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Zwischen Brüssel und Moskau

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Zwischen Brüssel und Moskau

Die EU muss auf das Willkürurteil gegen Julija Timoschenko entschieden und klar reagieren. Die europäische Tür aber sollte für die Ukraine offen bleiben.

von Konrad Schuller

Seit ein ferngesteuertes Kiewer Gericht die ukrainische Oppositionsführerin Julija Timoschenko in einem Schauprozess zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt hat, erwägt die Europäische Union, den Assoziationsvertrag, den sie in jahrelangen Verhandlungen mit der Ukraine ausverhandelt hat, in die Kühltruhe zu legen. Manche verlangen, ihn zwar zu unterzeichnen, aber dann nicht zu ratifizieren, andere wollen nicht einmal mehr von einer Unterzeichnung hören.
Brüssel träfe damit die Oligarchen in der Entourage des Präsidenten Janukowitsch, der seit seinem Machtantritt 2010 immer autoritärer geworden ist, an einer empfindlichen Stelle. Zu den Bestandteilen des Vertrags gehört nämlich ein "tiefes und umfassendes" Freihandelsabkommen, das Janukowitschs Finanzierern wertvolle neue Märkte für ihren Stahl und ihr Getreide öffnet. Der Verlust dieser Möglichkeiten bedeutet für sie unmittelbare Vermögensschäden.
Darüber hinaus wäre die Ukraine ohne die Aussicht auf Anbindung an die EU Moskaus Druck schutzlos ausgeliefert. Russland will das Land in seine Umlaufbahn zurückholen. Es verlangt von der Ukraine, ihre europäischen Ambitionen fahrenzulassen. Stattdessen soll sie sich der Zollunion mit Weißrussland und Kasachstan ebenso anschließen wie Wladimir Putins erträumter "Eurasischer Union".
Aus Sicht des Regimes in Kiew wäre das ein Albtraum. Janukowitsch und seine Milliardäre wissen, wie Putin mit dem unbotmäßigen Oligarchen Chodorkowskij umgesprungen ist. Ihnen ist klar, dass sie nur Herr im Hause bleiben können, wenn sie Moskau auf Distanz halten. Sie brauchen die Profitmöglichkeiten, welche die EU ihnen bietet, um die unerbittlich steigenden russischen Gaskosten auszugleichen. Ein Scheitern des Assoziationsvertrages träfe deshalb die Lebensinteressen der Clans. Wenn Brüssel so etwas ankündigt, ist das aus Kiewer Sicht eine ernste Sache.
Allerdings wäre eine solche Drohung auch für Europa riskant. Ein Abbruch der West-Integration könnte die Ukraine genau in jene Richtung abdriften lassen, in die sie nicht driften darf: nach Osten. Wenn Brüssel als Strafe für Janukowitschs Übergriffe den Assoziationsvertrag begrübe, wäre eine einmalige Gelegenheit verloren, diesem Volk von knapp 46 Millionen Menschen für den (durchaus möglichen) Fall einer demokratischen Neuorientierung die Tür zur Rückkehr offen zu lassen. Die Chance wäre vertan, der Ukraine eine dauerhafte Alternative zum Moskauer Autoritarismus zu bieten. Ohne europäische Perspektiven aber müsste sie schließlich dem russischen Druck nachgeben. Statt der Aussicht, sich im Falle einer Wiederkehr des demokratischen Lagers auf einer schon bestehenden Vertragsgrundlage im Westen integrieren zu können, bliebe der Ukraine nur übrig, sich politisch, wirtschaftlich, administrativ an russischen Standards zu orientieren - langfristig ein kaum zu widerrufender Prozess. Das beträchtliche demokratische Potential, das diese Gesellschaft seit der "Revolution in Orange" immer wieder bewiesen hat, hätte keine Chance mehr. Moskau hätte die Ukraine wiedergewonnen, den bei weitem wichtigsten unter den verlorenen Teilen des alten Reiches. Das einzige Land mit der Möglichkeit, im ostslawischen Raum ein Gegenmodell zu Putins Autoritarismus zu entwickeln, wäre endgültig eingemeindet.
Die EU muss deshalb auf das Willkürurteil gegen Timoschenko nicht nur entschieden und klar reagieren, sondern auch so, dass die Ukraine an das Erreichte wieder anknüpfen kann, wenn das Pendel eines Tages wieder zur Demokratie zurückschwingen sollte. Der Assoziationsvertrag, dessen Kontrollmechanismen gerade in Zeiten autoritärer Rückfälle unersetzlich sind, sollte nicht zerbrochen werden. Ohnehin wird es noch Monate oder Jahre dauern, bis er die Stufen der Paraphierung, der Unterzeichnung und Ratifizierung in allen EU-Mitgliedstaaten durchlaufen hat.
Das darf aber nicht heißen, dass Pressemanipulation, oligarchische Clanwirtschaft und Willkürjustiz einfach hingenommen werden. Wenn die EU auf Janukowitschs Schauprozesse gegen Timoschenko, den früheren Innenminister Luzenko und andere Oppositionelle nicht reagiert, verliert sie auch gegen Lukaschenka in Weißrussland ihre Glaubwürdigkeit, ganz zu schweigen von Assad in Syrien und allen anderen, denen sie Demokratie predigt. Das Kunststück ist, entschieden zu handeln, aber keinen Schaden anzurichten.
Einen Ausweg haben die jüngsten Vorschläge aus der ukrainischen Opposition gewiesen. Hier werden vor allem sorgfältig dosierte, personalisierte Sanktionen gegen die Schuldigen der Unterdrückung empfohlen. Timoschenkos Stellvertreter Nemirija etwa schlägt Einreiseverbote und Kontosperrungen für diejenigen Staatsanwälte, Richter, Geheimdienstchefs und Minister vor, die für die Schauprozesse verantwortlich sind. Für die Apparatschiks des Regimes, die ihre Kinder auf Londoner Schulen schicken und ihre Krankheiten an deutschen Kliniken kurieren lassen, wäre das schmerzhaft. Für das Land hätte es den Vorteil, dass die europäische Tür offen bliebe, wenn die Gezeiten wieder wechseln sollten.
 

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