen Emanzipationskampfs, der die kapitalistische in die sozialistische Gesellschaft umwälzen und bis an sein letztes Ziel durchgekämpft werden muß, wenn nicht auch die ersten, mühsam eroberten Erfolge verlorengehen sollen.
(ebenda)

Man kann dem Kommunistischen Manifest ablesen, wie das Herz der Autoren für die Fortschritte der Bourgeoisie schwärmt, den Kampf um die Interessen der Arbeiter dagegen als aussichtslose, ja reaktionäre und vor allem natürlich unwissenschaftliche Standwpunkte denunziert.

Mit voller Klarheit trat die Ansicht der Verfasser in den Sätzen hervor, die von den Aufgaben der kommunistischen Partei in Deutschland handeln. Das »Manifest« befürwortete hier den gemeinsamen Kampf des Proletariats mit der Bourgeoisie, sobald diese revolutionär auftrete, gegen die absolute Monarchie, das feudale Grundeigentum und die Kleinbürgerei, wobei jedoch keinen Augenblick unterlassen werden dürfe, bei den Arbeitern ein möglichst klares Bewußtsein über den feindlichen Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat herauszuarbeiten.
(ebenda)

Das stand natürlich im Widerspruch zu den reaktionären preußischen Kräften, die ja die Arbeiter gegen die Bourgeoisie mobilisierten. Aber Politik ist manchmal etwas verworren, sogar für die unmittelbar Beteiligten, und häufig sorgen die Ereignisse für neue Konsequenzen.

Die bürgerliche Revolution in Deutschland folgte dem »Manifest« nun zwar auf dem Fuße, aber die Bedingungen, unter denen sie sich vollzog, hatten gerade die umgekehrte Wirkung: sie ließen die bürgerliche Revolution auf halbem Wege stehen, bis wenige Monate später die Pariser Junischlacht der Bourgeoisie und namentlich der deutschen Bourgeoisie alle revolutionären Gelüste austrieb.
(ebenda)

In diesem ersten Kapitel finden wir bereits die absurde Hoffnung, dass die brutalen Handels- oder besser Wirtschaftskrisen das Vorzeichen der großen und endgültigen Revolution wären.

Die bürgerlichen Produktions- und Verkehrsverhältnisse, die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse, die moderne bürgerliche Gesellschaft, die so gewaltige Produktions- und Verkehrsmittel hervorgezaubert hat, gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor. Seit Dezennien ist die Geschichte der Industrie und des Handels nur die Geschichte der Empörung der modernen Produktivkräfte gegen die modernen Produktionsverhältnisse, gegen die Eigentumsverhältnisse, welche die Lebensbedingungen der Bourgeoisie und ihrer Herrschaft sind. Es genügt, die Handelskrisen zu nennen, welche in ihrer periodischen Wiederkehr immer drohender die Existenz der ganzen bürgerlichen Gesellschaft in Frage stellen. In den Handelskrisen wird ein großer Teil nicht nur der erzeugten Produkte, sondern der bereits geschaffenen Produktivkräfte regelmäßig vernichtet. In den Krisen bricht eine gesellschaftliche Epidemie aus, welche allen früheren Epochen als ein Widersinn erschienen wäre – die Epidemie der Überproduktion. Die Gesellschaft findet sich plötzlich in einen Zustand momentaner Barbarei zurückversetzt; eine Hungersnot, ein allgemeiner Vernichtungskrieg scheinen ihr alle Lebensmittel abgeschnitten zu haben; die Industrie, der Handel scheinen vernichtet, und warum? Weil sie zuviel Zivilisation, zuviel Lebensmittel, zuviel Industrie, zuviel Handel besitzt. Die Produktivkräfte, die ihr zur Verfügung stehen, dienen nicht mehr zur Beförderung der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse; im Gegenteil, sie sind zu gewaltig für diese Verhältnisse geworden, sie werden von ihnen gehemmt; und sobald sie dies Hemmnis überwinden, bringen sie die ganze bürgerliche Gesellschaft in Unordnung, gefährden sie die Existenz des bürgerlichen Eigentums. Die bürgerlichen Verhältnisse sind zu eng geworden, um den von ihnen erzeugten Reichtum zu fassen. – Wodurch überwindet die Bourgeoisie die Krisen? Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften; anderseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung alter Märkte. Wodurch also? Dadurch, daß sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert…
http://www.vulture-bookz.de/marx/ar...els_1848--90~Das_Kommunistische_Manifest.html

Ob Marx und Engels damals schon die monetären Ursachen der Krisen bekannt waren, kann ich nicht belegen. Spätestens zum Thema Peelsche Bankakte im Kapital wussten auch Marx und Engels um die geldpolitische Verursachung dieser Krisen. Im Gegensatz zu anderen Themen aus dem Kapital wird die Geldpolitik der Bank von England mit den daraus folgenden Krisen von den Marxisten bis heute tabuisiert, obwohl sie dazu aus dem Kapital zitieren könnten.

Es war also nicht allgemeine Überproduktion die Ursache der Krisen, sie kamen auch nicht unerwartet und unvermeidbar, sie waren allenfalls ein Resultat der bestehenden Geldordnung und des Bankensystems. Oft genug waren die Krisen für die Durchsetzung von ökonomischen wie politischen Interessen eingesetzt, nicht zuletzt auch zur Lohnsenkung und Schaffung einer „industriellen Reservearmee“ – wie Marx das nennen sollte – von Arbeitslosen zur Disziplinierung der Arbeiter.

Dem brutalen Werk dieser Krisen und der Verelendung der betroffenen Arbeiter haben die Marxisten dann bis heute blöde grinsend zugeschaut, in der Illusion, ein Vorspiel ihrer Weltrevolution erleben zu können.

Wer mit einer expansiven Geld- und Finanzpolitik die Krisen beenden wollte, geriet in den Verdacht, ein Reaktionär zu sein, der den Kapitalismus vor seinem unvermeidbaren Zusammenbruch zu bewahren suche.
 
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Das Kapitel „II. Proletarier und Kommunisten“ ist ein Stilbruch und geht auf die ursprünglich gedachte Form eines Katechismus mit Fragen und Antworten zurück. Stellenweise kann man die Sätze noch heute zitieren:

Ihr entsetzt euch darüber, daß wir das Privateigentum aufheben wollen. Aber in eurer bestehenden Gesellschaft ist das Privateigentum für neun Zehntel ihrer Mitglieder aufgehoben; es existiert gerade dadurch, daß es für neun Zehntel nicht existiert. Ihr werft uns also vor, daß wir ein Eigentum aufheben wollen, welches die Eigentumslosigkeit der ungeheuren Mehrzahl der Gesellschaft als notwendige Bedingung voraussetzt.

Ihr werft uns mit einem Wort vor, daß wir euer Eigentum aufheben wollen. Allerdings, das wollen wir.

(ebenda)

Allerdings war damals, angesichts des elenden Lebens der lohnabhängigen Arbeiter, eine solche Zurückweisung der uns bis heute bekannten bürgerlichen Entrüstung über die Aufhebung des Privateigentums auch kein großer Gedankensprung.

Eure Ideen selbst sind Erzeugnisse der bürgerlichen Produktions- und Eigentumsverhältnisse, wie euer Recht nur der zum Gesetz erhobene Wille eurer Klasse ist, ein Wille, dessen Inhalt gegeben ist in den materiellen Lebensbedingungen eurer Klasse.
(ebenda)

Manche Stellen im Manifest wären immer noch lehrreich für die Massen, aber spätestens mit dem Kapital hat die marxistische Lehre dann von den besten Stellen des alten Manifestes „abstrahiert“ und sich nur mehr der hirnrissigen „Wertkritik“ gewidmet.

Im Kapitel „III. Sozialistische und kommunistische Literatur“ beginnt dann doch wieder der so beliebte wie bekannte und eigentlich zentrale Kampf gegen die Genossen.

Denn lieber sollten die Arbeiter sich doch mit der Bourgeoisie verbünden, wo diese „revolutionär“ war, als zum Beispiel mit den Vertretern des alten Feudalsystems, die angesichts der vom Besitzbürgertum geschaffenen bestialischen Lebensverhältnisse der Arbeiter Klagen erhoben hatten.

Die französische und englische Aristokratie war ihrer geschichtlichen Stellung nach dazu berufen, Pamphlete gegen die moderne bürgerliche Gesellschaft zu schreiben. In der französischen Julirevolution von 1830, in der englischen Reformbewegung war sie noch einmal dem verhaßten Emporkömmling erlegen. Von einem ernsten politischen Kampfe konnte nicht mehr die Rede sein. Nur der literarische Kampf blieb ihr übrig…

Den proletarischen Bettelsack schwenkten sie als Fahne in der Hand, um das Volk hinter sich her zu versammeln. Sooft es ihnen aber folgte, erblickte es auf ihrem Hintern die alten feudalen Wappen und verlief sich mit lautem und unehrerbietigem Gelächter…

Übrigens verheimlichen sie den reaktionären Charakter ihrer Kritik so wenig, daß ihre Hauptanklage gegen die Bourgeoisie eben darin besteht, unter ihrem Regime entwickle sich eine Klasse, welche die ganze alte Gesellschaftsordnung in die Luft sprengen werde.

Sie werfen der Bourgeoisie mehr noch vor, daß sie ein revolutionäres Proletariat, als daß sie überhaupt ein Proletariat erzeugt.

(ebenda)

Auch der kleinbürgerliche Sozialismus wolle nur die unvermeidbare Entwicklung aufhalten und sei reaktionär:

In Ländern wie in Frankreich, wo die Bauernklasse weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmacht, war es natürlich, daß Schriftsteller, die für das Proletariat gegen die Bourgeoisie auftraten, an ihre Kritik des Bourgeoisregimes den kleinbürgerlichen und kleinbäuerlichen Maßstab anlegten und die Partei der Arbeiter vom Standpunkt des Kleinbürgertums ergriffen. Es bildete sich so der kleinbürgerliche Sozialismus. Sismondi ist das Haupt dieser Literatur nicht nur für Frankreich, sondern auch für England…

Seinem positiven Gehalte nach will jedoch dieser Sozialismus entweder die alten Produktions- und Verkehrsmittel wiederherstellen und mit ihnen die alten Eigentumsverhältnisse und die alte Gesellschaft, oder er will die modernen Produktions- und Verkehrsmittel in den Rahmen der alten Eigentumsverhältnisse, die von ihnen gesprengt wurden, gesprengt werden mußten, gewaltsam wieder einsperren. In beiden Fällen ist er reaktionär und utopistisch zugleich.

(ebenda)

Die naheliegende Frage, was denn die moderne Industrie in der Gewalt des Besitzbürgertums dem Menschen wirklich gebracht hat, diese Frage wurde von Marx und Engels nie gestellt. Ohne die englische Textilindustrie wären die Kinder nicht in dreckigen Lumpen Tag und Nacht in der Fabrik um ihr Leben gebracht worden.

Die von Marx und Engels gepriesenen Produktionssteigerungen kamen bei den Arbeitern nicht an, hatte die englische Kolonialherrschaft doch die Textilproduktion in Indien zerstört, wohin jetzt der Ausstoß der englischen Fabriken geliefert wurde. Es war absurd und widersinnig und alles andere als eine notwendige Entwicklung von Ökonomie und Gesellschaft, gegen die sich nur Reaktionäre stemmen.

Der „deutsche oder der wahre Sozialismus“ sei eine Sache von Schöngeistern.

Die sozialistische und kommunistische Literatur Frankreichs, die unter dem Druck einer herrschenden Bourgeoisie entstand und der literarische Ausdruck des Kampfs gegen diese Herrschaft ist, wurde nach Deutschland eingeführt zu einer Zeit, wo die Bourgeoisie soeben ihren Kampf gegen den feudalen Absolutismus begann.

Deutsche Philosophen, Halbphilosophen und Schöngeister bemächtigten sich gierig dieser Literatur und vergaßen nur, daß bei der Einwanderung jener Schriften aus Frankreich die französischen Lebensverhältnisse nicht gleichzeitig nach Deutschland eingewandert waren. Den deutschen Verhältnissen gegenüber verlor die französische Literatur alle unmittelbar praktische Bedeutung und nahm ein rein literarisches Aussehen an. Als müßige Spekulation über die Verwirklichung des menschlichen Wesens mußte sie erscheinen.

(ebenda)

Die muss man natürlich alle vor den Kopf stoßen, weil es sicher realistisch ist anzunehmen, dass ein Industrieproletariat , vom Besitzbürgertum gezwungen jenseits menschlicher Würde und Gestalt zu leben, eines Tages die Fähigkeit besitzen würde, diese Verhältnisse der Unterdrückung und Ausbeutung endgültig umzustürzen.

Über diese Prognose des Marxismus hat die Bourgeoisie gelacht.

Dieser deutsche Sozialismus, der seine unbeholfenen Schulübungen so ernst und feierlich nahm und so marktschreierisch ausposaunte, verlor indes nach und nach seine pedantische Unschuld.

Der Kampf der deutschen, namentlich der preußischen Bourgeoisie gegen die Feudalen und das absolute Königtum, mit einem Wort, die liberale Bewegung wurde ernsthafter.
Dem »wahren« Sozialismus war so erwünschte Gelegenheit geboten, der politischen Bewegung die sozialistischen Forderungen gegenüberzustellen, die überlieferten Anatheme gegen den Liberalismus, gegen den Repräsentativstaat, gegen die bürgerliche Konkurrenz, bürgerliche Preßfreiheit, bürgerliches Recht, bürgerliche Freiheit und Gleichheit zu schleudern und der Volksmasse vorzupredigen, wie sie bei dieser bürgerlichen Bewegung nichts zu gewinnen, vielmehr alles zu verlieren habe.

(ebenda)

Ja nun, wir kennen die bürgerliche „Pressfreiheit“ als die Freiheit der Klasse der Besitzbürger, ihre Interessen jeden Tag in den Massenmedien zu verbreiten; um vom bürgerlichen Recht oder gar von Freiheit und Gleichheit gar nicht zu reden.

