S.52 Unsere Gewalthaber beobachten unerschüttert das Säuglingsmassensterben in Neuyork, Berlin,
London, Paris, dem allein in Deutschland alljährlich 300 000 zum Opfer fallen, also fast so viel wie
der jetzige Krieg Männer verschlingt, und mehr als die Metzeleien in Armenien gekostet haben. Sie
wissen ganz gut, daß diese Säuglinge zumeist nur darum ins Massengrab wandern, weil die Not den
Müttern nicht die gehörige Kinderpflege gestattet - die Not in denselben Staaten, wo 100000 Mil-
lionäre nicht mehr wissen, was sie aus Übermut treiben sollen! Hat sich einer dieser Gewalthaber
je dagegen empört, ein einziger? Und bei diesen Männern sollen wir nun plötzlich soviel Gerechtig-
keitsliebe voraussetzen, daß sie sich sofort entrüsten und empören sollen, wenn dahinten weit in
der Türkei die Völker aufeinander schlagen? Daß sie alle, gleich wie die Krähen beim Erscheinen
eines Raubvogels, von allen Seiten zuhilfe eilen? Wer sich in der Gerechtigkeitspflege üben will, der
übe sie zunächst am eigenen Herd, in der Gemeinde im eigenen Volk. Hat man erst Frieden im eige-
nen Staat, tiefen, echten Bürgerfrieden, ist der Klassenstaat in den Staub geworfen und zertreten -
dann können wir nach weiteren Eroberungen auf dem Gebiete der Gerechtigkeit uns umsehen und
versuchen, uns mit den Fremden auf diesem Boden zu vertragen. Solange das nicht geschehen ist,
bleibt uns nichts anderes übrig, als alles, was zu Reibungen zwischen den Völkern führen kann,
alle Zankäpfel so gründlich wie möglich zu vertilgen.
S.54 Doch sehen wir uns diese auf Völkerrecht gegründete Staatshoheit über den Boden nochmal von
einer anderen Seite - nämlich von der Seite der Bodenschätze, sagen wir der Steinkohle, an. Wir
werden dann vielleicht unmittelbarer noch die Hoffnungslosigkeit des Völkerrechtsfriedens einse-
hen. Solange die Amerikaner nur den Ärmsten unter den Armen gegenüber es wagen, ihre Grenze
zu sperren und eine Rassenpolitik zu treiben, die uns vorläufig nicht unmittelbar berührt, empfin-
den wir den Schimpf, der durch solches Tun der Menschheit zugefügt wird, nicht persönlich genug,
um uns zu entrüsten. Wir sagen: ”Mögen sich die, die es angeht, mögen sich die Chinesen empö-
ren, mögen die Blinden, Lahmen, Schreibunkundigen sich einen Garibaldi wählen und mit Gewalt
die amerikanische Grenzsperre beseitigen. Uns als derbe Dickhäuter geht das nichts an.” - Wenn
wir aber hören werden, daß England und Deutschland sich verständigt haben, um die Steinkohle
mit einem Ausfuhrzoll zu belasten
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, der die Seereisen und Seefrachten verdoppelt und verdreifacht,
wenn die Bewohner kohlenarmer Länder, wie etwa die Schweiz, den Winter zähneklappernd in un-
geheizten Zimmern zubringen müssen - dann werden wir an die Chinesen, an die Schreibunkundi-
gen, an die Greise denken und mit ihnen ausrufen: ist das eigentlich erlaubt, gehört das auch zum
Völkerrecht, ist das kein Mißbrauch der Staatshoheit, des Selbstbestimmungsrechtes der Völker?
Ist das die gerühmte Freiheit der See? Was nützt uns das Völkerrecht, der papierne Völkerfriede
- wenn wir dabei erfrieren und verhungern? Wir brauchen die Seefreiheit, und ohne die Freiheit
der Steinkohle ist diese Seefreiheit hohl. Die Staatshoheit Englands und Deutschlands über die
Kohlenschätze muß nachgeprüft werden. Der Menschheit, allen Völkern, jedem Menschen gehören
offenbar diese Steinkohlen, von denen wir heute alle ebenso abhängig sind, wie von der Sonne, wie
von der Luft. So werden wir reden, sobald wir einmal frieren werden, sobald wir persönlich unter
den Folgen der Staatshoheit und des Völkerrechts zu leiden haben.
