Leben ohne Corona
Wie zwei Länder die Pandemie beenden wollen
11.01.2022, 20:27 Uhr
Zwei Frauen mit FFP2-Masken auf der Londoner Oxford Street: Großbritannien debattiert über eine Ende der Corona-Maßnahmen. (Quelle: Dominic Lipinski/PA/dpa)
Forderungen nach "neuer Normalität"
In
Großbritannien riefen in den vergangenen Tagen gleich mehrere Experten ein Ende der Pandemie aus, trotz täglich etwa 170.000 Neuinfektionen. Der ehemalige Leiter der britischen Impfstoff-Taskforce, Clive Dix, forderte etwa die Rückkehr zu einer "neuen Normalität". Covid solle wie eine Grippe behandelt werden, da die Omikron-Variante eine ähnliche Todesrate aufweise. Zudem sprach sich Dix dafür aus, die Massentestung der Bevölkerung zu beenden und stattdessen eine "gezielte Strategie" für besonders gefährdete Personen zu verfolgen, berichtete die "Daily Mail".
"Ich denke, Massentestungen bringen niemandem etwas", so Dix. Man müsse an einen Punkt kommen, an dem eine junge, geimpfte Person, die nachweislich geschützt sei, solange zu Hause bleibe, wie sie Symptome habe – ähnlich wie bei einer starken Erkältung oder Grippe. "Und wenn es ihr besser geht, soll sie zurück zur Arbeit gehen", erklärte der Experte.
Lauterbach kritisiert britischen Kurs
Wohnungsbauminister
Michael Gove, der in der Vergangenheit auf den vorsichtigen Kurs setzte, sagte demnach, das Vereinigte Königreich befinde sich bald "in einer Situation", in der "wir sagen können, dass wir mit Covid leben können und dass der Druck auf das Gesundheitssystem NHS und auf wichtige öffentliche Dienste nachlässt". Es gebe andere Coronaviren, die endemisch seien und mit denen man leben würde. "Wir können uns also an den wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren und die Beschränkungen schrittweise aufheben, und ich denke, je früher, desto besser für uns alle."
Was ist der Unterschied zwischen einer Endemie und einer Pandemie? Wenn sich Menschen in mehreren Ländern oder weltweit mit einer Krankheit anstecken und dabei schwer erkranken können, sprechen Experten und Expertinnen von einer
Pandemie. Bei einer
Endemie tritt eine Krankheit dauerhaft in bestimmten Regionen auf. Die Krankheit verschwindet also nicht mehr, sie kann immer wieder kommen – wie etwa die Grippe.
Bundesgesundheitsminister
Karl Lauterbach (SPD) äußerte in der ARD-Sendung "Hart aber fair" Unverständnis für den Kurs der Regierung von
Boris Johnson: "Aus meiner Sicht ist es eine unethische Wette." Man könne zwar eine Strategie wie
England fahren, also einen Großteil der Bevölkerung einer Infektion mit der Omikron-Variante aussetzen, ohne die langfristigen Folgen genau zu kennen. "Ich halte es aber für falsch", sagte der SPD-Politiker.
Warum ein Ende der Pandemie debattiert wird
Warum aber ist ein Ende der Pandemie auf der Insel überhaupt im Gespräch, wenn die Infektionszahlen weiter auf Rekordniveau liegen? Es ist besonders der nach ersten Erkenntnissen offenbar mildere Verlauf der Omikron-Variante, auf den sich mehrere Experten bei ihren Forderungen nach "mehr Normalität" berufen.
Aber auch die Impfquote dient als Argument: Der britischen Regierung zufolge haben 90 Prozent der Bürger über zwölf Jahren eine erste Impfdosis erhalten, knapp 83 Prozent sind zweifach geimpft und 62 Prozent wurden inzwischen geboostert (Stand: 9. Januar). Zum Vergleich: In
Deutschland haben rund 43 Prozent eine Booster-Impfung bekommen (Stand: 11. Januar).
Zugleich gibt es trotz hoher Infektionszahlen weniger Krankenhauseinweisungen in Großbritannien als im Vorjahr: Durchschnittlich kommen täglich rund 2.000 Patienten wegen
Covid-19 in eine Klinik, im Januar 2021 waren es noch etwa 4.000.
