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Dies ist eine Replik auf "Vom Untergang unserer Städte"
Als Kind musste ich mal im Zeichenunterricht die Zukunft malen. Und ich malte, was ich kannte: Hochhäuser, Neubauten, Strassen, die vorbei führten. Vielleicht im Hintergrund noch ein paar Berge zur Ausschmückung. Wenn mans genau nimmt, war es erschreckend unkreativ, nichts unmögliches, keine fliegenden Autos oder so. Aber genauso stellte ich mir die Zukunft vor: nicht viel anders als jetzt. Einfach weiter machen wie bisher.
Ich ahnte noch nicht, wie schwer das mal sein würde.
Merkwürdig daran war, dass ich zwar Neubauten weiterhin für die Zukunft hielt - aber als wir vor der Wahl standen, umzuziehen, da fiel es mir deutlich auf: ich hab nichts gegen Leute, die in Hochhäuser-Neubauten wohnen. Nur ich könnte es nicht. Ich brauch diese alten Häuser mit den unergonomisch, aber gut aussehenden, schiefen Treppenhäusern, ich brauch diese Überraschung, wie das Bad aussehen, wie gross es sein wird. Ob es ein Fenster hat. Ob bereits eine Küche drin ist. Wie der Ausblick vom Balkon ist. Ob Stuck an der Decke ist. Ob die Tür alt und verziert sein wird. Ich brauch dieses Gefühl, dass ich die Herrschaftlichkeit des vorvorigen Jahrhunderts jetzt quasi umsonst bekomme. Zusammen mit den Angenehmlichkeiten des heutigen modernen Lebens.
Manchmal, wenn ich auf meinem Balkon sitze und ins Grüne hinausschaue, denke ich, dass ich trotz allem Glück hatte. Trotz meiner oft prekären Situation: Ich konnte mir meine Wohnung immer aussuchen. Sie war immer mitten in der Stadt. Immer Bäcker, Supermarkt, Späti oder Obsthändler in der Nähe, Saturn oder Mediamarkt nie weiter als 15 Minuten mit dem Fahrrad. Öffis immer fast vor der Haustür oder um die Ecke. Ich hatte immer warmes Wasser, sehr oft Küche mit Gasherd, immer mehr Strom als genug, und Internet, seit es bezahlbar war. Und Zentralheizung.
Man nimmt das für selbstverständlich, aber das ist es nicht. In anderen Städten stehn die Leute Schlange für eine halbwegs bezahlbare Wohnung. Manche finden sie nur weit ausserhalb der Stadt. In manchen kommt man nur mit Auto voran, und es herrscht 24 Stunden am Tag Stau. Und ich hab in meiner Wohnung theorethisch 30 kW Strom zur Verfügung. Das mag nur halb so viel sein wie jemannd in Island hat. Aber gut 15 mal so viel, wie jemand in einem Begdorf in der Sierra Nevada hat. Ja, es gibt Gegenden, da macht ein Elektro-Auto keinen Sinn, das muss selbst ich einsehen.
Nichtsdestotrotz weiss ich auch: ich hab in meinen Leben viel geschluckt.
Ich wollte nie die Wiedervereinigung. Ich bekam sie trotzdem. Mein Betrieb musste dichtmachen, Tausende verloren ihren Arbeitsplatz. Meine erste Zeitarbeitsbude schickte mich nach München - und kündigte mich 2 Tage später, weil ich mich nicht am Tag vorher bei ihnen gemeldet hatte. Ich schluckte es, und suchte mir vorübergegend in München Arbeit. doch es zog mich wieder heim. Die nächste Bude schickte mich auf einen Sonntag mit dem Nachtzug nach Westdeutschland - wo ich um 6 auf einer Baustelle sein musste, wo selbst bei -10°C noch gearbeitet wurde. Ich schluckte es. Bis ich nach einem Monat feststellte, dass ich bei dem Lohn besser zuhause geblieben wäre. Ich versuchte Handel mit Kleinartikeln, und bei dem ganzen Überdentischgezogenwerden erreichte ich zum ersten Mal meine Dispo-Grenze. Ich schluckte es, suchte mirt wieder einen regulären Job, und entschuldete mich über die Jahre. Zur Jahrtausendwende hatte ich eine 90-qm-Wohnung für 450 Euro. Fünf Jahre später musste ich umziehen, ich zahlte wieder 450 Euro - nur diesmal für die Hälfte des Wohnraums. Ich schluckte es.
