Energie: Regierung regt Abschalten der Gasnetze an – Stadtwerke reagieren
Die Bundesregierung will Netzbetreibern erlauben, Gaskunden die Anschlüsse zu kündigen – wenn die Leitungen nicht mehr gebraucht werden. Kurz vor Ende einer Frist sorgt das für Diskussionen.
Ein Ministeriumspapier über die Zukunft der Gasnetze sorgt derzeit für Diskussionen. Haushalte und Unternehmen müssen in den kommenden Jahren Alternativen zum Heizen und Produzieren mit Erdgas finden, um die Klimaziele zu erreichen. Und deshalb stoßen die EU und das Bundeswirtschaftsministerium jetzt Planungen für ein Ende der Gasversorgung an.
Bei dem Schreiben, das die Debatte angestoßen hat, handelt es sich um ein sogenanntes Green Paper des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Darin steht, dass für Gasnetzbetreiber eine Möglichkeit geschaffen werden soll, „aus Transformationsgründen einen Anschluss verweigern und sogar kündigen zu können“.
Um bis 2045 klimaneutral zu werden, sollen in Deutschland immer mehr Bereiche elektrifiziert werden: E-Autos ersetzen Verbrenner, Wärmepumpen ersetzen Öl- und Gasheizungen, die Industrie nutzt vermehrt Strom statt beispielsweise Kohle.
Dadurch könnten künftig Gegenden entstehen, in denen kein Gas – und somit auch kein Gasnetz – mehr gebraucht wird. Die EU hat deshalb ein Gasmarktpaket vorgelegt, das den Umgang mit dieser Entwicklung frühzeitig planen soll. Dieses Paket soll die Bundesregierung jetzt in nationales Recht umsetzen – und bereitet das mit dem Green Paper vor.
Das BMWK hat die Branche aufgerufen, bis zum 12. April Rückmeldungen zu dem Green Paper zu geben. Die Pläne beschäftigen vor allem die Stadtwerke – sie sind bislang wirtschaftlich auf den Gasverkauf und den Betrieb der Gasnetze angewiesen. Wie blicken sie auf das Green Paper?
Stadtwerke sprechen über das Green Paper des BMWK
Der Chef des Frankfurter Energieunternehmens Mainova, Michael Maxelon, sagte bei der Handelsblatt „Stadtwerke"-Tagung 2024: „Wir sollten offenbleiben für weitere Entwicklungen.“ Viele Menschen würden künftig mit einer Hybridlösung aus Wärmepumpe und Gasheizung heizen und deshalb weiter ein Gasnetz benötigen.
Der Vorstand des Hannoveraner Energieunternehmens Enercity, Marc Hansmann, sagte hingegen, er plane im Jahr 2040 nur noch mit zwei Prozent Gas zur Wärmeversorgung der Haushalte in Hannover.
Für einen anderen Ansatz warb Carsten Liedtke, Vizepräsident des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU). Er setzte sich für einen großflächigen Einsatz von Wasserstoff in den bestehenden Gasverteilnetzen ein. Dann könnten die meisten Menschen ihren bestehenden Heizkessel weiterverwenden, sagte er. Eine schnelle Energiewende gelinge am besten mit bestehender Infrastruktur.
So oder so: Dass das Erdgasgeschäft wegbrechen wird, stellt die Stadtwerke und andere Gasnetzbetreiber vor riesige Herausforderungen. Der Stadtwerke-Experte Olaf Geyer von der Unternehmensberatung ADL sagte dem Handelsblatt kürzlich, Stadtwerke erwirtschafteten zwischen 20 und 60 Prozent ihrer Gewinne mit Gas.
So warnte Heike Heim, die Vorstandsvorsitze der Dortmunder Stadtwerke: „Ich würde ein Fragezeichen an den tollen Gedanken machen, dass Stadtwerke jetzt neue Geschäftsfelder erschließen und dann vielleicht sogar Gewinner der Transformation sind.“ Nicht jedes Unternehmen habe das Potenzial, das wegbrechende Geschäftsmodell zu ersetzen.
Warnung vor hohen Kosten für Gaskunden
Das Thema ist so sensibel, weil hier Realitäten aufeinanderprallen: Auf der einen Seite stehen die Stadtwerke, die essenzielle wirtschaftliche Nöte auf sich zukommen sehen. Auf der anderen Seite stehen die Klimaziele, zu deren Erreichung sich Deutschland gesetzlich verpflichtet hat, und die die Energiebranche unter höchsten Handlungsdruck setzen.
Das Green Paper könnte erstmals konkrete Schritte zur Abkehr von den Gasnetzen nach sich ziehen. Damit bringt es eine Konkretisierung in eine bislang theoretische Diskussion, die seit Längerem geführt wird.
Schon auf der Handelsblatt „Stadtwerke"-Tagung 2022 hatte der damalige Wirtschafts-Staatssekretär Patrick Graichen gesagt, 2045 werde „natürlich (…) kein Gas mehr in den Netzen sein“ – und dafür viel Kritik geerntet.
Green Paper nur ein Entwurf – die Debatte ist aufgeflammt
Denn Gasnetzbetreiber verweisen darauf, dass ein Teil der Gasnetze weiterhin gebraucht wird, um Wasserstoff, Biomethan oder CO2 zu transportieren.
Graichens Nachfolger Philipp Nimmermann sprach an diesem Dienstag auf der „Stadtwerke"-Tagung allerdings über die „unglaubliche Summe“, die auf Gaskunden zukommen könnte, die besonders lange am Gasnetz hängen und dann die gesamten Netzkosten allein schultern müssten, wenn ein Großteil der Menschen bereits auf Alternativen wie Wärmepumpe und Fernwärme umgestiegen sei.
Zugleich betonte Nimmermann jedoch, das Green Paper sei ein Entwurf, um das Thema Gasnetze mit den Netzbetreiben gemeinsam zu diskutieren und frühzeitig eine rechtssaubere Lösung zu finden.
Die Bundesregierung hat aus den früheren Diskussionen um die Gasversorgung gelernt – sie weiß, dass das Thema die Gemüter erhitzt. Entsprechend vorsichtig kommuniziert sie inzwischen. In dem Green Paper heißt es etwa: „In welchem Umfang die Gasverteilernetze nach dem Jahr 2045 noch benötigt werden, wird unter anderem davon abhängen, inwieweit sie zur Verteilung von Wasserstoff verwendet werden können und sollen.“
Das Papier beinhaltet jedoch auch die Einschätzung, „dass die Länge der Gasverteilernetze von derzeit über 500.000 Kilometern stark zurückgehen wird“. Ein Experte sagte dem Handelsblatt mit Blick auf das Dokument: „Man wollte es wohl nicht so hart formulieren wie Graichen, aber die Botschaft ist die gleiche.“
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