"Wir sind noch nicht am Ziel"
Auch der Covid-Sonderbeauftragte der Weltgesundheitsorganisation (
WHO), David Nabarro, plädierte in einem Interview mit dem Nachrichtensender Sky News für einen "Übergang zu einem Zustand, der der Normalität näher kommt". Doch der Experte äußerte ebenso Bedenken: "Ein Ende ist in Sicht, aber wir sind noch nicht am Ziel." Es werde noch einige Stolpersteine geben, bevor man ankomme. "Ich kann Ihnen nicht sagen, wie schlimm sie sein werden", so der Experte.
Er erwarte weitere Varianten und die Politik müsse auch künftig immer noch einige schwere Entscheidungen treffen, besonders in armen Ländern. Nabarro warnte, dass das Virus immer wieder neue Wellen mit sich bringe. "Das Leben mit Covid bedeutet, dass man sich auf diese Schübe vorbereiten und schnell reagieren muss, wenn sie auftreten. Das Leben kann weitergehen, wir können die Wirtschaft in vielen Ländern wieder in Gang bringen, aber wir müssen das Virus wirklich respektieren", sagte der WHO-Experte.
"Werden sicher keine riesigen Steigerungen mehr erleben"
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Auch Spanien plant Kurswechsel
Großbritannien steht mit diesem Plan nicht allein dar, auch Spanien erwägt einen Kurswechsel, berichtete die Zeitung "El País". Corona-Infektionen sollten weniger strikt nachverfolgt werden. Ähnlich wie bei der Grippe würde nicht mehr jeder einzelne Fall dokumentiert und es würden auch nicht alle Personen mit Symptomen getestet.
Ministerpräsident
Pedro Sánchez bestätigte die Überlegungen: Da die Todesfallraten bei Corona-Erkrankungen gesunken seien, könne es an der Zeit sein, mit der Pandemie nun auf anderen Wegen umzugehen, sagt er dem Sender SER. Darüber solle auch auf europäischer Ebene gesprochen werden
. "Wir steuern auf eine endemische Krankheit zu statt wie bisher auf eine Pandemie. Wir müssen auf diese Situation mit neuen Instrumenten reagieren", so Sánchez. "Wir haben mehr als 90 Prozent der spanischen Bevölkerung geimpft.
Wir sind ein Vorbild und eine Inspiration auf der ganzen Welt", lobte der Politiker.
Ende der Pandemie in Spanien? Das Land will das Virus schon bald wie eine Grippe behandeln – trotz hoher Infektionszahlen. (Quelle: Zuma Wire/imago images)
Weniger Nachverfolgung von Infektionen
"El País" zufolge soll der Strategiewechsel so aussehen: Anstatt jeden einzelnen Corona-Fall zu registrieren, soll künftig ein Sentinelsystem, ähnlich wie bei der Grippe, greifen. Nur ausgewählte Hausärzte, Gesundheitszentren und Krankenhäuser erheben dann Daten zur Ausbreitung des Virus. Anhand dessen werden Hochrechnungen durchgeführt.
Die Strategie wird laut "El País" bereits seit Sommer 2020 erarbeitet, nun gehe die Planung in die Endphase. Allerdings sei noch unklar, wann sie greifen soll – zumindest nicht mehr in der derzeit herrschenden Omikron-Welle.
Auch in dem südeuropäischen Land sind derzeit hohe Infektionszahlen zu beobachten, in der vergangenen Woche gab es durchschnittlich täglich rund 113.000 neue Fälle. Zudem müssen immer mehr Covid-Patienten im Krankenhaus behandelt werden. Jedoch steigt die Zahl der Krankenhausaufenthalte deutlich langsamer als in den vergangenen Wellen.
Auch dort ist die hohe Impfquote und der wahrscheinlich mildere Verlauf der Omikron-Infektionen ausschlaggebend.
.... "Wir müssen so schnell wie möglich die 'alte' Normalität, also das Leben, wie wir es vor März 2020 kannten, zurückgewinnen: ohne Masken oder Einschränkungen des sozialen Miteinanders", heißt es in dem Schreiben.
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- Nach fast zwei Jahren Pandemie wollen Spanien und Großbritannien auf das Szenario Hoffnung auf jeden Fall bestmöglich vorbereitet sein.
Wie zwei Länder die Pandemie beenden wollen | https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/id_91463482/corona-und-omikron-wie-zwei-laender-die-pandemie-beenden-wollen.html