Der deutsche Sozialismus vergaß rechtzeitig, daß die französische Kritik, deren geistloses Echo er war, die moderne bürgerliche Gesellschaft mit den entsprechenden materiellen Lebensbedingungen und der angemessenen politischen Konstitution vorausgesetzt, lauter Voraussetzungen, um deren Erkämpfung es sich erst in Deutschland handelte.

Er diente den deutschen absoluten Regierungen mit ihrem Gefolge von Pfaffen, Schulmeistern, Krautjunkern und Bürokraten als erwünschte Vogelscheuche gegen die drohend aufstrebende Bourgeoisie.

Er bildete die süßliche Ergänzung zu den bittern Peitschenhieben und Flintenkugeln, womit dieselben Regierungen die deutschen Arbeiteraufstände bearbeiteten.
Ward der »wahre« Sozialismus dergestalt eine Waffe in der Hand der Regierungen gegen die deutsche Bourgeoisie, so vertrat er auch unmittelbar ein reaktionäres Interesse, das Interesse der deutschen Pfahlbürgerschaft. In Deutschland bildet das vom 16. Jahrhundert her überlieferte und seit der Zeit in verschiedener Form hier immer neu wieder auftauchende Kleinbürgertum die eigentliche gesellschaftliche Grundlage der bestehenden Zustände.

Seine Erhaltung ist die Erhaltung der bestehenden deutschen Zustande. Von der industriellen und politischen Herrschaft der Bourgeoisie fürchtet es den sichern Untergang, einerseits infolge der Konzentration des Kapitals, anderseits durch das Aufkommen eines revolutionären Proletariats. Der »wahre« Sozialismus schien ihm beide Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Er verbreitete sich wie eine Epidemie.

(ebenda)

Sogar ein Teil der Bourgeoisie – Vertreter des „konservativen oder Bourgeoissozialismus“ - hat sich angesichts der zum Himmel schreienden Verhältnisse dazu entschlossen, den Kampf gegen die von Marx und Engels für unabwendbar und fortschrittlich erklärten Zustände aufzunehmen.

Ein Teil der Bourgeoisie wünscht den sozialen Mißständen abzuhelfen, um den Bestand der bürgerlichen Gesellschaft zu sichern.

Es gehören hierher: Ökonomisten, Philanthropen, Humanitäre, Verbesserer der Lage der arbeitenden Klassen, Wohltätigkeitsorganisierer, Abschaffer der Tierquälerei, Mäßigkeitsvereinsstifter, Winkelreformer der buntscheckigsten Art. Und auch zu ganzen Systemen ist dieser Bourgeoissozialismus ausgearbeitet worden. Als Beispiel führen wir Proudhons »Philosophie de la misère« an. Die sozialistischen Bourgeois wollen die Lebensbedingungen der modernen Gesellschaft ohne die notwendig daraus hervorgehenden Kämpfe und Gefahren. Sie wollen die bestehende Gesellschaft mit Abzug der sie revolutionierenden und sie auflösenden Elemente. Sie wollen die Bourgeoisie ohne das Proletariat…

Unter Veränderung der materiellen Lebensverhältnisse versteht dieser Sozialismus aber keineswegs Abschaffung der bürgerlichen Produktionsverhältnisse, die nur auf revolutionärem Wege möglich ist, sondern administrative Verbesserungen, die auf dem Boden dieser Produktionsverhältnisse vor sich gehen, also an dem Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit nichts ändern, sondern im besten Fall der Bourgeoisie die Kosten ihrer Herrschaft vermindern und ihren Staatshaushalt vereinfachen.

(ebenda)

Nur würde es halt bis zur Weltrevolution selbst im besten Fall etwas dauern; sollte man da jede Verbesserung und Milderung der Verhältnisse zum Wohle der Arbeiter als reaktionär denunzieren?

Enden wir hier mit dem sogenannten „kritisch-utopischen Sozialismus und Kommunismus“, der nicht auf die Entfaltung der revolutionären Klasse des Proletariats durch das ungehemmte Elend hoffen möchte.

Wir reden hier nicht von der Literatur, die in allen großen modernen Revolutionen die Forderungen des Proletariats aussprach. (Schriften Babeufs usw.)

Die ersten Versuche des Proletariats, in einer Zeit allgemeiner Aufregung, in der Periode des Umsturzes der feudalen Gesellschaft direkt sein eignes Klasseninteresse durchzusetzen, scheiterten notwendig an der unentwickelten Gestalt des Proletariats selbst wie an dem Mangel der materiellen Bedingungen seiner Befreiung, die eben erst das Produkt der bürgerlichen Epoche sind. Die revolutionäre Literatur, welche diese ersten Bewegungen des Proletariats begleitete, ist dem Inhalt nach notwendig reaktionär. Sie lehrt einen allgemeinen Asketismus und eine rohe Gleichmacherei.

Die eigentlich sozialistischen und kommunistischen Systeme, die Systeme St-Simons, Fouriers, Owens usw. tauchen auf in der ersten, unentwickelten Periode des Kampfs zwischen Proletariat und Bourgeoisie, die wir oben dargestellt haben. (S[iehe] Bourgeoisie und Proletariat.)

Die Erfinder dieser Systeme sehen zwar den Gegensatz der Klassen wie die Wirksamkeit der auflösenden Elemente in der herrschenden Gesellschaft selbst. Aber sie erblicken auf der Seite des Proletariats keine geschichtliche Selbsttätigkeit, keine ihm eigentümliche politische Bewegung.

Da die Entwicklung des Klassengegensatzes gleichen Schritt hält mit der Entwicklung der Industrie, finden sie ebensowenig die materiellen Bedingungen zur Befreiung des Proletariats vor und suchen nach einer sozialen Wissenschaft, nach sozialen Gesetzen, um diese Bedingungen zu schaffen.
(ebenda)

Nun, wo der Leser erwarten sollte, gute Gründe für die Entfaltung der revolutionären Kräfte des Industrieproletariats unter der ungehemmten Herrschaft der Bourgeoisie genannt zu erhalten, endet das Kommunistische Manifest.

Proletarier aller Länder, vereinigt euch!​

Wie wir heute nach 150 Jahren wissen, ist vom Proletariat noch immer keine Revolution mit der Überwindung des ganzen Elends zu erhoffen.

Jedem Bourgeois war das schon klar.

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Die europäische Wirtschaftskrise von 1847


Häufig werden die Missernten der Jahre 1845 und 1846 für die folgende Krise verantwortlich gemacht. 1845 hatte die Kartoffelfäule die Ernte dezimiert und 1846 dann ein Kälteeinbruch im Sommer die schlechteste Getreideernte seit 100 Jahren verursacht. Nach zeitgenössischen Berichten verhungerten 2 Millionen Menschen in Europa, während die schlechte Ernte für steigende Preise und für Spekulationen mit diesen steigenden Preisen sorgte. 1846 wurde in England der Einfuhrzoll auf Weizen aufgehoben und so der Preisanstieg etwas gedämpft; als im Jahr 1847 aber die beste Ernte seit 100 Jahren eingebracht werden konnte, sanken die Preise schnell und viele Spekulanten verloren ihr Geld.

Gleichzeitig war auch überall die Spekulation mit Eisenbahnpapieren zusammengebrochen, die im Frühjahr 1847 ihren Höhepunkt erreicht hatte.

Die dritte und wohl wichtigere Ursache der europäischen Krise von 1847, die wohl von England ausging oder dort zumindest ihr Zentrum hatte, wird häufig ausgeblendet: die Geldpolitik!

In England war im Jahr 1844 mit Sir Robert Peels „Bank Charter Act“ eine künstliche gesetzliche Vorschrift zur Verknappung der Geldversorgung der britischen Wirtschaft vom Parlament beschlossen worden, die sich verschärfend auf jede deflationäre Rezession auswirken musste.

Weil unter Marxisten von Geldpolitik so selten die Rede ist, will ich zu diesem Thema Marx zitieren, der die monetären Ursachen der Krisen natürlich spätestens mit diesem Text aus dem Jahr 1857 kannte – als gerade die zweite Krise nach dem Vorbild des Jahres 1847 in England die Aufhebung dieser Peelschen Bankakte erzwang.

Karl Marx

Der Bankakt von 1844 und die Geldkrise in England

Geschrieben am 6. November 1857.
Aus dem Englischen.

("New-York Daily Tribune" Nr. 5176 vom 21. November 1857, Leitartikel)


Was die Notenreserve angeht und die maßgebliche Rolle, die sie auf dem Londoner Geldmarkt spielt, so muß man kurz auf Sir Robert Peels Bankakt von 1844 hinweisen, der nicht nur England, sondern auch die Vereinigten Staaten und den gesamten Weltmarkt beeinflußt. Unterstützt von dem Bankier Loyd, dem jetzigen Lord Overstone, und einer Anzahl weiterer einflußreicher Männer, beabsichtigte Sir Robert Peel mit seinem Act, ein selbsttätiges Prinzip für die Papiergeldzirkulation einzuführen, wodurch sich diese genau wie nach den Gesetzen einer reinen Metallgeldzirkulation ausdehnen und zusammenziehen müßte; und alle Geldkrisen würden somit, wie er und seine Anhänger behaupteten, für alle kommenden Zeiten abgewendet werden.

http://www.mlwerke.de/me/me12/me12_314.htm

Natürlich war die Behauptung der Currency-Schule, Bankenpaniken wie 1825 würden durch die Bankakte verhindert, dummes Geschwätz. Richtig ist, dass es sich bei der Bankakte um eine automatische Verschärfung von Deflationskrisen handelt, weil die Ausgabe von Banknoten nicht der aktuellen Entscheidung überlassen bleibt, sondern eben per Gesetz eingeschränkt wird. Andererseits war es sinnvoll, die Geldpolitik in Zukunft durch die Bank von England politisch und zentral zu steuern und nicht dem „freien Spiel der Kräfte“ irgendwelcher Privatbanken zu überlassen, wie es die Vertreter der Bankfreiheits-Schule forderten.

Eine so knappe wie treffende Darstellung finden wir hier:

Die nach Robert Peel, Premierminister von England, benannte Peelsche Bankakte (engl. Peel´s Act) von 1844 ist ein Gesetz, das vordergründig die Organisationsstruktur der Bank of England reformierte und zur Grundlage des Goldstandards sowie zum Vorbild der Währungsgesetzgebung des 19. Jh.s wurde. Das Gesetz beendete mit der Wiedereinführung der Goldwährung eine einmalige Experimentier- und Reformphase in der englischen Währungspolitik und richtete sich an den Forderungen der Currency-Theorie aus.

Kern des Gesetzes ist die Teilung der Bank of England in zwei Abteilungen: eine von den Direktoren geleitete Bank-Abteilung, die weiterhin frei von staatlichen Restriktionen ihre Bankgeschäfte abwickeln konnte, und eine Notengeld-Abteilung, deren fiduziäre (nicht durch Metall gedeckte) Notenemission kontingentiert wurde. Ziel war eine Geldmengenbewegung nach den Regeln einer reinen Metallwährung, sodass die Ausgabe von Banknoten nur entsprechend dem Metallbestand der Noten-Abteilung verändert werden konnte. Mit dieser restriktiven Gesetzgebung glaubte man das Ideal einer "liberalen Währungspolitik" zu verwirklichen, indem man die Währungspolitik nun automatisch auf die scheinbar natürlichen Erfordernisse des Zahlungsbilanzausgleichs ausrichtete.

Das Ausbleiben eines Zusammenbruchs der Zahlungsmittel- und Kreditversorgung Großbritanniens wurde im Wesentlichen durch zwei Umstände verhindert: zum einen durch den Pragmatismus der Regierung, Bestimmungen (vor allem die Deckungsvorschriften) der Peelschen Bankakte in den folgenden Geldkrisen aufzuheben, zum anderen durch das "Versehen", das Buchgeld - gemäß der Currency-Theorie - nicht als Geld zu betrachten, was es erlaubte, das knappe Notengeld durch Schecks und Wechsel zu ersetzen.

http://www.muenzen-lexikon.de/lexikon/p/pp056.html

An den Sorgen der „Liberalen“ um die Wertbeständigkeit ihres Geldes hat sich ja bis heute nichts geändert, so dass wir das Motiv zum Beschluss derartig restriktiver Bankgesetze nicht erst erforschen müssen.

Die Liberalen waren nach dem Ende des Krieges gegen Napoleon daran interessiert, dass die mit einem derartigen Krieg oder auch nur mit einer florierenden Konjunktur verbundene Inflation möglichst brutal rückgängig gemacht wird. Das geht nur über geldpolitisch verursachte Wirtschaftskrisen, Massenerwerbslosigkeit und dadurch sinkende Löhne und Preise.

Für die Deflationskrisen sollte die Peelsche Bankakte automatisch sorgen, also auch der Bank von England per Gesetz jede Maßnahme zur Verhinderung oder wenigstens Linderung der Krisen verbieten.

Die Peelsche Bankakte war so eine Art „Geldmengenregel“ nach dem heute für die weltweite Rezession der 1980er Jahre (ausgelöst durch die Hochzinspolitik des Paul Volcker in der US-Notenbank) berüchtigten Milton Friedman und seinen „Monetaristen“, die ja auch nur mit Wirtschaftskrisen die Inflation verhindern wollen und natürlich ebenfalls behaupten, dass es mit ihrer monetaristischen Geldpolitik keine Wirtschaftskrisen mehr geben würde, wenn man sich vorher genau an ihre Ideen halte.

Eine derartige „Geldmengenregel“ ist natürlich dumm und passt sich nicht den gerade wichtigen ökonomischen Verhältnissen an, wozu es eben ehrenwerte Notenbanker bräuchte, die es im Kapitalismus selbstverständlich auch nicht gibt. Man steht also vor der Wahl, mit einem durch Gesetze erzwungenen Automatismus die Ökonomie in Krisen zu treiben, die es eigentlich nicht bräuchte, oder die Auslösung von Deflationskrisen den Notenbankern zu überlassen, die dabei vielleicht ganz eigennützige und absonderliche – auch politische – Ziele verfolgen.

