G
Gelöschtes Mitglied 2265
(marxistische Sichtweise)
Sowjetische Landwirtschaft
1. Getreideraub
Im Verlauf der Russischen Revolution hatten Bauern, die kein Land besaßen, sich Land genommen. Pachtverträge wurden verbrannt. Bei den Bolschewiki setzte sich Lenin mit der realistischen Auffassung durch, dass die Bolschewiki nur dann an der Macht blieben, wenn sie diese Landumverteilung zugunsten der Kleinbauern legalisierten. Durch die Landverteilung stieg die Zahl der Bauernfamilien in Russland von rund 18 Millionen auf 25 Millionen (1927). Die ungleiche Landverteilung wurde weitgehend nivelliert, die Durchschnittsgröße des Landes, das eine Familie bebaute, fiel.[1] Die Bauernschaft war zunächst der Hauptnutznießer der Russischen Revolution.
Diese selbstwirtschaftenden russischen Bauern verfügten über die wesentlichen Produktionsmittel Land, Tier, Werkzeug und Saatgut ohne Einkauf, ohne Zirkulation. Selbst die Pflüge bestanden in den Anfangsjahren der Sowjetunion häufig nur aus Holz, so dass der Bauer sie selbst ohne den industriellen Rohstoff Stahl fertigte. Der Bauer konnte anfangen zu wirtschaften ohne Eingreifen von oben, ohne Direktive.
Die Erholung der sowjetischen Landwirtschaft in den zwanziger Jahren erfolgte in dieser spontanen Weise. Die Bauern wirtschafteten in Subsistenzwirtschaft nach der Formel:
W(landw.) ... P ... W(landw.)
Geld spielte für sie kaum eine Rolle, es gab für die Bauern wenig zu kaufen. Getreide war besser als Geld, es war auf dem Land noch „der Wert aller Werte“[2].
Für die Industrialisierung des Landes wurde aber Getreide für die wachsende Arbeiterbevölkerung gebraucht. Sollte die Industrialisierung nicht scheitern, dann hatte die Bauern einen Lebensmittelüberschuss zu produzieren, über ihren Eigenbedarf hinaus.
Von Anfang betrachtete die sowjetische Regierung alle landwirtschaftlichen Überschüsse als staatliches Eigentum, den Bauern sollte nur ihr Lebensunterhalt, gleichsam ein Arbeiterlohn bleiben. In der Zeitschrift „Kommunist“ hieß es 1920: „Wie die Arbeiter ihre ganze Arbeitskraft dem Staat schulden, so schuldet der Bauer seine Überschüsse dem Staat.“[3] Dem Arbeiter konnte der Sowjetstaat sein Arbeitsprodukt ganz ohne Gewaltanwendung wegnehmen, aber dem Bauern?
Auf der „Allrussischen Versorgungskonferenz“ von 1920[4] wurde beschlossen, alle bäuerlichen Überschüsse einzuziehen. Allerdings gab es zunächst keine wirtschaftlichen, sondern nur außerwirtschaftliche Mittel, um diese Absicht durchzusetzen. Die Bolschewiki zogen in bewaffneten Formationen auf die Dörfer und nahmen den Bauern alles Getreide weg, was ihnen als „Überschuss“ erschien. Durch diesen sogenannten „Kriegskommunismus“ wurde den Bauern ihr überschüssiges Getreide und oft noch mehr mit militärischer Gewalt geraubt.
In der Geschichte der KPdSU wird das allein aus der Kriegssituation begründet: „Der Sowjetstaat war genötigt, von dem Bauern auf Grund der Ablieferungspflicht alle Überschüsse für die Bedürfnisse der Landesverteidigung einzuziehen.“ [5]
Dass aber eine revolutionäre Armee auch in Kriegszeiten ohne eine solche Vergewaltigung der Bauernwirtschaften auskommen kann, bewiesen die chinesische KP und die chinesische Rote Armee. Außerdem wurde in der jungen Sowjetunion deutlich weniger Getreide für die Landesverteidigung requiriert als für die Versorgung aller Werktätigen in den Städten. In den Städten waren viele Mäuler mehr zu stopfen als in der Armee.
