Eine historische Sekunde lang schien es, als gehe in der Bundesrepublik die Sonne eines voll inkulturierten deutschen Islams auf. Mit Mouhanad Khorchide war ein bekennender Reformgelehrter und Orthodoxiekritiker in Münster zum Ausbilder künftiger Islamlehrer aufgestiegen. Und da Khorchide an der Uni Münster eine Menge Fürsprecher besaß, trugen die vier großen Muslimverbände diese Entscheidung mit, wenngleich teils zähneknirschend. Sie konzedierten, man müsse ihm wenigstens eine Chance geben. Immerhin. Sogleich schossen die Hoffnungen hoch: Könnten die verknöcherten Verbände vielleicht doch, ganz behutsam natürlich, zu einer Neuakzentuierung bereit sein? Gar zu einem neuen Kurs – hin zum humanistischen und aufgeklärten Reformislam?
Diese Hoffnung darf man bis auf Weiteres begraben. Diese Woche verkündete der Dachverband der vier großen Muslimverbände, der Koordinationsrat der Muslime (KRM), eine Zusammenarbeit mit Khorchide sei nicht mehr möglich. Zur Begründung hieß es ausdrücklich, der Münsteraner Islamgelehrte verlasse den Boden der traditionellen islamischen Lehre. Auf dem wollen die Verbände offenbar stehen bleiben.
Einem von Herzen verfassungskonformen und humanistischen Islam erteilten sie damit eine Absage. Denn: In seinen Büchern und Aufsätzen hat Khorchide nicht weniger als einen (aus verfassungspatriotischer Sicht) durch und durch sympathischen Islam herausgearbeitet. Reihenweise entsorgte er all die Zumutungen der islamischen Tradition – und das nicht gewunden und unter Vorbehalt, sondern uneingeschränkt und klar.
Ungewohnte Klarheit des Reformislams
Dass Atheisten und sonstige Nichtmuslime nur Brennmaterial fürs ewige Höllenfeuer seien, dass Ex-Muslime, Ehebrecher oder Homosexuelle zu Tode gesteinigt gehörten, dass man Frauen züchtigen dürfe und dass Christen mit dem Glauben an die Menschwerdung Gottes eine verdammenswerte Todsünde begingen – all diese Kröten, um nur ein paar zu nennen, verscheuchte Khorchide aus seinem Haus des Reformislams. Für ihn ist das zeitgebunden oder nicht authentisch, jedenfalls für immer veraltet. Und damit eroberte er die Herzen hiesiger Nichtmuslime – vom Bundespräsidenten bis zu Ministern der zuständigen Landesregierung in NRW.
Khorchides Leistung wirkt umso befreiender, als man solche Klarheit von den Verbänden eben nicht gewohnt ist. Die üben sich bislang eher in der Kunst, Konflikte zwischen deutscher Werteordnung und verfassungsfeindlichen Teilen der islamischen Orthodoxie mit oberfaulen Kompromissen zu überbrücken. Ein Beispiel: Natürlich, so erklären sie mit scheinbar größter Selbstverständlichkeit, sei die Steinigung hierzulande kein Thema. Aber die Begründung dafür kann einen nur besorgen.
Manche, wie Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, erklären, sie seien doch für ein "Moratorium" in Sachen Steinigung. Damit gemeint ist gemäß dem Islamgelehrten Tariq Ramadan folgendes: Bis die islamischen Gelehrten weltweit eine Einigung über den Sinn oder Unsinn der Steinigung erzielen, soll diese Strafe nicht angewendet werden. Heißt im Umkehrschluss: Sollten sie sich darauf einigen, diese blutige Strafe sei Gottes Wille, wäre das Steinigen auch heute noch völlig o.k. Ist das eine beherzte Absage an eine derart abscheuliche Foltermethode?
Faule Kompromisse zu strittigen Themen
Aber in den Verbänden gibt es noch viel faulere Kompromisse. So argumentieren manche, anknüpfend an das Internationale Institut für islamisches Denken in Washington oder an den Gelehrten Yussuf al-Qaradawi, in Deutschland sei das Ermorden Abtrünniger, Homosexueller oder Ehebrecher deshalb kein Thema, weil Muslime hier die Minderheit stellten. Ergo: Sollte sich das ändern, sähe die Sache anders aus.
Wohltuend anders klingt da Khorchide. Ihm zufolge widerspricht die Steinigung eindeutig und ohne jede Einschränkung der Menschenfreundlichkeit des barmherzigen Gottes. Diese Klarheit konnten die Verbände offenbar nicht ertragen. Sie rüffelten Khorchide, mit solchen Ansichten könne er nur noch "auf Kirchentagen" reüssieren (so der niedersächsische Schura-Vorsitzende Avni Altiner). Nur zur Erinnerung: Das war nicht als Kompliment gemeint.
Nun wiederholen die Vertreter des traditionellen Islams unablässig, beim Streit mit Khorchide gehe es gerade nicht um einen Konflikt zwischen konservativen (oder reaktionären) und liberalen Muslimen. Das erkenne man schon daran, dass es in ihren Reihen auch Anhänger von Positionen gebe, die denen Khorchides ähnelten. Stimmt. Vor allem auf einen Prominenten muss man da verweisen: auf den in Frankfurt lehrenden türkischen Islamwissenschaftler Ömer Özsoy, dessen historisierendes Islamverständnis dem Khorchides in vielem nahesteht. Trotzdem führt das Argument in die Irre.
Wer legt fest, was Islam ist?
Erstens fährt Özsoy auf dem Ticket einer Stiftungsprofessur des türkischen Staates und kann vom türkischen Kabinett jederzeit gegen einen traditionalistischen Gelehrten ausgetauscht werden, zweitens kann der deutsche Staat seinen Bildungsauftrag, also die Ausbildung staatlicher Religionslehrer, nicht an einen anderen Staat verschenken. Und drittens genießt der sympathische Özsoy keineswegs die Sympathie der in Ankara herrschenden Erdogan-Regierung, von der er aber abhängig ist. Für die strammkonservative Erdogan-Clique besitzt Özsoy wohl nur eine Funktion: er kommt in Deutschland gut an und kann dadurch eher als ein Orthodoxer den Einfluss des türkischen Staates auf hiesige Bildungseinrichtungen erhöhen.
Von diesem Einzelfall abgesehen: Ist es denn akzeptabel, wenn in einem Verband Reaktionäre, Reformer und (laut Verfassungsschutz) mutmaßliche Verfassungsfeinde munter durcheinander gemischt werden, um gemeinsam zu definieren, was hierzulande Islam ist? Wäre es denn tolerabel, wenn in der CDU Demokraten und NPD-Leute gemeinsam den Kurs bestimmten?
Nein, die Komplettablehnung Khorchides schadet nicht nur dem Ansehen des hiesigen Islams, sondern auch dem der Verbände. Es gibt sympathische und integre Menschen in den Verbänden, kein Zweifel. Aber wundern dürfen sie sich nicht, wenn sie fortan gefragt werden: Bist du Verbandsmuslim – oder Sympathieträger?
http://www.welt.de/regionales/duess...n-schadet-der-Kampf-gegen-ihren-Reformer.html