Robert Peel war der Sohn eines der reichsten Textilfabrikanten der frühen industriellen Revolution; als Innenminister hatte er 1823 mit seinem ersten Bankgesetz die Goldeinlösepflicht durch die Bank von England wieder eingeführt, die aus Anlass des Krieges gegen Napoleon im Jahr 1797 abgeschafft worden war; von 1841bis1846 war er britischer Premierminister, so dass die Bankakte von 1844 nach ihm benannt wurde.

Peels persönlicher Hintergrund war also die Tragödie der einfachen englischen Bürger. Man hatte einst das Agrarland der britischen Bevölkerung weggenommen und in Schafweiden verwandelt, die Menschen dadurch zu hungernden, „freien“ Proleten gemacht, die sich ihren Lebensunterhalt unter heute unvorstellbaren Bedingungen in Bergwerken und Fabriken verdienen mussten und von dem Lohn schlechter leben konnten und in schlimmeren Lumpen herumliefen, als vorher - ohne industrielle Revolution und britische Textilindustrie - in ihren Dörfern mit den zum Anbau von Nahrung genutzten Wiesen und Äckern und selbstgefertigter Kleidung.

Das war die industrielle Revolution und der ganze Gewinn für die Kapitalisten beruhte darauf, die um diesen Preis an menschlichem Elend in England erzeugten Textilien nicht an die eigene Bevölkerung gegen vorher gezahlten Lohn verkaufen zu müssen, sondern ins Ausland zu exportieren. Dafür durfte das Lohn- und Preisniveau im Inland nicht sehr steigen, um immer konkurrenzfähig zu bleiben, weshalb die Liberalen auch den Zoll auf Kornimporte aufheben wollten, würden damit doch die Arbeiter von noch weniger Lohn leben und die Agrarflächen in England noch mehr der Wollerzeugung dienen können.
Jedenfalls sind seit diesen Zeiten Liberalismus und Deflationismus wie siamesische Zwillinge untrennbar miteinander verwachsen.

Die aus diesen Exportinteressen entstandenen Gesetze mussten vorhersehbar für die lohnabhängigen Arbeiter grauenhafte Krisen erzwingen, was Marx bekannt war, auch wenn die Marxisten solche Textstellen bis heute ungern diskutieren und noch in keiner aktuellen Wirtschaftskrise erst einmal die Zinsen senken und eine expansive Geldpolitik betreiben möchten.

In normalen Zeiten wird der Höchstsatz der Noten, die die Bank legal ausgeben darf, niemals von der tatsächlichen Zirkulation absorbiert - eine Tatsache, die hinreichend durch die fortlaufende Existenz einer Notenreserve in der Kasse des Bank-Departments während solcher Perioden bewiesen ist. Man kann diese Wahrheit bestätigt finden, indem man die Berichte der Bank von England von 1847 bis 1857 vergleicht, oder sogar, indem man den Betrag der Noten, die von 1819 bis 1847 tatsächlich zirkulierten, mit dem vergleicht, der nach dem legal festgelegten Höchstsatz eigentlich hätte umlaufen können. In schwierigen Zeiten, wie 1847 und jetzt, werden die Auswirkungen eines Abflusses von Edelmetallen durch die willkürliche und absolute Trennung zwischen den beiden Departments desselben Unternehmens künstlich verschlimmert, wird das Ansteigen der Zinsen künstlich beschleunigt, droht die Aussicht auf Zahlungsunfähigkeit nicht als Folge der wirklichen Zahlungsunfähigkeit der Bank, sondern der fiktiven Zahlungsunfähigkeit eines ihrer Departments.
(Marx, ebenda)

Die Krise verschärft sich also sehr schnell, was der Zweck solcher Gesetze war; dumm nur, dass man die Krise dann nur noch beenden kann, indem diese Gesetze schließlich außer Kraft gesetzt werden. Man wollte ja nicht wirklich den britischen Kapitalismus ruinieren, sondern mit den Krisen regelmäßig die Löhne und Preise senken, um sich den für den ganzen Profit entscheidenden Exportüberschuss zu erhalten.

Die Ereignisse nehmen dann ihren vorhersehbaren Lauf:

Wenn die wirkliche Geldnot somit durch eine künstliche Panik verschärft worden ist und in ihrem Gefolge eine genügende Anzahl Opfer gefallen sind, dann wird der Druck der Öffentlichkeit auf die Regierung zu stark, und das Gesetz wird gerade in der Periode aufgehoben, zu deren Überwindung es geschaffen worden ist und in deren Verlauf es überhaupt nur irgendeine Wirkung hervorbringen kann. So begaben sich am 23. Oktober 1847 die führenden Bankiers aus London zur Downing Street, um dort Abhilfe durch Aufhebung des Peelschen Akts zu verlangen. Lord John Russell und Sir Charles Wood richteten daraufhin an den Gouverneur und an den Stellvertretenden Gouverneur der Bank von England einen Brief, in dem sie ihnen empfahlen, die Ausgabe der Noten zu erhöhen und somit das legale Zirkulationsmaximum zu überschreiten, während sie selbst die Verantwortung für die Verletzung des Gesetzes von 1844 auf sich nahmen und sich bereit erklärten, beim Zusammentreten des Parlaments eine Indemnitäts-Bill einzureichen. Dieselbe Farce wird diesmal wieder aufgeführt werden, nachdem die Verhältnisse dasselbe Niveau erreicht haben, auf dem sie in der am 23. Oktober 1847 endenden Woche standen, als eine gänzliche Einstellung jeglicher Geschäftstätigkeit und aller Zahlungen unmittelbar bevorzustehen schien.
(Marx, ebenda)

Nachdem Marx schon die Krisen von 1847 und 1857 bereits im Jahr 1857 völlig zutreffend analysiert hat, muss man sich gerade wundern, warum davon so wenig die Rede ist und wie sogar Marxisten die monetären Zusammenhänge hinter den wiederkehrenden Absatzkrisen nicht zu kennen scheinen, obwohl Marx daraus kein Geheimnis gemacht und sie schon 1857 in einem Leitartikel der „New-York Daily Tribune“ deutlich beschrieben hat.

Im Jahr 1866, noch einmal fast ein Jahrzehnt später, kam es zur dritten Suspendierung des Peelschen Bankakts, worüber wir uns wieder bei Marx informieren können, der darüber im Zusammenhang mit seiner später noch zu behandelnden Agitation gegen Russland geschrieben hat.

("The Diplomatic Review" vom 2. Dezember 1868)

Herrn Gladstones Brief vom 11. Mai 1866 suspendierte den Bankakt von 1844 unter folgenden Bedingungen:

1. Der Mindestdiskontsatz sollte auf 10 Prozent erhöht werden.

2. Wenn die Bank die gesetzlich festgelegte Beschränkung ihrer Notenemission überschreitet, sollte der Gewinn aus einer solchen Mehremission von der Bank an die Regierung überwiesen werden.

Demzufolge erhöhte die Bank ihren Mindestdiskontsatz auf 10 Prozent (d.h. auf 15 bis 20 Prozent für die gewöhnlichen Kaufleute und Fabrikanten) und verletzte nicht den Buchstaben des Gesetzes von 1844, soweit es die Notenemission anbelangt.

Herrn Gladstones Brief suspendierte daher den Peelschen Bankakt in solcher Weise, daß dessen schlimmste Folgen beibehalten, ja sogar künstlich verstärkt wurden. Ähnliches kann man weder dem Brief von Sir G. C. Lewis aus dem Jahre 1857 noch dem Brief Lord John Russells von 1847 nachsagen.

Nachdem also der Mindestdiskontsatz von 10 Prozent mehr als drei Monate gehalten worden war, folgte die unvermeidliche Reaktion. Von 10 Prozent ging der Mindestsatz rapide auf 2 Prozent zurück, und dies ist auch vor wenigen Tagen noch der offizielle Banksatz gewesen. Unterdes waren alle englischen Wertpapiere, Eisenbahnaktien, Bankaktien, Bergwerksaktien, alle Arten inländischer Investments außerordentlich im Wert gesunken und wurden sorgsam gemieden. Sogar die Konsols fielen. (Einmal, während der Panik, verweigerte die Bank die Zahlung von Darlehen auf Konsols.) Da war die Stunde für Auslandsinvestments gekommen. Auf dem Londoner Markt wurden ausländische Regierungsanleihen zu den günstigsten Bedingungen abgeschlossen. An erster Stelle stand eine russische Anleihe von 6 Millionen Pfund Sterling. Diese russische Anleihe, die einige Monate zuvor an der Pariser Börse jämmerlich gescheitert war, wurde jetzt an der Londoner Börse als Gottesgabe begrüßt. Vergangene Woche erst hat Rußland eine neue Anleihe von 4 Millionen Pfund Sterling aufgelegt. Im Jahre 1866 brach Rußland, genau wie jetzt (9. November 1868), fast unter der Last finanzieller Schwierigkeiten zusammen, die infolge der Agrarrevolution, welche es jetzt durchmacht, einen höchst erschreckenden Charakter angenommen haben.

Daß Rußland auf dem englischen Geldmarkt Tür und Tor geöffnet werden, ist noch das wenigste, was der Peelsche Bankakt für Rußland tut. Dieses Gesetz liefert England, das reichste Land der Welt, buchstäblich der Gnade der Moskowiter Regierung aus, der zahlungsunfähigsten Regierung Europas.

http://www.mlwerke.de/me/me16/me16_334.htm

Die Geldpolitik und ihre Auswirkungen für Konjunktur und Beschäftigung sollten also für Marxisten eigentlich kein Rätsel mit unlösbaren Siegeln sein.
 
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In Frankreich, wo im Februar 1848 die erste Revolution ausbrechen sollte, hatte es ebenfalls 1847 eine Finanzkrise gegeben.

The crisis which burst in 18 47 exposed that difficult adaption of financial structures to the needs of the new industrial economy. A series of bankruptcies struck private banks and companies. The Bank of France, whose gold reserves diminished by two-thirds in a few months, could only meet its liabilities by borrowing from English banks and raising its discount rate from 4% to 5%. The immediate effect of that credit crisis that gripped the heavy sector weighted down on the mass of investments in plants and borrowing, then those of the associated industries, and finally halting construction. The government of Louis Philippe postponed spending a billion francs of public works, the equivalent of five hundred million days of work. Between 1847 and the beginning of 1848 the value of the production of heavy metals diminished by a third and then by a half. In its wake, mining receded by 20%. And as the value of product was reduced, some fixed costs remained. Despite the lower turn over and profit, certain element s of the cost of production, rents, taxes, interest on invested capital persisted.
http://www.ohiou.edu/~Chastain/dh/feco.htm

Öffentliche Arbeiten im Umfang von 2 Millionen Mannjahren und eine antizyklische Finanzpolitik zur Linderung der Krisen waren also längst vor der „Entdeckung“ des Keynesianismus dem französischen König Louis Philippe eingefallen.

Die Marxisten freilich wollen bis heute davon nichts wissen, denn seit dieser Zeit hält sich die Hoffnung, dass eine Depression der Ökonomie die beste Ausgangslage für revolutionäre Erfolge wäre. Man übersieht dabei allerdings, dass sowohl die Krise das Werk des „Liberalismus“ war, als auch die Revolutionen dessen Ziele verfolgten. Die Krisen wie die Revolutionen dienten den Zielen der Liberalen. Und warum kam es gerade in England mit all seinem Massenelend zu keiner Revolution?

Anders in Frankreich mit der Februarrevolution:

The wave of bankruptcies worried the bourgeoisie. The most wealthy certainly attributed the difficulties to the government's lack of foresight, obstinately refusing any reform. Workers and peasants all felt the effects of the rise in the price of bread, the decrease in wages (up to 30% in northern textile factories), and persistence of unemployment. The uprising of February 24 broke out in "victimized" France.

Revolution was welcomed with hope and fervor by workers, peasants, and the modest layers of the bourgeoisie. But, because it worried the possessors, it interrupted the timid economic recovery. The financial elite wanted to demonstrate that social agitation and proclamation of a republic impeded the business climate. A panic took hold of the bourgeoisie. Between February 24 and 27, prices collapsed on the stock exchange. Suddenly, from a fear of the future, the French hoarded gold. Clients rushed to the Bank of France to exchange their notes for gold; the balance fell from 226 million to 70 by March 4. It was necessary to suspend free exchange of bank notes and to raise the ceiling on emissions from 250 to 350 million. This led to a new cascade of private bank bankruptcies. Clients of savings banks could only withdraw a hundred francs in specie; the remainder was payable half in treasury notes and the balance converted to a permanent and non-refundable annuity.

In the climate of quasi-bankruptcy, the provisional government had to face the deficit left it by the July Monarchy (20% of the normal budget). It solicited voluntary contributions and launched a national loan, but without much success. On March 16 it was forced to increase direct taxes 45%. This did not assu re the indispensable immediate collection, but provoked immense popular resistance.

(ebenda)

Auch die deutsche Märzrevolution wird häufig im Zusammenhang mit der Krise von 1847 gesehen:

Ein unmittelbarer Vorbote der Märzrevolutionen im damaligen Zentraleuropa war das Krisenjahr 1847, dem eine schwere Missernte 1846 vorausging. In den deutschen Staaten bedeutete dies eine Verteuerung der Lebensmittel, daraus folgend Hungersnöte und Hungerrevolten in fast allen deutschen Staaten und Regionen. Viele auch ärmere, vom Pauperismus (vorindustrielle Massenarmut) betroffene Bevölkerungsschichten wie Arbeiter, verarmte Handwerker, Landarbeiter usw. schlossen sich, bedingt durch ihre soziale Not, daraufhin zunehmend den Forderungen demokratisch und liberal gesinnter Kreise an.
http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Revolution_1848/49

In Preußen war es schließlich der hohe Finanzbedarf des staatlichen Engagements im Eisenbahnbau, wodurch der König Wilhelm IV. im Jahr 1847 gezwungen war, den Vereinigten Landtag, eine Versammlung aller preußischer Provinzialstände einzuberufen, weil nach dem Staatsschuldengesetz aus dem Januar 1820 neue Staatsschulden nur mit einer „Garantie“ der Reichsstände aufgenommen werden konnten.

Als der Vereinigte Landtag regelmäßige Sitzungsperioden für seine Zustimmung zu den Krediten forderte, wurde er aufgelöst und kam danach nur noch einmal zusammen, um die Einberufung der Nationalversammlung zu beschließen.