Trotz dieses Raubs ihrer Arbeitsfrüchte war die Stimmung der Bauern zunächst nicht gegen die Bolschewiki gerichtet: „An vielen Orten war immer die Furcht vor der Gegenrevolution..., die dem kleinen Mann das Land wieder abnehmen würde, stärker als der Widerwille gegen Kommissare, Requisitionen und Exekutionen.“[6] Die Bauern äußerten spontane Antistaatlichkeit, nicht „Antikommunismus“. Sie wollten weder Steuern zahlen, noch Abgaben abliefern, noch Rekruten stellen, sie wollten einfach für sich selber arbeiten und selber ihre Arbeitsfrüchte genießen.[7]
Sobald den Bauern ihre Arbeitsfrüchte weggenommen wurde, schränkten sie die folgende Ernte ein und schlachteten ihr Vieh. Sie wollten für sich und nicht für den Staat arbeiten. Die notwendige Folge des Getreideraubs war ein noch geringeres Getreideangebot im folgenden Jahr.
1921 war daher ein Jahr schrecklichen Hungers, in dem Unzählige verhungerten. Die Sowjetregierung musste Lebensmittelhilfe aus den USA akzeptieren und kaufte trotz äußerst knapper Devisen Getreide auf dem Weltmarkt.
Durch Raub des bäuerlichen Mehrprodukts hätte sich auf Dauer keine Regierung halten können. Schon 1920 brachen überall im Sowjetgebiet bewaffnete Bauernunruhen aus, die auf die Städte übergriffen und im Februar 1921 im Kronstädter Arbeiteraufstand gipfelten. Die Sowjetregierung war in einer schweren Krise und in der Partei entbrannten Fraktions- und Machtkämpfe.
In dieser wirtschaftlich wie politisch krisenhaften Lage entwarf Lenin die Neue Ökonomische Politik, die einen durch private Händler organisierten Austausch zwischen Stadt und Land förderte, den Bauern Industrieerzeugnisse anbot und sie im Kauf gegen Getreide austauschte.
In der „Geschichte der KPdSU“ wurde die wirtschaftliche Zwangslage, in die sich die Sowjetregierung gebracht hatte, vornehm vertuscht und dieser Richtungswechsel als freie und einsichtsvolle Entscheidung hingestellt: „Dem Zentralkomitee der Partei, seiner Leninschen Mehrheit war es klar, dass es nach Beendigung des Krieges und nach dem Übergang zu friedlichem wirtschaftlichen Aufbau keinen Grund mehr gab, das durch die Verhältnisse des Krieges und der Blockade bedingte harte Regime des Kriegskommunismus beizubehalten.“[8]
Mit der Neuen Ökonomischen Politik führte Lenin die Marktwirtschaft in der Sowjetunion wieder ein, aber es war eine „soziale Marktwirtschaft“ mit besseren Schutzvorschriften für die sowjetischen Werktätigen als die Lohnarbeiter in irgendeinem kapitalistischen Land bis heute erreicht haben. Alle diese Arbeiterschutzgesetze wurden jedoch von späteren Sowjetregierungen wieder rückgängig gemacht.
Durch die Neue Ökonomische Politik nahm die bäuerliche Produktion in der Sowjetunion erstmals in größerem Umfang die Form der Warenproduktion an. Die Bauern verkauften einen Teil ihrer Ernte W(landw) gegen Geld G und kauften von dem Geld Industrieprodukte W(industr). Das ergibt für diese Warenproduktion die Formel:
W(landw) - G – W(industr) ...Produktion.... W(landw)
Dabei gingen die für Geld gekauften W(industr) sowohl in den produktiven wie individuellen Konsum der Bauern ein, z.B. als Pflüge oder als Seife und Zündhölzer. So erst konnte die bäuerliche Arbeit für die Industrialisierung als freiwilliger Lieferant von Lebensmitteln und Rohstoffen wie als Abnehmer von Industriegütern nutzbar gemacht werden.
Die Landwirtschaft und die sowjetische Wirtschaft insgesamt erholten sich und erreichten in den folgenden fünf Jahren die guten Wirtschaftszahlen von 1914. Also war doch eine Harmonie zwischen Industrialisierung und bäuerlicher Kleinproduktion möglich?