Ich denke, so wie ich haben viele Ossis ziemlich viel geschluckt, viele sogar weit schlimmer als ich. Die Anzahl der Ossis, die nichts mehr schlucken wollen, wird immer grösser, und ich möchte das als ein positives Zeichen werten, als eine Art neues Selbstbewusstsein. Doch auf mich wirkt das oft wie das Gegenteil: es scheint Frustration zu sein, dass man soviel schlucken musste, und am Ende doch nicht das Paradies bekommt. Die Fähigkeit, nach vorne zu schauen, sich auf das Positive zu konzentrieren und die Dinge so zu nehmen, wie sie sind, sich den Herausforderungen zu stellen, mit dem wenigen, was man hat, glücklich zu sein - es gibt diese Leute, aber sie sind leise. Es ist, als sei es eine Sünde, das Leben zu geniessen und in diesem Leben das Glück darin zu finden, einfach nur da zu sein.
Ich bin lange genug auf der Welt, um zu wissen, dass die Mieten nicht wegen irgendeiner Energiepolitik so hoch steigen. Dass Firmen nicht unbedingt wegen höherer Energiepreise dichtmachen. Oder weil es jetzt einen Mindestlohn gibt. Ich weiss, dass Hausbesitzer in boomenden Städten in der Regel nicht prekär leben und auch nicht an der nächsten Renovierung pleite gehen. Ich weiss, dass Handwerker inzwischen Mondpreise verlangen, um gewisse Aufträge nicht machen zu müssen - und sie diese Aufträge doch bekommen. Weil sonst kein anderer da ist.
Ich weiss, dass Leipzig, die Stadt, die sich Red Bull als Sponsor ihres Fussballteams angeln konnte, nicht an ein paar Heizungs-Auswechselungen zugrunde geht !
Als Kind musste ich mal im Zeichenunterricht die Zukunft malen. Und ich malte, was ich kannte: Hochhäuser, Neubauten, Strassen, die vorbei führten. Vielleicht im Hintergrund noch ein paar Berge zur Ausschmückung. Wenn mans genau nimmt, war es erschreckend unkreativ, nichts unmögliches, keine fliegenden Autos oder so. Aber genauso stellte ich mir die Zukunft vor: nicht viel anders als jetzt. Einfach weiter machen wie bisher.
Ich ahnte noch nicht, wie schwer das mal sein würde.
Merkwürdig daran war, dass ich zwar Neubauten weiterhin für die Zukunft hielt - aber als wir vor der Wahl standen, umzuziehen, da fiel es mir deutlich auf: ich hab nichts gegen Leute, die in Hochhäuser-Neubauten wohnen. Nur ich könnte es nicht. Ich brauch diese alten Häuser mit den unergonomisch, aber gut aussehenden, schiefen Treppenhäusern, ich brauch diese Überraschung, wie das Bad aussehen, wie gross es sein wird. Ob es ein Fenster hat. Ob bereits eine Küche drin ist. Wie der Ausblick vom Balkon ist. Ob Stuck an der Decke ist. Ob die Tür alt und verziert sein wird. Ich brauch dieses Gefühl, dass ich die Herrschaftlichkeit des vorvorigen Jahrhunderts jetzt quasi umsonst bekomme. Zusammen mit den Angenehmlichkeiten des heutigen modernen Lebens.
Manchmal, wenn ich auf meinem Balkon sitze und ins Grüne hinausschaue, denke ich, dass ich trotz allem Glück hatte. Trotz meiner oft prekären Situation: Ich konnte mir meine Wohnung immer aussuchen. Sie war immer mitten in der Stadt. Immer Bäcker, Supermarkt, Späti oder Obsthändler in der Nähe, Saturn oder Mediamarkt nie weiter als 15 Minuten mit dem Fahrrad. Öffis immer fast vor der Haustür oder um die Ecke. Ich hatte immer warmes Wasser, sehr oft Küche mit Gasherd, immer mehr Strom als genug, und Internet, seit es bezahlbar war. Und Zentralheizung.