Mit der Einberufung der Generalstände hatte einst die französische Revolution begonnen. :D

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Hintergründe der Februarrevolution in Frankreich


Das Revolutionsjahr 1848 begann mit der Februarrevolution in Frankreich, die zum auslösenden Ereignis für die Märzrevolution vor allem in den Ländern des Deutschen Bundes wurde.

Mit der Niederlage Napoleons war es in Frankreich zu einer Restauration der Monarchie der Bourbonen mit Ludwig XVIII. als König gekommen. Die überwiegenden und wesentlichen Teile der aus der Revolution stammenden Verfassung, Verwaltungsordnung und Eigentumsverhältnisse wurden dabei allerdings übernommen. Den „Weißen Terror“ der Royalisten gegen Revolutionsanhänger und Protestanten konnte der König aber nicht verhindern.

Nach Ludwigs Tod im Jahr 1824 folgte Karl X. auf dem Thron, der als letzter Bourbone durch die Julirevolution 1830 gestürzt wurde. Unter seiner Herrschaft, er war vorher der Führer der Ultraroyalisten gewesen, kam es zu einem wachsenden Einfluss von Jesuiten und Ultramontanen in Frankreich, absehbar sollte die Macht des Adels wiederhergestellt werden. Angesichts einer wachsenden liberalen Opposition bildete Karl X. eine „Regierung aus Priestern, durch Priester, für Priester“ (wiki), löste die protestierenden Kammern auf und setzte die Konstitution außer Kraft, weil in Neuwahlen vorhersehbar die Opposition gewonnen hätte.

Der von der Bourgeoisie angestiftete Aufstand von Handwerkern, Arbeitern und Studenten im Juli 1830 traf Karl X. völlig unvorbereitet und als Louis-Philippe, Herzog von Orléans, die französische Krone annahm, zog Karl X. sich ins Exil nach England zurück.

Damals hätte eine Ausrufung der Republik in Frankreich ein Eingreifen der Heiligen Allianz ausgelöst, so dass sich unter einer konstitutionellen Monarchie eines „Bürgerkönigs“ das Großbürgertum mit seinen Politikern wie Thiers und Guizot durchsetzte.

Francois Guizot war ein Schriftsteller, dem nicht nur das zynische Motto „bereichert Euch“ unter Louis-Philippe zugeschrieben wird, sondern zusammen mit dem Historiker Augustin Thierry auch die Idee, dass die Geschichte durch Klassenkämpfe bestimmt sei.

Augustin Thierry vertrat mit Francois Guizot die Auffassung, die Geschichte beruhe auf einer Abfolge von Klassenkämpfen. Karl Marx berief sich audrücklich auf beide. In der Thierryschen Version des Klassenkampfes kämpfte das Bürgertum, die Nachfahren der vor der germanischen Einwanderung nach Frankreich freien Kelten, gegen den Adel, die Nachfahren der fränkischen Eroberer. In der Französischen Revolution von 1789, so Thierry (und andere)befreiten sich die Bürger/Gallier von den Adeligen/Franken. Diese merkwüdige Verbindung des soziologischen Gedankens des Klassenkampfes mit älteren mythischen Vorstellungen über eine französische, eben gallische Urzeit, zu deren Verhältnissen man mit der Revolution und der Wiedergewinnung der keltischen Freiheit zurückkehrte, beherrschte die französische Geschichtsschreibung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts.
http://de.wikipedia.org/wiki/Augustin_Thierry

Der Bürgerkönig war der Sohn jenes „Philippe Égalité“, der vor der Revolution in Frankreich ein intimer Freund des Georg IV. von England und ein Feind des französischen Königs und vor allem der Königin geworden war, englischen Einfluss nach Frankreich gebracht hatte und im Juni 1789 jene 47 Adlige anführte, die sich vom Adel abspalteten und dem Dritten Stand anschlossen. Durch seine Heirat war „Philippe Égalité“ zum reichsten Mann Frankreichs geworden und der Hof sah das „Gold von Orléans“ als die treibende Kraft hinter den revolutionären Erhebungen in Frankreich; es soll allerdings Rivalitäten mit dem Führer der Freimaurer und auch sehr vermögenden Marquis de La Fayette gegeben haben.

Als Citoyen Égalité hatte er im Konvent für die Hinrichtung Ludwigs XVI. gestimmt, zur Zeit der Terrorherrschaft führte die Flucht seines Sohnes, des späteren Bürgerkönigs, zusammen mit dem General Dumouriez zu den Österreichern zur Verhaftung und Hinrichtung des Vaters im November 1793.
Maßgeblich für die Entscheidungen im Juli 1830 war neben dem schon erwähnten Thiers der Bankier Jacques Laffitte.

Laffitte war eines von zehn Kindern eines Zimmermanns. Er wurde Angestellter im Bankhaus von Perregaux in Paris. 1800 wurde er dort Partner, 1804 folgte er Perregeux als Leiter des Hauses. Perregaux, Laffitte et Cie. wurde eines der größten Geldinstitute in Europa. Laffitte wurde 1809 Mitglied des Aufsichtsrates, 1814 dann Präsident der Bank von Frankreich und Präsident der Handelskammer. Er stellte 1814 große Geldmengen für die Übergangsregierung zur Verfügung und für König Ludwig XVIII. während der „Hundert Tage“. Bei ihm hinterlegte Napoléon Bonaparte fünf Millionen Francs, bevor er Frankreich zum letzten Mal verließ.
http://de.wikipedia.org/wiki/Jacques_Laffitte

In seinem Pariser Haus trafen sich die Anhänger der revolutionären Partei und als Präsident des Abgeordnetenhauses vereidigte er den Louis-Philippe. Die Revolutionen wurden von den großen Bankiers betrieben, die demonstrierenden Arbeiter waren nur ihr Werkzeug, was man unbedingt beachten sollte, ehe man mit Marx die Revolution von den Arbeitern erwartet.

Der Ruf des Mob in Paris nach dem Tod der gefangenen Minister von Charles X. fand seinen Höhepunkt in den Oktober-Unruhen, an denen auch moderatere Mitglieder der Regierung teilnahmen - einschließlich François Guizot, dem Duc de Broglie und Casimir Pierre Périer — um eine Regierungsübergabe an Minister zu verlangen, die das Vertrauen der revolutionären Partisanen hatten. Am 5. November wurde Jacques Laffitte Ministerpräsident ... Die angeklagten Minister wurden durch den Mut des Oberhauses und durch die National Guarde gerettet; aber ihre Sicherheit ging auf Kosten von Laffittes Popularität.
(ebenda)

Im März 1831 erfolgte der Rücktritt von Laffitte, der politisch diskreditiert und finanziell ruiniert war.

Das Großbürgertum erlebte einen Aufschwung unter Louis-Philippe, das Proletariat und die Bauernschaft zählten zu den Verlierern, soziale Probleme wurden ignoriert, was zu einer wachsenden Popularität des Charles-Louis-Napoléon Bonaparte, des späteren Napoleon III. - eines Neffen Napoleons, führte, der seiner Politik einen sozialen Anspruch gab.

Für die Verhältnisse in Frankreich unter Louis-Philippe ist der Dichter Heinrich Heine eine gute Quelle. Gegen die Presse wurde von der Justiz kaum eingeschritten - auch Karl Marx hätte wegen des „Vorwärts!“ Frankreich nicht verlassen müssen, alle anderen Verantwortlichen und Beteiligten blieben dort - und die Zeitungen konnten publizieren, wofür sie von ihren Geldgebern bezahlt wurden, ganz nach den Grundsätzen bürgerlicher Pressefreiheit.

Die preußische Pressezensur lobte Heinrich Heine im Vergleich zur Situation in Frankreich, waren die Zensoren doch hoch gebildete Leute, an deren Einsicht und Vernunft sich appellieren ließ, während die Presse in Frankreich allein dem Geschäftsinteresse der Geldgeber ausgeliefert war. Der Komponist und Bankierssohn Meyerbeer hatte die Gründung des „Vorwärts!“ finanziert, dessen Redakteur Börnstein noch als Pariser Korrespondent der Wiener „Allgemeine Theaterzeitung“ und anderer Blätter etwa in Frankfurt und vielen anderen deutschsprachigen Städten arbeitete, womit die Kompositionen gebührend gelobt wurden.

Heinrich Heine hat dies alles gut beschrieben:

Die französische Tagespresse ist gewissermaßen eine Oligarchie, keine Demokratie; denn die Begründung eines französischen Journals ist mit so vielen Kosten und Schwierigkeiten verbunden, daß nur Personen, die imstande sind, die größten Summen aufs Spiel zu setzen, ein Journal errichten können. Es sind daher gewöhnlich Kapitalisten oder sonstige Industrielle, die das Geld herschießen zur Stiftung eines Journals; sie spekulieren dabei auf den Absatz, den das Blatt finden werde, wenn es sich als Organ einer bestimmten Partei geltend zu machen verstanden, oder sie hegen gar den Hintergedanken, des Journal späterhin, sobald es eine hinlängliche Anzahl Abonnenten gewonnen, mit noch größerem Profit an die Regierung zu verkaufen. Auf diese Weise, angewiesen auf die Ausbeutung der vorhandenen Parteien oder des Ministeriums, geraten die Journale in eine beschränkende Abhängigkeit und, was noch schlimmer ist, in eine Exklusivität, eine Ausschließlichkeit bei allen Mitteilungen, wogegen die Hemmnisse der deutschen Zensur nur wie heitere Rosenketten erscheinen dürften. Der Redakteur en chef eines französischen Journals ist ein Kondottiere, der durch seine Kolonnen die Interessen und Passionen der Partei, die ihn durch Absatz oder Subvention gedungen hat, verficht und verteidigt. Seine Unterredakteure, seine Lieutenants und Soldaten, gehorchen mit militärischer Subordination, und sie geben ihren Artikeln die verlangte Richtung und Farbe, und das Journal erhält dadurch jene Einheit und Präzision, die wir in der Ferne nicht genug bewundern können. Hier herrscht die strengste Disziplin des Gedankens und sogar des Ausdrucks.
http://www.heinrich-heine-denkmal.de/heine-texte/lutetia11.shtml

Heine kannte sich in den Verhältnissen aus, war er doch selber auf die Zuwendungen seines Onkels Salomon, eines Bankiers in Hamburg, angewiesen, trotz der von der französischen Regierung - deren Ministerium Guizot – angewiesenen Unterstützung. Auch der Dichter kann nur erfolgreich sein, wenn er in den Salons verkehrt, was sich nicht unbedingt von selber bezahlt macht. Sogar der regelmäßige Besuch im Hause Rothschild in Paris scheint dem Heine kein Geld gebracht zu haben, obwohl es politisch und gesellschaftlich sich wichtig war, die Zeit und noch mehr die benötigten Mittel für den Umgang in diesen Kreisen aufzuwenden.

Die Familie Rothschild verdankte ihren ungeheuren Aufstieg dem Krieg Englands gegen Napoleon, der Finanzierung und Transaktion der gewaltigen Zahlungen Englands an die Truppen des Wellington in Spanien und vor allem an die englischen Verbündeten. Die Gelder sollten die zuletzt schnell gegen Napoleon vorrückenden Truppen schon erwarten, so dass die preußischen, russischen und österreichischen Truppen ständig gut versorgt waren und nicht auf Beschlagnahme und gar Plünderungen zu ihrer Versorgung angewiesen waren, was dem Napoleon zusätzliche Sympathien und Unterstützung eingebracht hätte.

Dank der Agenten Rothschilds flossen die englischen Hilfsgelder sogar direkt über Paris, wo sich James Rothschild befand, nach Spanien, wobei sie in die jeweils lokal benötigten Währungen umgewechselt wurden. Ebenso die englischen Gelder, die über die Niederlande nach Preußen und Österreich verbracht wurden. Das englische Gold wurde also nicht nur mitten durch das französische Herrschaftsgebiet geleitet, sondern ganz nach dem momentanen Bedarf der englischen und verbündeten Truppen umgemünzt und den vorrückenden Verbänden ausgehändigt oder gleich in die benötigten Waren umgesetzt.

Der umfangreiche Transfer von Gold und Gütern war der französischen Polizei nicht verborgen zu halten. Sogar Napoleon selber wurde von seinem Marschall Davout gewarnt, hat das Problem aber anscheinend für nicht weiter wichtig gehalten. Die Rothschilds hatten anscheinend Rückhalt durch den französischen Finanzminister Graf von Mollien, dem sie entweder erfolgreich einreden konnten, sie würden zum Schaden Englands Gold von der Insel abziehen, oder aber, falls er dafür zu intelligent war, eine entsprechende Summe Bestechungsgelder für den Schutz vor massiven Nachforschungen der Polizei zukommen ließen, falls das überhaupt erforderlich war, weil man es womöglich ohne Bemühungen von James Rothschild längst mit einem britischen Agenten zu tun hatte .

The events of the French Revolution threatened at times to overwhelm Mollien. In 1794 he was brought before the revolutionary tribunal of Évreux as a suspect, and narrowly escaped the fate that befell many of the former farmers-general. He retired to England, where he observed the financial measures adopted at the crisis of 1796-1797.

After the coup d'état of 18 Brumaire (November 1799) he re-entered the ministry of finance, then under Gaudin, who entrusted to him important duties as director of the new caisse d'amortissement. Napoleon, hearing of his abilities, frequently consulted him on financial matters, and after the Proclamation of the Empire (May 1804) made him a councillor of state. The severe financial crisis of December 1805 to January 1806 served to reveal once more his sound sense.
Napoleon, returning in haste not long after the Battle of Austerlitz, dismissed Barbé-Marbois from the ministry of the treasury and confided to Mollien those important duties.

He soon succeeded in freeing the treasury from the interference of great banking houses. In other respects, however, he did something towards curbing Napoleon's desire for a precise regulation of the money market. The conversations between them on this subject, as reported in Mollien's Mémoirs, are of high interest, and show that the ministry had a far truer judgement on financial matters than the emperor, who often twitted him with being an ideologue.

http://en.wikipedia.org/wiki/Nicolas_François,_Count_Mollien

Immer wieder verwunderlich, mit welchem Vertrauen man Leute bis in höchste Positionen Karriere machen ließ, die sich in wichtigen Lebensabschnitten in England aufgehalten hatten und da Kontakte in maßgeblichen Kreisen gewonnen haben mussten.