Dieses scheinbar harmonische Zusammenwirken von Landwirtschaft und Industrie musste gestört werden, sobald die Bauern für ihr Getreide nicht genug Industriegüter bekamen – entweder weil die Preisrelationen für die Bauern zu ungünstig waren oder weil zuwenig Industriegüter produziert wurden, die die Bauern nachfragten.
wird fortgesetzt
Sowjetische Landwirtschaft
1. Getreideraub
Im Verlauf der Russischen Revolution hatten Bauern, die kein Land besaßen, sich Land genommen. Pachtverträge wurden verbrannt. Bei den Bolschewiki setzte sich Lenin mit der realistischen Auffassung durch, dass die Bolschewiki nur dann an der Macht blieben, wenn sie diese Landumverteilung zugunsten der Kleinbauern legalisierten. Durch die Landverteilung stieg die Zahl der Bauernfamilien in Russland von rund 18 Millionen auf 25 Millionen (1927). Die ungleiche Landverteilung wurde weitgehend nivelliert, die Durchschnittsgröße des Landes, das eine Familie bebaute, fiel.[1] Die Bauernschaft war zunächst der Hauptnutznießer der Russischen Revolution.
Diese selbstwirtschaftenden russischen Bauern verfügten über die wesentlichen Produktionsmittel Land, Tier, Werkzeug und Saatgut ohne Einkauf, ohne Zirkulation. Selbst die Pflüge bestanden in den Anfangsjahren der Sowjetunion häufig nur aus Holz, so dass der Bauer sie selbst ohne den industriellen Rohstoff Stahl fertigte. Der Bauer konnte anfangen zu wirtschaften ohne Eingreifen von oben, ohne Direktive.
Die Erholung der sowjetischen Landwirtschaft in den zwanziger Jahren erfolgte in dieser spontanen Weise. Die Bauern wirtschafteten in Subsistenzwirtschaft nach der Formel:
W(landw.) ... P ... W(landw.)
Geld spielte für sie kaum eine Rolle, es gab für die Bauern wenig zu kaufen. Getreide war besser als Geld, es war auf dem Land noch „der Wert aller Werte“[2].
Für die Industrialisierung des Landes wurde aber Getreide für die wachsende Arbeiterbevölkerung gebraucht. Sollte die Industrialisierung nicht scheitern, dann hatte die Bauern einen Lebensmittelüberschuss zu produzieren, über ihren Eigenbedarf hinaus.
Von Anfang betrachtete die sowjetische Regierung alle landwirtschaftlichen Überschüsse als staatliches Eigentum, den Bauern sollte nur ihr Lebensunterhalt, gleichsam ein Arbeiterlohn bleiben. In der Zeitschrift „Kommunist“ hieß es 1920: „Wie die Arbeiter ihre ganze Arbeitskraft dem Staat schulden, so schuldet der Bauer seine Überschüsse dem Staat.“[3] Dem Arbeiter konnte der Sowjetstaat sein Arbeitsprodukt ganz ohne Gewaltanwendung wegnehmen, aber dem Bauern?
Auf der „Allrussischen Versorgungskonferenz“ von 1920[4] wurde beschlossen, alle bäuerlichen Überschüsse einzuziehen. Allerdings gab es zunächst keine wirtschaftlichen, sondern nur außerwirtschaftliche Mittel, um diese Absicht durchzusetzen. Die Bolschewiki zogen in bewaffneten Formationen auf die Dörfer und nahmen den Bauern alles Getreide weg, was ihnen als „Überschuss“ erschien. Durch diesen sogenannten „Kriegskommunismus“ wurde den Bauern ihr überschüssiges Getreide und oft noch mehr mit militärischer Gewalt geraubt.
In der Geschichte der KPdSU wird das allein aus der Kriegssituation begründet: „Der Sowjetstaat war genötigt, von dem Bauern auf Grund der Ablieferungspflicht alle Überschüsse für die Bedürfnisse der Landesverteidigung einzuziehen.“ [5]
Dass aber eine revolutionäre Armee auch in Kriegszeiten ohne eine solche Vergewaltigung der Bauernwirtschaften auskommen kann, bewiesen die chinesische KP und die chinesische Rote Armee. Außerdem wurde in der jungen Sowjetunion deutlich weniger Getreide für die Landesverteidigung requiriert als für die Versorgung aller Werktätigen in den Städten. In den Städten waren viele Mäuler mehr zu stopfen als in der Armee.
