Immanuel Kant noch setzte Anarchie gleich Gesetz und Freiheit ohne Gewalt. Tolstoj machte sich diese Definition zu eigen, doch Bakunin hat sie nie akzeptiert. Er und seine Jünger trieben zu Gewalttaten an, die ohne Sinn und Nutzen waren. Ein anderer "Klassiker" des Anarchismus, der Fürst Kropotkin, ging eigene Wege, die der Gewaltlosigkeit näher waren. (Die terroristischen Desperados der siebziger Jahre verdienten es in Wahrheit kaum, Anarchist genannt zu werden. Hierzu schrieb mir einer der bekanntesten deutschen und europäischen Anarchosyndikalisten, der mittlerweile 80jährige Augustin Souchy, der aus Schlesien stammte. Er wandte sich an mich nach einer Fernsehansprache, mit der ich im Juni 1972 auf das Umfeld der Baader-Meinhof-Gruppe mit Argumenten der Vernunft nicht erfolglos einzuwirken versuchte: Mit der Verurteilung des Terrorismus sei er einverstanden, "denn auch ich verabscheue sinnlose Gewalttaten, selbst wenn sie politisch motiviert werden". Enttäuscht, sei er, daß leider auch ich "wildgewordene, sich zu einem konfusen Neomarxismus und Maoismus bekennende Bürgersöhne und Bürgertöchter" als kriminelle Anarchisten bezeichnet habe: "Ich möchte Dein Augenmerk auch darauf lenken, daß die seinerzeit von Proudhon aufgestellten anarchistischen Prinzipien politischer Autonomie und freier Föderation bei gleichzeitiger Kooperation von selbständigen Kollektivunternehmungen heute als Alternative zur privatkapitalistischen Monopolwirtschaft einerseits und zur zentralen Verwaltungswirtschaft andererseits ernsthaft in Erwägung gezogen werden." In meiner Antwort sagte ich, es liege mir fern, der irrigen Meinung Vorschub zu leisten, jeder Anarchismus sei auf Gewalt gerichtet und kriminell. So äußerte ich mich auch vor dem Bundestag. Meine Antwort an Souchy war freilich nicht sehr anspruchsvoll.)