Man muss sich überhaupt über manche Naivität wundern:

In the final years of the Napoleonic Wars, Napoleon allowed English smugglers entry into the French ports of Dunkirk and Gravelines, encouraging them to run contraband back and forth across the Channel. Gravelines catered for up to 300 English smugglers, housed in a specially constructed compound known as the ‘city of smugglers’. Napoleon used the smugglers in the war against Britain. The smugglers arrived on the French coast with escaped French prisoners of war, gold guineas, and English newspapers; and returned to England laden with French textiles, brandy, and gin. Smuggling remains a neglected historical subject, and this episode in particular – the relationship between English smugglers and the Napoleonic state between 1810 and 1814 – has attracted little scholarly interest. Yet it provides a rich historical source, illuminating not only the history of Anglo-French Channel smuggling during the early nineteenth century, but offering insights into the economic, social, and maritime history of the Napoleonic Wars.
http://journals.cambridge.org/actio...DBA379D9F.tomcat1?fromPage=online&aid=1008272

Zu Rothschild und den britischen Hilfsgeldern lese man Baron Egon Caesar Corti „Der Aufstieg des Hauses Rothschild“.

http://books.google.co.uk/books?id=...&hl=en&sa=X&oi=book_result&resnum=6&ct=result
 
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Jedenfalls waren die Rothschilds nach der Niederlage Napoleons mit Geld und europaweiten Agentennetzen politisch sehr einflussreich, auch weiterhin wohl für britische Politik tätig. In Frankreich unter dem Bürgerkönig hatten sich allerdings zuletzt eher antisemitische Kräfte durchgesetzt, wie Heine hier noch zeigt:

Vorstehende Andeutungen befördern vielleicht das Verständnis mancher unbegreiflichen Erscheinungen, und ich überlasse es dem deutschen Leser, allerlei nützliche Belehrung daraus zu schöpfen. Zunächst aber mögen sie zur Aufklärung dienen, weshalb die französische Presse in betreff der Juden von Damaskus nicht so unbedingt sich zugunsten derselben aussprach, wie man gewiß in Deutschland erwartete. Ja, der Berichterstatter der »Leipziger Zeitung« und der kleineren norddeutschen Blätter hat sich keine direkte Unwahrheit zuschulden kommen lassen, wenn er frohlockend referierte, daß die französische Presse bei dieser Gelegenheit keine sonderliche Sympathie für Israel an den Tag legte. Aber die ehrliche Seele hütete sich wohlweislich, den Grund dieser Erscheinung aufzudecken, der ganz einfach darin besteht, daß der Präsident des Ministerkonseils, Herr Thiers, von Anfang an für den Grafen Ratti-Menton, den französischen Konsul von Damaskus, Partei genommen und den Redakteuren aller Blätter, die jetzt unter seiner Botmäßigkeit stehen, in dieser Angelegenheit seine Ansicht kundgegeben. Es sind gewiß viele honette und sehr honette Leute unter diesen Journalisten, aber sie gehorchen jetzt mit militärischer Disziplin dem Kommando jenes Generalissimus der öffentlichen Meinung, in dessen Vorkabinett sie sich jeden Morgen zum Empfang der Ordre du jour zusammen befinden und gewiß ohne Lachen sich einander nicht ansehen können; französische Haruspices können ihre Lachmuskeln nicht so gut beherrschen wie die römischen, von denen Cicero spricht. In seinen Morgenaudienzen versichert Herr Thiers mit der Miene der höchsten Überzeugung, es sei eine ausgemachte Sache, daß die Juden Christenblut am Paschafeste söffen, chacun à son goût, alle Zeugenaussagen hätten bestätigt, daß der Rabbiner von Damaskus den Pater Thomas abgeschlachtet und sein Blut getrunken – das Fleisch sei wahrscheinlich von geringern Synagogenbeamten verschmaust worden; – da sähen wir einen traurigen Aberglauben, einen religiösen Fanatismus, der noch im Oriente herrschend sei, während die Juden des Okzidentes viel humaner und aufgeklärter geworden und mancher unter ihnen sich durch Vorurteilslosigkeit und einen gebildeten Geschmack auszeichne, z.B. Herr von Rothschild, der zwar nicht zur christlichen Kirche, aber desto eifriger zur christlichen Küche übergegangen und den größten Koch der Christenheit, den Liebling Talleyrands, ehemaligen Bischofs von Autun, in Dienst genommen.
http://www.heinrich-heine-denkmal.de/heine-texte/lutetia11.shtml

Als sich Louis-Philippe zuletzt noch der Heiligen Allianz annäherte, die ja vorrevolutionäre Verhältnisse wieder herstellen wollte, wurden vom Großbürgertum die üblichen Maßnahmen für seinen Sturz getroffen.

Man forderte zunächst eine Reform des Wahlrechts, das in Frankreich ein Zensuswahlrecht war. Das Zensuswahlrecht begünstigt zwar die Reichen in einer Gesellschaft, aber ein allgemeines und gleiches Wahlrecht ist im Interesse jener winzigen Gruppe von Superreichen, die sich die vom einfachen Volk gewählten Parteien und Politiker um so leichter kaufen können, je ahnungsloser die von der Presse getäuschten Massen sind.

Bei einem Zensuswahlrecht dagegen hat man es doch eher mit einer gut informierten Schicht von Wählern und finanziell unabhängigen und womöglich unbestechlichen Politikern zu tun, weshalb also das wirklich mächtige Finanzkapital das allgemeine Wahlrecht bevorzugt, bei dem das eher gutinformierte und organisierte kleine und mittlere Bürgertum marginalisiert wird.

Als Louis-Philippe am 21. Februar ein Bankett zum Wahlrecht verbot, kam es zu Unruhen von Arbeitern und Studenten mit heftigen Straßen- und Barrikadenkämpfen. Schon am 24. Februar musste der Ministerpräsident Guizot zurücktreten und wenig später floh Louis-Philippe nach seiner Abdankung als König ins Exil nach England.

An der ersten Revolutionsregierung mussten zur Beruhigung der Straße auch linke Exponenten wie Luis Blanc beteiligt werden und jener Ferdinand Flocon, von dem Marx am 3. März eine Einladung nach Paris erhielt, nachdem eine Brüsseler „Association Démocratique“ unter dem Einfluss von Marx ein Grußschreiben an die neue provisorische Regierung in Paris verfasst hatte.

Wie sehr die politischen Verhältnisse von der geldpolitisch verursachten Absatzkrise beeinflusst waren, kann man an der Einrichtung von sogenannten „Nationalwerkstätten“ für die vielen Arbeitslosen gleich nach der Februarrevolution ersehen. Dabei wurden allerdings nicht die linken Ideen eines Louis Blanc verwirklicht, sondern das Großbürgertum suchte mit Arbeitsdisziplin die Aufrührer wieder von der Straße zu bekommen. Später wurde von der Reaktion auch in anderen Ländern behauptet, in den Nationalwerkstätten wären die Ideen des Luis Blanc und vieler anderer fortschrittlicher Kräfte zur Arbeitsbeschaffung in Krisenzeiten gescheitert, aber es war von vornherein nicht vorgesehen gewesen, mit den Nationalwerkstätten auf dem Markt konkurrenzfähige, produktive Betriebe aufzubauen.

Die Schließung der Nationalwerkstätten schon im Juni führte zu einem von Nationalgarde und Armee blutig niedergeschlagenen Aufstand der Arbeiter in Paris. Das Großkapital hatte in Frankreich vorerst gesiegt und brauchte die Arbeiter und Studenten nicht mehr.

Allerdings kam schon bei der Wahl im Dezember 1848 Luis Napoléon mit überwältigender Mehrheit ins Amt des Staatspräsidenten, weil er auch von den Arbeitern aus Rache am Bürgertum die Stimmen erhielt. Er sollte die Zweite Republik drei Jahre später im Dezember 1851mit einem Staatsstreich beseitigen und sich zum Kaiser Napoléon III. erklären lassen.
 
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Friedrich Engels ist eine brauchbare Quelle für die nun fast europaweit ausbrechenden revolutionären Aufstände und ihre Hintergründe in den einzelnen Ländern.

Für Belgien dokumentiert Engels die gewaltigen Ausmaße der Absatzkrise der Wirtschaft und der Einbrüche an den Börsen:

Die braven Bürger von Brüssel, die sich noch vor wenigen Tagen nicht scharf genug gegen jegliche Absicht verwahren konnten, dem Beispiel der Französischen Republik zu folgen, haben den Rückschlag der Pariser Finanzkrise zu spüren bekommen. Während sie noch gegen die politische Nachahmung zeterten, erlitten sie schon die finanzielle Nachahmung. Während sie noch Hymnen auf die belgische Unabhängigkeit und Neutralität sangen, fanden sie die Brüsseler Börse in vollkommenster und demütigendster Abhängigkeit von der Börse in Paris. Der Kordon von Truppen, der die Südgrenze besetzt hält, hat keineswegs die Baisse der Börsenpapiere daran gehindert, mit Paukenschlägen in das garantiert neutrale Gebiet Belgiens einzufallen.

Die Bestürzung, die auf dem Brüsseler Markt herrscht, hat in der Tat restlos alles erfaßt. Der Bankrott dezimiert den mittleren und den Kleinhandel, die Börsenpapiere finden keine Käufer mehr, die Notierungen sind rein nominell, das Geld verschwindet schneller noch als in Paris, der Handel stagniert völlig, und die meisten Fabrikanten haben bereits ihre Arbeiter entlassen. Hier einige Beispiele für die allgemeine Entwertung: Vor einigen Tagen bot ein Kaufmann 150 Aktien der Dendre-Eisenbahngesellschaft - Effekten, die vor der Februarrevolution an der Londoner Börse über pari gestanden hatten - je Aktie zu 100 Francs -, zum Verkauf an. Am ersten Tag lehnte er 45 Francs ab, am zweiten 35 Francs; am dritten verkaufte er sie zu 10 Francs pro Aktie! Grundstücke, die vor zwei Jahren für sechstausend Francs gekauft wurden, finden für ein Drittel dieser Summe keinen Käufer mehr.

Und in diesem Augenblick allgemeiner Panik fordert die Regierung zuerst einen Vorschuß von zwei Dritteln der direkten Steuern und dann eine Zwangsanleihe von fünfzig bis sechzig Millionen und jagt so den wegen des ständig wachsenden Budgets ohnehin unzufriedenen Steuerzahlern Angst und Schrecken ein.

Engels, Brüssel, 18. März
http://www.ml-werke.de/marxengels/me04_541.htm

Der Leser möge es mir nachsehen, dass ich das Auge nicht auf die Worte und Gesänge der Dichter von Freiheit und Demokratie richte, sondern auf die tiefere Ursache des Geschehens, die heute fast vergessen ist, aber damals natürlich kaum zu übersehen war.

Und in diesem Augenblick allgemeiner Panik fordert die Regierung zuerst einen Vorschuß von zwei Dritteln der direkten Steuern und dann eine Zwangsanleihe von fünfzig bis sechzig Millionen und jagt so den wegen des ständig wachsenden Budgets ohnehin unzufriedenen Steuerzahlern Angst und Schrecken ein.

Zustände dieser Art haben unsere braven Bürger dann doch davon überzeugt, daß ihre Begeisterung für die Monarchie ihnen weiter nichts eingebracht hat, als in die Unannehmlichkeiten, hervorgerufen durch die Lage in Frankreich, voll und ganz hineingezogen zu werden, ohne Nutzen aus den dort erkämpften Vorteilen ziehen zu können. Das ist der treibende Grund ihres erwachenden Republikanertums.

Mittlerweile sind die Arbeiter keineswegs ruhig. In Gent gab es mehrere Tage lang Unruhen; hier ist es vorgestern nach zahlreichen Ansammlungen von Arbeitern zu einer Petition an den König gekommen, die Leopold persönlich aus den schwieligen Händen, die sie ihm überreichten, entgegenzunehmen geruhte. Demonstrationen ernsteren Charakters werden nicht auf sich warten lassen. Mit jedem Tag werden zahlreiche Gruppen von Arbeitern aus dem Arbeitsprozeß ausgestoßen. Die Entwicklung der industriellen Krise braucht nur anzudauern, und die Geister in der Arbeiterklasse brauchen sich nur um ein weniges mehr zu erhitzen, dann wird die belgische Bourgeoisie, ganz wie die von Paris, schon ihre "Vernunftehe" mit der Republik eingehen.

(Engels, ebenda)

In der „Deutsche-Brüsseler-Zeitung“ vom 23. Januar 1848 hatte Engels einen Überblick der europäischen Geschehnisse im Jahr 1847 geliefert und die zu erwartenden Ereignisse mit erstaunlicher Präzision angekündigt.

Gewiß, 1847 war das bewegteste Jahr, das wir seit langer Zeit gehabt haben. In Preußen eine Konstitution und ein Vereinigter Landtag, in Italien ein unerwartet schnelles Erwachen des politischen Lebens und allgemeine Bewaffnung gegenüber Östreich, in der Schweiz ein Bürgerkrieg, in England ein neues Parlament mit entschieden radikaler Färbung, in Frankreich Skandale und Reformbanketts, in Amerika Eroberung Mexikos durch die Vereinigten Staaten - das ist eine Reihe Veränderungen und Bewegungen, wie keins der letzten Jahre sie aufzuweisen hat.
http://www.ml-werke.de/marxengels/me04_494.htm

Wegen eines verbotenen Wahlreformbanketts sollte es dann fast genau einen Monat später in Paris zu den großen Protesten und zum Sturz des Königs kommen.

Von den Bewegungen und Veränderungen des Jahres 1847 waren die bedeutendsten die in Preußen, in Italien und in der Schweiz.