Man nimmt das für selbstverständlich, aber das ist es nicht. In anderen Städten stehn die Leute Schlange für eine halbwegs bezahlbare Wohnung. Manche finden sie nur weit ausserhalb der Stadt. In manchen kommt man nur mit Auto voran, und es herrscht 24 Stunden am Tag Stau. Und ich hab in meiner Wohnung theorethisch 30 kW Strom zur Verfügung. Das mag nur halb so viel sein wie jemannd in Island hat. Aber gut 15 mal so viel, wie jemand in einem Begdorf in der Sierra Nevada hat. Ja, es gibt Gegenden, da macht ein Elektro-Auto keinen Sinn, das muss selbst ich einsehen.
Nichtsdestotrotz weiss ich auch: ich hab in meinen Leben viel geschluckt.
Ich wollte nie die Wiedervereinigung. Ich bekam sie trotzdem. Mein Betrieb musste dichtmachen, Tausende verloren ihren Arbeitsplatz. Meine erste Zeitarbeitsbude schickte mich nach München - und kündigte mich 2 Tage später, weil ich mich nicht am Tag vorher bei ihnen gemeldet hatte. Ich schluckte es, und suchte mir vorübergegend in München Arbeit. doch es zog mich wieder heim. Die nächste Bude schickte mich auf einen Sonntag mit dem Nachtzug nach Westdeutschland - wo ich um 6 auf einer Baustelle sein musste, wo selbst bei -10°C noch gearbeitet wurde. Ich schluckte es. Bis ich nach einem Monat feststellte, dass ich bei dem Lohn besser zuhause geblieben wäre. Ich versuchte Handel mit Kleinartikeln, und bei dem ganzen Überdentischgezogenwerden erreichte ich zum ersten Mal meine Dispo-Grenze. Ich schluckte es, suchte mirt wieder einen regulären Job, und entschuldete mich über die Jahre. Zur Jahrtausendwende hatte ich eine 90-qm-Wohnung für 450 Euro. Fünf Jahre später musste ich umziehen, ich zahlte wieder 450 Euro - nur diesmal für die Hälfte des Wohnraums. Ich schluckte es.
Ich denke, so wie ich haben viele Ossis ziemlich viel geschluckt, viele sogar weit schlimmer als ich. Die Anzahl der Ossis, die nichts mehr schlucken wollen, wird immer grösser, und ich möchte das als ein positives Zeichen werten, als eine Art neues Selbstbewusstsein. Doch auf mich wirkt das oft wie das Gegenteil: es scheint Frustration zu sein, dass man soviel schlucken musste, und am Ende doch nicht das Paradies bekommt. Die Fähigkeit, nach vorne zu schauen, sich auf das Positive zu konzentrieren und die Dinge so zu nehmen, wie sie sind, sich den Herausforderungen zu stellen, mit dem wenigen, was man hat, glücklich zu sein - es gibt diese Leute, aber sie sind leise. Es ist, als sei es eine Sünde, das Leben zu geniessen und in diesem Leben das Glück darin zu finden, einfach nur da zu sein.
Ich bin lange genug auf der Welt, um zu wissen, dass die Mieten nicht wegen irgendeiner Energiepolitik so hoch steigen. Dass Firmen nicht unbedingt wegen höherer Energiepreise dichtmachen. Oder weil es jetzt einen Mindestlohn gibt. Ich weiss, dass Hausbesitzer in boomenden Städten in der Regel nicht prekär leben und auch nicht an der nächsten Renovierung pleite gehen. Ich weiss, dass Handwerker inzwischen Mondpreise verlangen, um gewisse Aufträge nicht machen zu müssen - und sie diese Aufträge doch bekommen. Weil sonst kein anderer da ist.
Ich weiss, dass Leipzig, die Stadt, die sich Red Bull als Sponsor ihres Fussballteams angeln konnte, nicht an ein paar Heizungs-Auswechselungen zugrunde geht !