- Registriert
- 24 Mrz 2018
- Zuletzt online:
- Beiträge
- 1.209
- Punkte Reaktionen
- 576
- Punkte
- 136.352
Offener Brief an den Generalbundesanwalt
Dr. Peter Frank zum Attentat von Hanau
Quelle:https://www.achgut.com/artikel/offe...ndesanwalt_dr._peter_franke_zum_attentat_von_
Sehr geehrter Herr Generalbundesanwalt, sehr geehrter Herr Dr. Frank,
neben den medialen und politischen Reaktionen auf das Attentat von Hanau waren es
leider vor allem auch Ihre Einlassungen, die mich als Bürger, aber auch als psychiatrischer
Praktiker und Wissenschaftler in tiefe Sorge versetzt haben. Ich sehe nämlich die Gefahr,
dass eine bedeutsame zivilisatorische Errungenschaft großen Schaden nehmen könnte:
Der § 20 StGB, der bekanntlich die Frage der Schuldunfähigkeit definiert.
Erlauben Sie mir, auch wenn Ihnen der Inhalt natürlich geläufig ist, diesen Paragraphen
kurz zu zitieren: „Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krank-
haften seelischen Störung, (…) unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach
dieser Einsicht zu handeln.“ Dazu erlauben Sie mir bitte einige Fragen.
1. In ihrer Stellungnahme vom 20.02.2020 zu den Vorfällen in Hanau heißt es u.a.:
„Es liegen gravierende Indizien für einen rassistischen Hintergrund der Tat vor.“ Finden
Sie nicht auch, dass sich aus dem vom Täter verfassten umfangreichen Manifest vielmehr
ganz vorrangig Indizien für eine (schwere) krankhafte seelische Störung ergeben?
2. Haben Sie bzw. Ihre Behörde vor der oben zitierten Stellungnahme bei der Analyse
des Manifests fachpsychiatrische Kompetenz hinzugezogen?
3. Nach meiner fachpsychiatrischen Analyse des Täter-Manifests, die zweifellos – um
es zurückhaltend zu formulieren – in den wesentlichen Zügen und Schlussfolgerungen
von der großen Mehrheit des Faches geteilt werden würde, hat beim Täter ein psychi-
atrisches Syndrom aus einem schweren paranoiden Wahn mit zusätzlichen (wahnhaften)
Größenideen, zumindest zeitweiligen akustischen Halluzinationen, sogenannten Ich-
Störungen in Gestalt von Gedankenausbreitung, Gedankenentzug und Gedankeneinge-
bung vorgelegen sowie eine Denkstörung in Form einer Denkzerfahrenheit. Sehen Sie
oder ihre Behörde das ähnlich? Und falls nicht, warum nicht?
4. Gehen Sie oder ihre Behörde ebenfalls davon aus, dass der Täter zur Tatzeit mit sehr
hoher Wahrscheinlichkeit an einer paranoiden Schizophrenie erkrankt war?
5. Gehen Sie ebenfalls davon aus, dass, wäre der Täter noch am Leben, das Gericht des-
wegen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf Schuldunfähigkeit wegen einer schweren
krankhaften seelischen Störung entscheiden würde?
6. Jetzt kommt eine ganz wichtige Frage: Ist Ihnen bekannt, dass aus einem Schriftstück,
welches in einem psychischen Zustand wie oben geschildert verfasst wurde, das also
durchgehend (u.a.) wahnhaft geprägt ist, so gut wie keinerlei Rückschlüsse auf die
„eigentliche“, also nicht krankheitsbelastete oder krankheitsgeprägte Persönlichkeit,
auf politische Einstellungen und Motive möglich sind? Um es noch einmal zu betonen:
weil in diesem Manifest auch potenziell rassistische Äußerungen – bis zum Beweis des
Gegenteils (s. Punkt 6) – entscheidend oder gar ausschließlich durch das wahnhafte
Erleben bestimmt sind.
6. Vielleicht wies der Täter in gesunden Tagen tatsächlich eine fremdenfeindliche oder
rassistische Gesinnung auf. Aber ist Ihnen bekannt, dass man valide Informationen
über die „prämorbide“ Persönlichkeit des Täters, seine politischen Einstellungen und
Motive allenfalls retrospektiv gewinnen kann durch eine umfassende biographische
Ermittlung – also v.a. durch die Vernehmung von Zeugen, ergänzt durch die Analyse
von Zeugnissen, medizinischen Behandlungsunterlagen etc.
7. Würden Sie auch die folgende Täterin als rassistisch oder fremdenfeindlich motiviert
einschätzen? Eine 35-jährige Mutter von drei noch nicht schulpflichtigen Kindern erkrankt
nach der Geburt des dritten Kindes an einer paranoiden Schizophrenie. Sie entwickelt
dabei den Wahn, dass Muslime aus einer in der Nähe gelegenen Moschee ihre über alles
geliebten Kinder entführen, foltern und bei lebendigem Leibe verbrennen wollen. Um
ihnen das zu ersparen, erstickt sie alle drei Kinder. Falls Sie diese Täterin grundlegend
anders beurteilen als den Hanau-Täter, warum?
8. Wie t-online.de am 21.02.2020 meldete, lag ihrer Behörde bereits im November 2019
eine offenbar nur leicht gekürzte Version des späteren Täter-Manifests vor. Warum hat
ihre Behörde damals nicht den zuständigen Sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheit-
samts informiert, etwa mit der Bitte, zu prüfen, ob der Verfasser bereits aktenkundig ist
und ob der Dienst die Notwendigkeit für eine Einbestellung oder einen (angemeldeten)
Hausbesuch sieht? Und, ob die Person vielleicht gar einen Waffenschein besitzt.
9. Aus Presseverlautbarungen geht hervor, dass bei der etwas kürzeren Version des Täter-
Manifests, welches Ihrer Behörde bereits im vergangenen November vorlag, der auf eine
vermeintlich rassistische Motivation weisende Teil angeblich nicht enthalten war. Deshalb
sei ihre Behörde damals nicht tätig geworden. Damit nicht der Eindruck entsteht, es han-
dele sich hier vorrangig um eine Schutzbehauptung, wäre es hilfreich, zu erfahren,
welcher Teil des Manifestes Ihnen damals genau vorgelegen hat.
Abschließend, sehr geehrter Herr Dr. Frank, erlauben Sie mir die Anmerkung, dass sicherlich
auch Ihnen ja nicht entgangen sein dürfte, wie schwer es Medien und Politik derzeit fällt, bei
einer solchen Tat wie der in Hanau, dem Schuldunfähigkeitsprinzip bzw. dem Schutz der
darunter fallenden psychisch kranken Täter angemessen Rechnung zu tragen. Ich jedenfalls
würde mich freuen, wenn Sie künftig auch dieses Prinzip etwas offensiver vertreten und
verteidigen würden.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. W. Meins
Dieser Brief wurde vom Autoren am Freitag, den 21. Februar 2020, an Generalbundesanwalt
Dr. Frank poststelle@generalbundesanwalt.de gesandt.
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wolfgang Meins ist Neuropsychologe, Arzt für Psychiatrie und
Neurologie und apl. Professor für Psychiatrie. In den letzten Jahren überwiegend tätig als
gerichtlicher Sachverständiger im sozial- und zivilrechtlichen Bereich.
Nachwort!
So liest sich die Wahrheit