In Preußen wurde Friedrich Wilhelm IV. endlich zu einer Konstitution gezwungen. Der unfruchtbare Don Quijote von Sanssouci kam nach langen Kämpfen und Wehen mit einer Verfassung nieder, die den Sieg der feudalistisch-patriarchalisch-absolutistisch-bürokratisch-pfäffischen Reaktion auf ewig sicherstellen sollte. Aber er hatte sich verrechnet. Die Bourgeoisie war schon mächtig genug geworden, um selbst in dieser Verfassung eine Waffe gegen ihn und sämtliche reaktionäre Klassen der Gesellschaft zu finden. Wie überall, fing sie auch in Preußen damit an, ihm die Gelder zu verweigern. Der König war in Verzweiflung. Man kann sagen, daß in den ersten Tagen nach den Geldverweigerungen Preußen gar keinen König hatte; es war in voller Revolution, ohne es zu wissen. Da kamen zum Glück die fünfzehn russischen Millionen und Friedrich Wilhelm wurde wieder König, die Bourgeois des Landtags knickten erschrocken zusammen, und die revolutionären Gewitterwolken verzogen sich.

(ebenda)

Die Krise zwang die Regierungen und Fürsten, um Kredite zu betteln; für Preußen sollten die Hoffnungen von Engels aber nicht eintreffen.

Die Frage, wer in Preußen herrschen soll, ob die Allianz zwischen Adel, Bürokraten, Pfaffen mit dem König an ihrer Spitze, oder die Bourgeoisie, ist jetzt so gestellt, daß sie für die eine oder die andere Seite entschieden werden muß. Auf dem Vereinigten Landtag war noch ein Vergleich beider Parteien möglich; jetzt ist er's nicht mehr. Es gilt jetzt einen Kampf auf Tod und Leben zwischen beiden...

Wir können also mit der größten Ruhe diese preußische Revolution abwarten. 1849 wird der Vereinigte Landtag wieder berufen werden müssen, der König mag wollen oder nicht. Bis dahin geben wir Sr. Majestät Frist, nicht länger. Dann wird er sein Zepter und seine berühmte "Ungeschwächte" an die christlichen und jüdischen Bourgeois seines Reichs abtreten müssen.

(Engels, ebenda)

Für England erwartet Engels sogar einen Sieg des Industriekapitals über das Finanzkapital und dessen Fassade, den britischen Hochadel:

In England herrschen einzelne Fraktionen der Bourgeoisie seit 1688; aber um sich die Eroberung der Herrschaft zu erleichtern, haben sie ihren von ihnen abhängigen Schuldnern, den Aristokraten, die nominelle Herrschaft gelassen. Während so der Kampf in England in Wirklichkeit ein Kampf zwischen einzelnen Fraktionen der Bourgeoisie selbst, zwischen Rentiers und Fabrikanten ist, können die Fabrikanten ihn für einen Kampf zwischen Aristokratie und Bourgeoisie, ja im Notfall für einen Kampf zwischen Aristokratie und Volk ausgeben. Die Fabrikanten haben kein Interesse, den Schein der Herrschaft der Aristokratie aufrechtzuerhalten, denn ihnen sind die Lords, Baronets und Squires keinen Heller schuldig. Aber sie haben ein großes Interesse, diesen Schein zu stürzen, weil mit diesem Schein den Rentiers der letzte Notanker verlorengeht. Das jetzige Bourgeois- oder Fabrikantenparlament wird dies tun. Es wird das alte, feudalistisch aussehende England in ein mehr oder weniger modernes, bürgerlich organisiertes Land verwandeln. Es wird die englische Verfassung der französischen und belgischen Verfassung annähern. Es wird den Sieg der englischen industriellen Bourgeoisie vollenden.
(ebenda)
 
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Revolutionäre und Agenten brauchen Geld, wenn sie etwas bewirken sollen. Überall in den oben erwähnten Ländern waren jetzt unter verschiedensten Vorwänden Gelder zu den Leuten unterwegs und wie es der Zufall so trifft, traf zur richtigen Zeit auch bei Karl Marx eine große Summe ein:

Anfang Februar hatte er von seiner Mutter als Vorauszahlung auf sein Erbe 6000 Franc erhalten, eine immerhin so erstaunliche Summe, dass sie für die belgische Polizei Anlass war, über die Trierer Behörden seine alte Mutter einvernehmen zu lassen; deren artige Beteuerung, dies sei lediglich ein Betrag, um den der Sohn seit langem für den Unterhalt der Familie gebeten habe, konnte den Verdacht nicht ganz zerstreuen, dass das Geld für revolutionäre Umtriebe benutzt würde.
(Raddatz, a.a.O. Seite 107)

Marx zog mit dem Geld umgehend aus seiner Wohnung ins „Bois Sauvage“ und verteilte unter seinen Anhängern einige Summen zur Anschaffung von Waffen, was ganz im Gegensatz zu den späteren Bemühungen seiner Biographen steht, ihn als besonders besonnen und vernünftig in diesen unruhigen Zeiten darzustellen.

Von Engels haben wir eine knappe Beschreibung, wie der umfirmierte „Bund der Kommunisten“ jetzt endgültig unter das Diktat von Marx kam:

Die Februarrevolution brach aus. Sofort übertrug die bisherige Londoner Zentralbehörde ihre Befugnisse an den leitenden Kreis Brüssel. Aber dieser Beschluß traf ein zu einer Zeit, wo in Brüssel schon ein tatsächlicher Belagerungszustand herrschte und namentlich die Deutschen sich nirgends mehr versammeln konnten. Wir waren eben alle auf dem Sprung nach Paris, und so beschloß die neue Zentralbehörde, sich ebenfalls aufzulösen, ihre sämtlichen Vollmachten an Marx zu übertragen und ihn zu bevollmächtigen, in Paris sofort eine neue Zentralbehörde zu konstituieren. Kaum waren die fünf Leute, die diesen Beschluß (3. März 1848) gefaßt, auseinandergegangen, als die Polizei in Marx' Wohnung drang, ihn verhaftete und am nächsten Tage nach Frankreich abzureisen zwang, wohin er grade gehn wollte.
http://www.mlwerke.de/me/me21/me21_206.htm

Marx und seine Frau Jenny wurden für wenige Stunden festgenommen und es gibt von den Ereignissen solche theatralischen und wahrheitswidrigen Schilderungen, dass ein Historiker nicht zu beneiden wäre, der aus dem Zeugnis der Beteiligten nun herausfinden sollte, was wirklich vorgefallen war.

Belgien war 1815 auf dem Wiener Kongress den Niederlanden zugeschlagen worden. Erst 1830 wurde das Land durch die belgische Revolution unabhängig und gab sich eine parlamentarische Monarchie. Mit Leopold von Sachsen-Coburg war der Bruder der Mutter der britischen Königin Victoria vom belgischen Nationalparlament zum König vereidigt worden. Zwei Wochen später überfielen niederländische Truppen das Land und es kam zu einem achtjährigen Krieg bis im Jahr 1839 die belgische Unabhängigkeit von den Niederlanden zugestanden wurde.

Aus all diesen Gründen war Brüssel nach London die zweite Adresse für Revolutionäre in schwierigen Zeiten, wenn sogar in Paris Verhaftung drohte.

Der belgische König Leopold I. hatte 1848 geschickt reagiert, einerseits gleich dem Parlament seinen Rücktritt angeboten und die Revolutionäre aus dem Land getrieben. Vielleicht hatte sich auch die britische Königin Victoria bei ihren Leuten für den Bruder ihrer Mutter aus dem Hause Coburg eingesetzt. Jedenfalls blieb Leopold I. von den Revolutionären verschont.
Lassen wir hier noch einmal Mehring zu Wort kommen:

Am 24. Februar 1848 hatte die Revolution das französische Bürgerkönigtum gestürzt. Sie übte ihren Rückschlag auch auf Brüssel, doch wußte sich der König Leopold, ein mit allen Hunden gehetzter Coburger, geschickter aus der Klemme zu ziehen als sein Schwiegervater in Paris. Er versprach seinen liberalen Ministern, Abgeordneten und Bürgermeistern, die Krone niederzulegen, wenn die Nation es wünsche, und rührte dadurch die gemütvollen Staatsmänner der Bourgeoisie so sehr, daß sie auf alle rebellischen Gedanken verzichteten.

Danach ließ der König die Volksversammlungen auf den öffentlichen Plätzen durch seine Soldaten auseinandertreiben und eine polizeiliche Hetze gegen die fremden Flüchtlinge eröffnen. Gegen Marx wurde dabei mit besonderer Roheit verfahren; man verhaftete nicht nur ihn, sondern auch seine Frau, die man für eine Nacht mit öffentlichen Dirnen zusammensperrte. Der Polizeikommissar, der die Infamie verschuldet hatte, wurde später abgesetzt, und die Haft mußte sofort aufgehoben werden, doch blieb es bei der Ausweisung, die im übrigen eine überflüssige Mißhandlung war.

http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_160.htm#Kap_1

Nach Raddatz (S.109) hat Madame Jenny Marx dem Gefängniswärter aber sogar ein „reichliches Trinkgeld“ für ihre bevorzugte Behandlung gegeben und der oben erwähnte Polizeikommissar ist wohl ein Opfer der politisch gebotenen Darstellung in der Presse der „Misshandlung“ der Familie Marx durch die belgische Polizei geworden.

Bei Marx liest sich das in einem Brief an die Pariser Zeitung „La Réforme“ dann so:

Unter dem Vorwand der Landstreicherei wird meine Frau ins Gefängnis des Rathauses abgeführt und mit Straßenmädchen zusammen in einen dunklen Saal gesperrt. Um elf Uhr morgens wird sie am hellichten Tage in Begleitung einer ganzen Eskorte von Gendarmen in das Amtszimmer des Untersuchungsrichters geführt. Zwei Stunden lang wird sie trotz schärfsten Einspruchs von allen Seiten in Einzelverwahrung gehalten. Dort verbleibt sie, ausgesetzt der ganzen Unbill der Jahreszeit und den schamlosesten Reden der Gendarmen.
http://www.ml-werke.de/marxengels/me04_536.htm

Nach Raddatz (S. 109) konnte der Concierge des Gefängnisses dem Wunsch der Madame Marx nach einer Einzelzelle nicht sofort entsprechen, so dass sie für 15 Minuten in einer Gemeinschaftszelle warten musste, bis ihr eine Schlafstatt in einer Doppelzelle für sie allein hergerichtet war.

Marx reist also nach Paris, seine Familie kommt nach, Raddatz wundert sich über eine Anschrift:

Die nächste Adresse allerdings, nachdem Mitte März die Familie angekommen ist, liest sich seltsam, das Hotel Manchester, 1. Rue Gramont. Dort aber logierte ein Polizeirevier. Ein Hotel lässt sich nicht nachweisen. Hatte Freund Caussiedière eine Deckadresse besorgt?
(Raddatz, S. 110)

Wir wollen das aber im Trubel revolutionärer Ereignisse nicht überbewerten.

In Paris hatte sich bisher Engels aufgehalten und zu den politischen Kreisen von Heine über Luis Blanc und Ledru-Rollin bis zu Flocon und die Zeitschrift „La Réforme“ Kontakte geknüpft. Er erteilte von hier aus noch im Januar 1848 Ratschläge für den Regierungsagenten Bornstedt.

Tell Bornstedt: 1) In the matter of his subscriptions [to the Deutsche-Brüsseler-Zeitung], his attitude towards the workers here should not be so rigorously commercial, otherwise he'll lose them all; 2) the agent procured for him by Moses is a feeble Jeremiah and very conceited, but the only one who still will and can attend to the thing, so he had better not rub him up the wrong way…
http://www.marxists.org/archive/marx/works/1848/letters/48_01_14.htm

Engels geht nun zuerst nach Brüssel, wo er einige von Marx vergebene Hilfsgelder wieder einsammeln und verwenden soll.

Dear Engels,

Get Breyer to pay you the 100 francs which he solemnly promised me to repay within a week, get 30 from Gigot, 10 from Hess. I hope that, as things are now, Breyer will keep his promise.

Maynz will cash the bill for 114 fr. at Cassel’s and give you the money. Collect these various sums and use them.
They spoke kindly of you at the Réforme. Flocon is ill and I haven’t yet seen him…

http://www.marxists.org/archive/marx/works/1848/letters/48_03_12.htm

Wegen der wirtschaftlichen Lage waren einige politisch engagierte Leute unerwartet in Not geraten und Marx war mit seinen rechtzeitig erhaltenen 6000 Franc in der Lage, solche Leute als Bittsteller zu empfangen.

In Paris endete die Beziehung von Marx zu Bornstedt, der sich dem Republikanischen Komitee und der Deutschen Demokratischen Legion um den Dichter Herwegh anschloss, der dann mit seinen 900 Mann aus Frankreich der Badischen Revolution zu Hilfe eilt, aber am 27. April 1848 bei Dossenbach von Regierungstruppen besiegt wird und in die Schweiz fliehen muss.

Bornstedt and Herwegh are behaving like scoundrels. They have founded a black, red and gold association in opposition to us. The former is to be expelled from the [Communist] League today.
http://www.marxists.org/archive/marx/works/1848/letters/48_03_16.htm

Mehring gibt in seiner Darstellung dem Bornstedt die ganze Schuld; wir müssen aber wohl besser annehmen, dass es das Interesse der französischen Regierung war, die vielen Ausländer loszuwerden.

Bereits am 6. März konnte Marx hier seine überlegene Einsicht bewähren, indem er sich in einer großen Versammlung der in Paris lebenden Deutschen dem abenteuerlichen Plan widersetzte, mit bewaffneter Hand nach Deutschland einzubrechen, um es zu revolutionieren. Ausgeheckt war der Plan durch den zweideutigen Bornstedt, dem es leider gelang, Herwegh dafür zu gewinnen. Auch Bakunin, der es später bereut hat, war damals dafür. Die provisorische Regierung unterstützte den Plan, nicht aus revolutionärer Begeisterung, sondern mit dem Hintergedanken, bei der herrschenden Arbeitslosigkeit die fremden Arbeiter loszuwerden; sie bewilligte ihnen Marschquartiere und eine Marschzulage von täglich 50 Centimes bis zur Grenze. Herwegh täuschte sich selbst nicht über ihr »egoistisches Motiv, viele tausend Handwerker, die den Franzosen Konkurrenz machen, loszuwerden«, aber bei seinem Mangel an politischem Blick trieb er das Abenteuer bis zum kläglichen Ende bei Niederdossenbach.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_160.htm#Kap_1

Es war wohl weniger die „überlegene Einsicht“ als vielmehr alte Rivalität, die Marx und Engels dazu brachte, der französischen Regierung in Konkurrenz mit Herwegh zu Diensten zu stehen.