Trotz dieses Raubs ihrer Arbeitsfrüchte war die Stimmung der Bauern zunächst nicht gegen die Bolschewiki gerichtet: „An vielen Orten war immer die Furcht vor der Gegenrevolution..., die dem kleinen Mann das Land wieder abnehmen würde, stärker als der Widerwille gegen Kommissare, Requisitionen und Exekutionen.“[6] Die Bauern äußerten spontane Antistaatlichkeit, nicht „Antikommunismus“. Sie wollten weder Steuern zahlen, noch Abgaben abliefern, noch Rekruten stellen, sie wollten einfach für sich selber arbeiten und selber ihre Arbeitsfrüchte genießen.[7]
Sobald den Bauern ihre Arbeitsfrüchte weggenommen wurde, schränkten sie die folgende Ernte ein und schlachteten ihr Vieh. Sie wollten für sich und nicht für den Staat arbeiten. Die notwendige Folge des Getreideraubs war ein noch geringeres Getreideangebot im folgenden Jahr.
1921 war daher ein Jahr schrecklichen Hungers, in dem Unzählige verhungerten. Die Sowjetregierung musste Lebensmittelhilfe aus den USA akzeptieren und kaufte trotz äußerst knapper Devisen Getreide auf dem Weltmarkt.
Durch Raub des bäuerlichen Mehrprodukts hätte sich auf Dauer keine Regierung halten können. Schon 1920 brachen überall im Sowjetgebiet bewaffnete Bauernunruhen aus, die auf die Städte übergriffen und im Februar 1921 im Kronstädter Arbeiteraufstand gipfelten. Die Sowjetregierung war in einer schweren Krise und in der Partei entbrannten Fraktions- und Machtkämpfe.
In dieser wirtschaftlich wie politisch krisenhaften Lage entwarf Lenin die Neue Ökonomische Politik, die einen durch private Händler organisierten Austausch zwischen Stadt und Land förderte, den Bauern Industrieerzeugnisse anbot und sie im Kauf gegen Getreide austauschte.
In der „Geschichte der KPdSU“ wurde die wirtschaftliche Zwangslage, in die sich die Sowjetregierung gebracht hatte, vornehm vertuscht und dieser Richtungswechsel als freie und einsichtsvolle Entscheidung hingestellt: „Dem Zentralkomitee der Partei, seiner Leninschen Mehrheit war es klar, dass es nach Beendigung des Krieges und nach dem Übergang zu friedlichem wirtschaftlichen Aufbau keinen Grund mehr gab, das durch die Verhältnisse des Krieges und der Blockade bedingte harte Regime des Kriegskommunismus beizubehalten.“[8]
Mit der Neuen Ökonomischen Politik führte Lenin die Marktwirtschaft in der Sowjetunion wieder ein, aber es war eine „soziale Marktwirtschaft“ mit besseren Schutzvorschriften für die sowjetischen Werktätigen als die Lohnarbeiter in irgendeinem kapitalistischen Land bis heute erreicht haben. Alle diese Arbeiterschutzgesetze wurden jedoch von späteren Sowjetregierungen wieder rückgängig gemacht.
Durch die Neue Ökonomische Politik nahm die bäuerliche Produktion in der Sowjetunion erstmals in größerem Umfang die Form der Warenproduktion an. Die Bauern verkauften einen Teil ihrer Ernte W(landw) gegen Geld G und kauften von dem Geld Industrieprodukte W(industr). Das ergibt für diese Warenproduktion die Formel:
W(landw) - G – W(industr) ...Produktion.... W(landw)
Dabei gingen die für Geld gekauften W(industr) sowohl in den produktiven wie individuellen Konsum der Bauern ein, z.B. als Pflüge oder als Seife und Zündhölzer. So erst konnte die bäuerliche Arbeit für die Industrialisierung als freiwilliger Lieferant von Lebensmitteln und Rohstoffen wie als Abnehmer von Industriegütern nutzbar gemacht werden.
Die Landwirtschaft und die sowjetische Wirtschaft insgesamt erholten sich und erreichten in den folgenden fünf Jahren die guten Wirtschaftszahlen von 1914. Also war doch eine Harmonie zwischen Industrialisierung und bäuerlicher Kleinproduktion möglich?
Dieses scheinbar harmonische Zusammenwirken von Landwirtschaft und Industrie musste gestört werden, sobald die Bauern für ihr Getreide nicht genug Industriegüter bekamen – entweder weil die Preisrelationen für die Bauern zu ungünstig waren oder weil zuwenig Industriegüter produziert wurden, die die Bauern nachfragten.
wird fortgesetzt