Hochrangige Militärs und Experten warnen mit Blick auf Forderungen nach der Verhängung einer Flugverbotszone über Syrien und nach der Lieferung von Flugabwehrraketen an aufständische Milizen vor einem offenen Krieg zwischen Russland und den USA. Entsprechende Forderungen sind auch von prominenten deutschen Politikern erhoben worden. Wie der Vorsitzende der US Joint Chiefs of Staff feststellt, würde die Ausrufung einer Flugverbotszone über Syrien "es erforderlich machen, gegen Russland Krieg zu führen".
Die Aussicht, Moskau könne mit einem Sieg über die Aufständischen in Aleppo - darunter bis zu tausend Mitglieder des syrischen Al Qaida-Ablegers - einen strategischen Erfolg erzielen und sich zu weiteren weltpolitischen Aktivitäten ermutigt fühlen, führt nun zu verzweifelten Versuchen im Westen, mit massivem politischem Druck das Ruder herumzureißen - um Russland womöglich doch noch in eine untergeordnete Rolle zurückdrängen zu können. Zur Begründung dienen die zivilen Kriegsopfer in Aleppo. Ginge es den NATO-Mächten tatsächlich darum, zivile Opfer zu vermeiden, gäbe es reichlich Gelegenheit dazu etwa in Afghanistan, wo von 2008 bis 2015 allein durch Luftschläge der NATO laut einer Untersuchung der Universität Boston mindestens 1.766 Zivilisten zu Tode kamen. Zudem verloren in Afghanistan im selben Zeitraum mindestens 2.492 Zivilisten bei Bodenoperationen der NATO und ihrer afghanischen Verbündeten das Leben.[3] Hinzu kamen mehrere tausend Zivilisten, die bei Anti-Terror-Operationen der Vereinigten Staaten und der mit ihnen verbündeten pakistanischen Streitkräfte starben. Frankreichs Regierung fordert nun, Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu verfolgen, will dies allerdings nur auf angebliche oder tatsächliche Kriegsverbrechen russischer und syrischer Militärs angewandt wissen. Zivile Opfer bunkerbrechender Bomben im Irak-Krieg vom Frühjahr 2003 hingegen haben ebensowenig französische Bestrebungen ausgelöst, die Täter vor Gericht zu stellen, wie die Zerstörung der irakischen Stadt Fallujah durch US-Truppen im November 2004, bei der laut Schätzungen des Roten Kreuzes mindestens 800 Zivilisten zu Tode kamen, und die Bombardierung von Krankenhäusern durch US-Bomber wie in Kunduz im Oktober 2015. In Deutschland hat erst kürzlich der Bundesgerichtshof ein von einem deutschen Oberst befohlenes Massaker, bei dem am 4. September 2009 nahe Kunduz etwa hundert Zivilisten ihr Leben verloren, sogar ausdrücklich als "völkerrechtlich zulässig" eingestuft (german-foreign-policy.com berichtete.
Hochrangige Militärs und Experten warnen dringend vor einer Fortsetzung des Eskalationskurses, wie ihn etwa Politiker von CDU und Bündnis 90/Die Grünen fordern. Über die Forderung, eine Flugverbotszone über Syrien oder über Teile des Landes zu verhängen, hat sich vor kurzem US-General Joseph Dunford geäußert, der Vorsitzende der US Joint Chiefs of Staff: "Das würde es erforderlich machen, gegen Syrien und Russland Krieg zu führen. Das ist eine ziemlich grundlegende Entscheidung."[9] Mit Blick auf die mögliche Lieferung von Flugabwehrraketen an syrische Aufständische wiederum hat der Außenpolitik-Experte Trenin vom Carnegie Moscow Center gewarnt, Syrien könne sich leicht "in ein Schlachtfeld" zwischen Russland und den USA verwandeln: "wenn die Stellvertreter zunächst auf die Chefs zielen" - gemeint waren etwaige Rebellenangriffe mit Flugabwehrraketen auf russische Bomber oder auch Gegenschläge syrischer Regierungstruppen gegen etwaige US-Attacken - "und die Chefs dann nicht auf die Stellvertreter zurückschießen, sondern aufeinander".[10] Trenin, ein besonnener Fachmann, der nicht zu Alarmismus neigt, schreibt: "Das ist eine außergewöhnlich verstörende Aussicht, die den Leuten in Moskau und Washington schlaflose Nächte bereiten sollte." Stattdessen werde jedoch "Putins Russland" in westlichen Medien zunehmend behandelt "wie Amerikas alte Gegner - von Slobodan Milosevics Jugoslawien über Saddam Husseins Irak bis zu Muammar Gaddafis Libyen", und in Osteuropa würden inzwischen gar US-Kampfflieger "bejubelt", die sich "mit den Russen anlegen - und gewinnen". Trenin resümiert trocken: "Die Vorstellung eines Krieges in Syrien zwischen den Supermächten ist kaum weit hergeholt."
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59463