Unter diesen Umständen stifteten Marx und Engels in Paris einen deutschen kommunistischen Klub, worin sie den Arbeitern rieten, sich von dem Zuge Herweghs fernzuhalten, dagegen einzeln in die Heimat zurückzukehren und für die revolutionäre Bewegung zu wirken. So beförderten sie einige hundert Arbeiter nach Deutschland, für die sie durch Vermittlung Flocons dieselben Vergünstigungen erhielten, die der Freischar Herweghs von der provisorischen Regierung gewährt worden waren.

Auf diese Weise gelangte auch die große Mehrzahl der Bundesglieder nach Deutschland, und durch sie bewährte sich der Bund als eine treffliche Vorschule der Revolution. Wo die Bewegung irgendeinen kräftigen Aufschwung nahm, waren Bundesglieder ihre treibenden Kräfte: Schapper in Nassau, Wolff in Breslau, Stephan Born in Berlin, andere anderswo. Treffend schrieb Born an Marx: »Der Bund ist aufgelöst - überall und nirgends.«

(Mehring, ebenda)

Der Bund der Kommunisten war also praktisch erledigt, die Mitglieder zerstreut, das Ganze von der französischen Regierung finanziert.

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Der Kölner Arbeiterverein


In Paris blieb nichts mehr zu tun, aber in Köln hatten sich die Ereignisse zugespitzt.

Marx und seine näheren Freunde warfen sich ins Rheinland als den fortgeschrittensten Teil Deutschlands, wo ihnen der Code Napoléon obendrein ein größeres Maß von Bewegungsfreiheit sicherte als das preußische Landrecht in Berlin. Es gelang ihnen, sich der Vorbereitungen zu bemächtigen, die in Köln von demokratischer und teilweise kommunistischer Seite für ein großes Blatt getroffen worden waren.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_160.htm#Kap_1

Wenn man den Mehring etwas zwischen den Zeilen liest, ergibt das alles seinen Sinn.

In Köln hatte sich am 3. März, als der Gemeinderat eine Petition an den König richten wollte, eine große Menschenmenge auf dem Rathausplatz versammelt, deren Mehrheit aus Handwerkern und einfachem Volk bestand. Der Armenarzt Andreas Gottschalk überreichte dem Rat eine Liste mit den „Forderungen des Volkes“.

Das Kölner Bürgertum wurde am 3. März unerwartet mit Forderungen der Unterschicht konfrontiert, die nicht mit liberalen Interessen und Vorstellungen zu vereinbaren waren. Auch innerhalb des Bürgertums kam es zu einer Abspaltung eines demokratischen Lagers von den großbürgerlichen Liberalen, die bisher die Initiative hatten.

Angesichts der sozialen Lage und der Proteste des Volkes beschloss der Kölner Rat noch im März Notstandsarbeiten und eine Anleihe von 50.000 Thalern zur Beschäftigung der Arbeitslosen (Gisela Mettele, Bürgertum in Köln 1775-1870, Seite 298). Die großen Industriellen und Bankiers befürchteten eigentlich, dass soziale Unruhen und Forderungen der Unterschichten eine Hinwendung des Besitzbürgertums zum Absolutismus statt zu liberalen Reformen zur Folge haben würden.

Die rheinischen Banken waren durch die Wirtschaftskrise in Schwierigkeiten. Abraham Oppenheim ersuchte über den Bankier und Industriellen Gustav Mevissen, der 1842 zusammen mit Ludolf Camphausen die Rheinische Zeitung gegründet hatte und jetzt in Berlin die Kölner Interessen verhandelte, um eine großzügige Kreditgewährung der Regierung an die Banken. Die rheinischen Bankiers und Industriellen drohten in Berlin mit einem Losreißen der Rheinprovinzen von Preußen, falls es nicht zu ausreichenden Maßnahmen der Regierung gegen die Finanzkrise kommen sollte(Mettele, S. 299).

http://books.google.de/books?id=mZB...g=eQn0CpsJXUgMn5wAjPl6eOYM41s&hl=de#PPA299,M1

Am 29. März wurde Ludolf Camphausen zum preußischen Ministerpräsidenten ernannt. Er ließ dann auch gleich Karl Marx wissen, dass er „ihn gern als Mitarbeiter in Berlin sehen“ würde (Raddatz, S. 43). Das Kabinett Camphausen war allerdings offensichtlich nur eine Übergangsregierung und Marx hat das Angebot bekanntlich als „Insinuation“ abgelehnt.

Genau an diesem 29. März erklärte sich das Kölner Bankhaus Schaaffhausen für zahlungsunfähig. Dabei kann spekuliert werden, ob die Insolvenz der Bank absichtlich zu diesem günstigen Zeitpunkt inszeniert wurde (siehe Mettele, S. 299), waren doch mit Camphausen und seinem Finanzminister David Hansemann genau die richtigen Leute an der Regierung, um sofort zur Abwendung der in Berlin in schwärzesten Farben geschilderten ökonomischen Folgen dieses Bankzusammenbruchs Staatsgarantien und eine vom Kölner Magistrat geforderte Liquiditätssoforthilfe in Höhe von 2 Millionen Talern zu geben und schließlich erstmals eine Bank in Form einer Aktiengesellschaft zu genehmigen, was die rheinischen Kapitalisten seit 1830 vergeblich von der preußischen Regierung gefordert hatten.

Die 1791 gegründete Privatbank von Abraham Schaaffhausen war eine der ersten Finanzquellen für die wachsende rheinisch-westfälische Schwerindustrie. In den 1840er-Jahren gehörte die Bank zu den wichtigsten Financiers der Industrie. Sie finanzierte zu dieser Zeit etwa 170 Fabriken, darunter Unternehmen wie Krupp, Hoesch, die Gutehoffnungshütte oder den Eschweiler Bergwerks-Verein. Ebenso war sie in Infrastrukturprojekten engagiert, beispielsweise in die Finanzierung der Köln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft 1843.

Die Bank geriet jedoch 1848 in Liquiditätsnöte und musste am 29. März 1848 die Zahlungen einstellen. Unter Staatsgarantien, die auf Anraten des preußischen Finanzministers und späteren Gründers der Disconto-Gesellschaft, David Hansemann, gewährt wurden, wurde die Bank von anderen Bankiers unter Führung von Gustav Mevissen gerettet. Zu diesem Zweck genehmigte die preußische Regierung erstmals eine Bank in Form einer Aktiengesellschaft – den A. Schaaffhausen’schen Bankverein.

http://de.wikipedia.org/wiki/A._Schaaffhausen'scher_Bankverein

Der oben erwähnte und zu dem Zeitpunkt gerade in Berlin weilende Gustav Mevissen war von 1848 bis 1857 Vorstand des Bankvereins. Er war erst 1841 nach Köln gezogen.

Zu den ersten Geschäften, an denen er sich beteiligte, gehörte 1842 die Gründung der Rheinischen Zeitung zusammen mit Ludolf Camphausen und anderen. Dabei mischten sich wirtschaftliches Streben und politische Ziele. Mevissen veröffentlichte in dem von Karl Marx als Redakteur geprägten Blatt selbst einige Artikel…

… Bereits in den 1830er Jahren sprach sich Mevissen für die Gründung von Aktiengesellschaften etwa zur Finanzierung von mechanisierten Flachsgarnspinnereien, in den frühen 1840er Jahren auch für Bergbauunternehmen und Banken aus. Er stieß damit allerdings noch auf den Widerstand der preußischen Bürokratie.

http://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_von_Mevissen

Man kann den hier vor unseren Augen entstehenden „Marxismus“ nur vor dem Hintergrund von Persönlichkeiten wie Gustav Mevissen verstehen, weshalb ich dazu etwas ausführlicher werde.

Das Drängen nach einer Liberalisierung des politischen Systems ging dabei einher mit der Furcht vor einer Revolution der Unterschichten. Im Jahr 1845 schrieb Mevissen: „[…] dass die Zahl der Proletarier in allen Staaten der Gegenwart in einer höchst beunruhigenden Progression steigt: Die drohende Woge der rächenden Zukunft [wälzt sich] näher und näher auf das lebende Geschlecht.“

(ebenda)

Die „Forderungen des Volkes“ fanden bei Leuten wie Mevissen wenig Verständnis.

Die Nachrichten über Unruhen während der ersten Tage der Märzrevolution haben Mevissen stark beunruhigt. Auch in Köln wurden die führenden Liberalen von den Ereignissen überrascht. Am 3. März 1848 kam es zu einer Demonstration vor dem Kölner Rathaus, dabei wurden politische Reformen im demokratischen Sinne laut. Mevissen machte darin „Spuren einer communistischen Bewegung (aus, die sich) sehr drohend und unverhüllt gezeigt“ hätte. Noch sei diese nicht gefährlich, sie könne dies aber werden, wenn nicht rasch der Weg von Reformen eingeschlagen würde. Mevissen und andere Abgeordnete äußerten zwar ihren Abscheu über die Unruhen, verlangten aber auch die sofortige Widereinberufung des Vereinigten Landtages, um das Verfassungswerk zu vollenden.

(ebenda)

Man sorgte sich, dass das Besitzbürgertum im Angesicht der sozialen Unruhen wieder dem Absolutismus zuneigen könnte und die Liberalen ihre Unterstützung verlieren.

Auch zur Heidelberger Versammlung war Mevissen eingeladen worden, ist dieser aber aus Furcht vor weiteren Unruhen nicht gefolgt. Stattdessen lud er die rheinischen Abgeordneten zur Beratung der Lage nach Bonn ein. Die dortigen Beratungen zeigten zwar erhebliche Differenzen zwischen Hansemann und Mevissen, die einen entschiedeneren Weg einschlagen wollten auf der einen Seite und Camphausen auf den anderen Seite, aber der von diesem durchgesetzte Beschluss hatte keine praktische Wirkung, weil der Siebenerausschuss mit der Einberufung des Vorparlaments bereits neue Fakten geschaffen hatte und auch die Revolution auf den Straßen von Wien und Berlin ihn obsolet gemacht hatte. Die führenden rheinischen Liberalen reisten nach Berlin ab. Vor allem Mevissen und Beckerath setzten alles daran, den kurz zuvor ernannten Ministerpräsidenten Adolf Heinrich von Arnim-Boitzenburg zum Rücktritt zu bewegen und ein liberales Ministerium zu etablieren. Nur einen Tag nach seiner Ankunft schrieb Mevissen an seine Frau: „Nach sechsstündiger schwerer Geburt ist soeben ein Ministerium Camphausen ins Leben getreten.“

(wiki, ebenda)

Die Unruhen auf den Straßen hatten die Bildung der Regierung Camphausen beschleunigt.

Es war nicht zuletzt Mevissen zu verdanken, dass auch die radikaleren Liberalen diesen Kurs zunächst mittrugen. In die Konstituierungsphase der neuen Regierung platze die Nachricht vom Zusammenbruch der Schaaffhausener Bank. Mevissen befürchtete eine Gefahr für die Kreditfähigkeit des gesamten Staates und drängte Finanzminister Hansemann und Camphausen mit Erfolg zu staatlichen Interventionen. Abgesehen von Hilfen für die Bank, der er im Anschluss als Staatskommissar vorstand, setzte Mevissen direkte Hilfen für von der Wirtschaftskrise betroffene Unternehmen durch.

(wiki, ebenda)

Gustav Mevissen hat als echter Liberaler sofort reichlich Geld aus dem vermutlich nicht zufälligen Unglück der Schaaffhausener Bank geschlagen und Politik und Wirtschaft und den eigenen Beutel gleich im März 1848 unentwirrbar miteinander verstrickt.

An dieser Stelle, um das Thema danach wieder abzuschließen, etwas zu den Unterschieden in der Gesinnung der beiden Mäzene unseres Karl Marx.

So griffen die rheinischen Liberalen die obrigkeitsstaatliche Gängelung der Wirtschaft scharf an. Auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen sahen sie deutlicher als die süddeutschen Liberalen, die von einer klassenlosen Gesellschaft mittlerer Existenzen auf einer vorindustriellen Basis träumten, dass die Entwicklung in Richtung von Industrialisierung und sozialer Veränderung verlaufen würde. Während die süddeutschen Liberalen nicht selten die drohende Alleinherrschaft des Geldes befürchteten und für den Schutz des alten Gewerbes eintraten, sah Camphausen den Verfall der alten Handarbeit zu Gunsten der Industrie als unvermeidlich an. Dabei seien Pauperismus und Verarmung der Heimindustrie schmerzlich, aber für eine Übergangszeit unvermeidlich.

In Hinblick auf den politischen Einfluss der unteren Schichten gab es unterschiedliche Vorstellungen. Während etwa Mevissen sozialpolitisch orientiert war und sich für gleiche politische Rechte aussprach, setzten Camphausen und andere rheinische Liberale auf eine Begrenzung politischer Rechte. Im Jahr 1844 empörte sich Camphausen darüber, dass „den arbeitenden Klassen das Gefühl ihrer Rechte und der Gleichheit ihrer Stellung mit uns“ von demokratischen Intellektuellen „beizubringen“ versucht werde. Der starke demokratische und sozialistische Einfluss veranlasste Camphausen sich wieder von der Gründung eines lokalen Ablegers des Centralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen zurückzuziehen.

http://de.wikipedia.org/wiki/Ludolf_Camphausen

Nach dem schlesischen Weberaufstand 1844 hatten Berliner Intellektuelle einen Hilfsverein ins Leben gerufen.

Die Vereinsgründung war eine direkte Reaktion auf den schlesischen Weberaufstand von 1844. Vor allem Lehrer aus Berlin, darunter der Armenschullehrer Ferdinand Schmidt und der Seminardirektor Adolph Diesterweg, gründeten vor dem Hintergrund der Zustände in den schlesischen Heimgewerbegebieten einen „Verein für die Hebung der unteren Klassen“. Die Ereignisse in Schlesien hätten nach Ansicht der Gründer gezeigt, dass die zunehmende Unruhe im Proletariat eine Gefahr für die bürgerliche Gesellschaft darstelle

Von Anfang an stießen die Bestrebungen des Vereins auf das Misstrauen der Obrigkeit. Aus der Perspektive der Polizeibehörden war die Beteiligung bekannter linker Junghegelianer wie Eduard Meyen und Adolf Rutenburg verdächtig. Da die Behörden eine Einwirkung im „kommunistischen Geist“ befürchteten, wurde dem Verein keine offizielle Zulassung erteilt.

http://de.wikipedia.org/wiki/Centralverein_für_das_Wohl_der_arbeitenden_Klassen

Leute wie Mevissen haben dann im Gegensatz zu Camphausen eingesehen, dass den sozialen Unruhen mit sozialpolitischen Initiativen begegnet werden müsse. Das Großbürgertum hat sich dann der Sache angenommen.

An Stelle der Berliner Gründung erfolgte nunmehr die Gründung des Centralvereins für das Wohl der arbeitenden Klassen. Die Träger waren zum einen Mitglieder der hohen bildungsbürgerlichen Bürokratie, wie Georg Wilhelm von Viebahn, insbesondere aus dem preußischen Finanzministerium wie Robert von Patow und Wirtschaftsbürger und Unternehmer aus den preußischen Westprovinzen Rheinland und Westfalen. Für die Initiatoren war insbesondere der Widerspruch zwischen dem wirtschaftlichen Aufschwung, wie er sich gerade in der ersten Gewerbeausstellung des Zollvereins manifestiert hatte, und der Not und dem Elend in weiten Teilen der unteren Bevölkerungsschichten eine Motivation sich zu beteiligen. Der Centralverein war in Berlin angesiedelt. Darüber hinaus entstanden rasch in einigen Städten die ersten Lokalvereine. Zu diesen gehörten Elberfeld, Köln und Berlin.

Dennoch blieb die Sache umstritten.

Die Tätigkeiten des Vereins stießen in der Öffentlichkeit auf eine breite Resonanz. Selbst König Friedrich-Wilhelm IV. sprach der Organisation seine Anerkennung aus und stellte ihm für seine Projekte 15.000 Taler zur Verfügung.

Das preußische Innenministerium unter Adolf Heinrich Graf von Arnim-Boitzenburg sah aber auch in dieser großbürgerlichen Gründung eine Gefahr für die staatliche Ordnung. Tatsächlich gab es in manchen Lokalvereinen radikaldemokratische Strömungen. In Köln etwa war Friedrich Engels begeistert, dass die Hälfte des lokalen Komitees aus den „Unsrigen“ bestehe. Dennoch dominierte bei der Mehrzahl der etwa 30 Lokalvereine und dem Centralverein das gemäßigt liberale Besitz- und Bildungsbürgertum, das keineswegs die gesellschaftliche oder politische Ordnung als Ganzes in Frage stellte. Die Folge der Polizeibereichte war, dass der König seine Haltung änderte. Außerdem haben die Behörden die Genehmigung der Statuten immer wieder verschleppt, so dass eine offizielle Anerkennung auch 1848 noch nicht erfolgt war.

Dies änderte sich im Verlauf des Revolutionsjahres. Der Verein nahm unmittelbar nach dem Beginn der Märzrevolution seine Tätigkeit wieder auf.

(wiki, ebenda)

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Zurück nach Köln.

Am 13. April 1848 war dann der „Kölner Arbeiterverein“ gegründet und der Kölner Armenarzt Andreas Gottschalk von rund 300 Delegierten zu dessen Präsidenten gewählt worden.

Bereits zehn Tage nach der Gründungsversammlung gab der Kölner Arbeiterverein eine eigene Vereinszeitung, die Zeitung des Arbeitervereins zu Köln, die später in Freiheit, Brüderlichkeit, Arbeit umbenannt wurde, heraus. In ihr formulierte der Vorstand seine Forderungen nach mehr Beteiligung an betrieblichen Entscheidungsprozessen, einer gerechten sozialen Absicherung und der Etablierung wirksamer Arbeitsschutzgesetze. Neben der Vereinszeitung verfasste der Verein zahlreiche Petitionen, die zur Unterstützung des Ziels einer spürbaren Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter dienen sollten. Darüber hinaus artikulierte der Verein Forderungen nach der Einrichtung von Schiedsgerichten zur paritätischen Mitbestimmung in Betrieben und beschloss einen Boykott der seiner Meinung nach unfairen, weil indirekten Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung. Diese Forderungen und Veröffentlichungen brachten dem Verein viele Sympathien ein, sodass die Mitgliederzahl unterschiedlichen Quellen zur Folge auf bis zu 7000 Personen anstieg.
http://de.wikipedia.org/wiki/Kölner_Arbeiterverein

Karl Marx, der seit dem 11. April in Köln war, und Friedrich Engels hatten sich nicht dem Verein der Arbeiter angeschlossen, sondern waren in die sogenannte „Demokratische Gesellschaft“ eingetreten, wo sie zusammen mit ihrem Anhang Heinrich Bürgers, Hermann Heinrich Becker und Wilhelm Wolff sogar dem Leitungsgremium der Demokratischen Gesellschaft angehörten.

Ursprünglich hatte das Kölner Bürgertum anlässlich der bevorstehenden Maiwahlen des Jahres 1848 ein „Zentrales Wahlkomitee“ gegründet, in dem sich liberale und demokratische Kräfte auf ein gemeinsames Programm einigten.

Dabei wurde ein 17-Punkte-Programm erarbeitet, das deutlich liberale Züge trug und keine Aussagen zu republikanischen Reformen traf. Dieses liberale Wahlprogramm führte dazu, dass sich die demokratischen Kräfte Kölns, die eine demokratische Staatsordnung anstrebten, nicht mehr vom Zentralen Wahlkomitee repräsentiert fühlten. In der Folge traten die demokratischen Mitglieder des Wahlkomitees am 18. April 1848 zurück und formierten sich zusammen mit anderen Mitgliedern am 25. April 1848 zur Demokratischen Gesellschaft.
http://de.wikipedia.org/wiki/Demokratische_Gesellschaft

Die Demokratische Gesellschaft unterstützte zwar revolutionäre Forderungen nach vollständiger Volkssouveränität, jedoch keine Forderungen zur Verbesserung der sozialen Lage der Arbeiter, weil dies wieder den Interessen der beteiligten Bürger widersprochen hätte. Aus diesem Grund wurde ein vom Arbeiterverein angestrebtes Zusammengehen mit der Demokratischen Gesellschaft abgelehnt.

Man fragt sich nun, was Marx und Engels ausgerechnet in dieser Gesellschaft zu suchen hatten. Im Kölner Arbeiterverein war aber der Einfluss Gottschalks bis zu seiner Verhaftung im Juli zu groß, als dass Marx eine Chance für sich gesehen hätte. Allerdings waren Joseph Maximilian Moll, der 1847 in London in die Leitung des Bundes der Kommunisten gewählt worden war, und der schon mehrfach erwähnte Karl Schapper, in London der Vorsitzende des Kommunistischen Korrespondenzkomitees, Mitglied im Arbeiterverein geworden.

Durch sein Engagement geriet Gottschalk bald in Konflikt mit der durch Bildungs- und Wirtschaftsbürger dominierten protestantischen Gemeinde, die ihm vorwarfen durch seine materialistische Haltung den Armen die Hoffnung auf das Jenseits nehmen zu wollen.

Im Juni 1848 gehörte Gottschalk zu den Mitbegründern des Centralmärzvereins, dem Zusammenschluss demokratischer Vereine auf nationaler Ebene. Im Juli 1848 wurde er zusammen mit Fritz Anneke und Christian Joseph Esser erneut verhaftet. Aber erst im Oktober desselben Jahres kam es zu einem Prozess wegen Anstiftung zur gewaltsamen Änderung der Staatsordnung. Für die Staatsanwaltschaft völlig überraschend war, dass die Geschworene auf nicht schuldig plädierten. Unmittelbar darauf wurde Gottschalk freigelassen. Zunächst ging er nach Paris und Brüssel, kehrte aber bald nach Köln zurück. Dort hatte inzwischen Karl Marx die Führung im Arbeiterverein übernommen. Diesen nannte Gottschalk einen "gelehrten Sonnengott" und warf ihm vor "das Elend des Arbeiters, der Hunger des Armen hat für Sie nur wissenschaftliches, doktrinäres Interesse."

http://de.wikipedia.org/wiki/Andreas_Gottschalk

Diesen Karl Marx muss die preußische Justiz ständig irgendwie übersehen haben in dieser von Verfolgungen und Verhaftungen so erfüllten Zeit.

Den erzwungenen Abschied von Andreas Gottschalk nutzten Karl Marx und seine Mitstreiter aus der Demokratischen Gesellschaft, um mehr Einfluss im KAV zu gewinnen. Bereits kurz nach Gottschalks Verhaftung wurde Joseph Maximilian Moll neuer Präsident des KAV und Karl Schapper sein neuer Stellvertreter. Mit dieser neuen Vereinsführung hielten die Ideen der Marx'schen Kommunisten Oberhand und es war eine deutliche Radikalisierung der Vereinsarbeit zu verzeichnen. Unter anderem bedingt durch diese Tatsache zeigte der KAV bei den Septemberunruhen des Jahres 1848 große Kampfesbereitschaft und beteiligte sich an der Errichtung von Barrikaden und der Vorbereitung eines bewaffneten Kampfes in Köln, zu dem es allerdings nie kam. In der Folge wurde Schapper inhaftiert und Moll floh nach London.
http://de.wikipedia.org/wiki/Kölner_Arbeiterverein

Nun konnte kein anderer als Karl Marx selbst die Führung des Kölner Arbeitervereins übernehmen, selbstredend ohne von der preußischen Polizei belästigt zu werden, war er doch der Radikalste aller Arbeiterführer und damit für die politische Isolation des Kölner Arbeitervereins aktiv.

Um ein Zerfallen des Vereins zu vermeiden, versuchten die Mitglieder schnell einen neuen, reputablen Vorsitzenden zu finden. Im Oktober 1848 suchte eine Delegation des KAV Karl Marx auf und bot ihm den Vorsitz des Vereins an. Am 22. Oktober wurde Marx dann durch eine Generalversammlung des Vereins zum neuen Präsidenten ernannt. Unter strikter Beachtung des von ihm selbst entworfenen Weges zu einer kommunistischen Revolution entschloss sich Karl Marx alle marxistisch orientierten Vereine und Verbände, so auch den Kölner Arbeiterverein, nicht an den Zusammenschlüssen zur Allgemeinen Deutschen Arbeiterverbrüderung teilnehmen zu lassen. Er befürchtete, dass dieser eher gemäßigt agierende Zusammenschluss dem Umsturzwillen in der Arbeiterschaft entgegen stehen könnte.

(wiki, ebenda)

Allerdings gab es schon auch Widerstand gegen die Machenschaften von Marx mit seinen Phrasen von wegen Kampfbereitschaft und Barrikadenbau.

Trotz weiterhin bestehender Kampfbereitschaft der Mitglieder kam im Verlauf des Jahres 1849 Kritik an der Vereinsführung auf. Immer mehr Arbeiter forderten eine Rückbesinnung auf die Interessen der Arbeiterschaft und eine Abkehr von den kommunistischen Umsturzideen. Diesem Wunsch folgend beschloss der Vereinsvorstand eine Anschließung an die Allgemeine Deutsche Arbeiterverbrüderung, zu der es wegen des Scheiterns der Revolution nicht mehr kam.

(wiki, ebenda)

Marx hatte das Präsidentenamt im Februar 1849 an Karl Schapper – der nach den Septemberunruhen nur kurzzeitig inhaftiert und wieder auf freien Fuß gesetzt worden war - übergeben, der es drei Monate ausübte, danach folgte ein weiterer „Marxist“ als letzter Präsident des KAV. Unter dem Druck der repressiven Gesetze entstand im Oktober 1849 aus dem KAV ein Arbeiterbildungsverein, der sich schon 1850 auflösen sollte.

Wieder eine ursprünglich kraftvolle Vereinigung der Arbeiter und der armen Leute zur Vertretung ganz konkreter sozialer Forderungen gescheitert.

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Hellmann
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Köln und die Rheinprovinz

und welchen Handel Camphausen und Mevissen in Berlin abgewickelt haben.

Um was es für Preußen im Jahr 1848 ging, kann man bei einem kurzen Blick auf eine Karte des Deutschen Bundes erkennen. Das war gefährlicher als kommunistische Ideen und davon durfte in der Presse kein Wort zu finden sein.

Jeder sehe selbst:

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/6c/Deutscher_Bund.png

Es war in Berlin von den Kreisen um Camphausen und Mevissen gedroht worden, die Rheinprovinzen von Preußen abzuspalten. Jeder Blick auf die Karte lässt den Betrachter mit der drängenden Frage zurück (die selbstverständlich kein bürgerlicher Historiker kennt), warum es zu dieser Abspaltung 1848 eigentlich nicht gekommen ist.

Es hätte nicht viel gefehlt und die zukünftige deutsche Hauptstadt wäre im wichtigsten Industriegebiet Deutschlands gelegen und würde Köln und nicht Berlin geheißen haben.

Camphausen und Mevissen und die Kreise um diese Männer haben ihren persönlichen Schnitt damit gemacht, dass sie genau das verhindert haben. Der preußische König war realistisch genug, die preußische Regierung in Berlin in die Hände des Kölner Klüngels zu legen, damit der sich persönlich dabei bereichert und es nicht zu einem Abfall der Rheinprovinz von Preußen kommt, der sich 1848 kaum hätte verhindern lassen.

Auf den kritischen Kritiker Karl Marx war Verlass: kein Wort würde man darüber in der Neuen Rheinischen Zeitung finden; er würde den Lesern höchstens die Werttheorie nahe bringen.

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