S.102 Freilich, wer mit Karl Marx behauptet, daß sich die Waren selbst austauschen, und zwar im Verhält-
nis zu ”ihrem Werte”, der braucht nicht zu wuchern, braucht keine Notlage auszubeuten, der kann
seine Arbeiter aushungern, seine Schuldner auswuchern, ohne Gewissenspein zu empfinden. Denn
den Wucher begeht in diesem Falle nicht er, sondern die Sache, sein Eigentum. Nicht er tauscht,
sondern die Wichse tauscht sich gegen Seide, Weizen, Leder
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. Die Ware begeht also den Handel,
und zwar auf Grund ”ihres Wertes”.
S.150 Wir wären weit, weit über den Kapitalismus hinaus
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, wenn nicht seit 3000 Jahren durch die Wirt-
schaftsstockungen die Menschheit immer wieder die mühsam erklommenen Stufen heruntergesto-
ßen worden wäre; wenn die bettelhafte Armut, in der jede Wirtschaftsstockung die Volksmassen
hinterläßt, nicht die Bettlergesinnung großgezogen hätte, die nun einmal den Menschen, groß und
klein, in den Knochen liegt. Unsere Arbeiter würden sich die Behandlung, die ihnen durch die
Unternehmer und den Staat zuteil wird, nicht gefallen lassen, wenn die Nachfrage nach ihren Er-
zeugnissen ebenso regelmäßig auf dem Markte erschiene wie das Angebot, und unsere Großgrund-
besitzer würden nicht bei den Brotkonsumenten, bei den ausgemergelten, dürren Arbeiterfrauen
um Brotzölle gebettelt und dabei nach Bettlerart, um das öffentliche Mitleid zu erregen, ihre Ge-
schwüre (die Not der Grundrentner) bloßgelegt haben, wenn die Goldwährung sie durch den Druck,
den sie auf die Preise geübt, nicht geplündert und bestohlen hätte.
Die Plage des Hungers und der Druck der Schulden sind böse Erzieher.
Und wo wären wir heute in wissenschaftlicher, technischer, religiöser Beziehung angelangt, wenn
die vielversprechende Kultur, die das Gold, obschon blutbefleckt, geraubt und erpreßt, in Rom er-
stehen ließ, nicht unter einer anderthalbtausendjährigen, durch Geldmangel erzeugten wirtschaft-
lichen Eiszeit erstarrt, vergletschert, vernichtet worden wäre!
S.172 So kam mit dem Gold und der Arbeitsteilung zugleich der große Friedensstörer, der Zins, auf die
Welt. Die Arbeitsteilung an sich verlangt keinen Zins. Wer sollte da auch Zins zahlen und weshalb?
Die Arbeitsteilung hätte also den Menschen allgemeinen Wohlstand bringen sollen, da sie ja kein
Vorrecht einzelner, sondern allen Menschen zugänglich ist. Aber aus den Händen des Goldes emp-
fing die Menschheit diese Götterkraft nur unter der Bedingung des Zinses, und damit auch der
Trennung der Menschen in arm und reich. Als ob neidische Götter der Menschheit den Macht-
zuwachs nicht gegönnt, die Unabhängigkeitserklärungder Menschen vom göttlichen Gängelband
gefürchtet und dem dadurch vorgebeugt hätten, daß sie nach dem Grundsatz ”teile und herrsche”
den Zins als Spaltpilz in die Menschenfamilie eingepflanzt hätten! Das Gold läßt allgemeinen Volks-
wohlstand nicht zu. Es streikt, es versagt seine Dienste, wenn es mit freien Männern zu tun hat. Es
will Herren und Knechte; geplagte, überarbeitete Menschen einerseits und Schmarotzer anderseits.
Es liegt ein innerer Widerspruch in dem Verlangen, daß sich das Gold einem freien, stolzen und
wahrhaft selbstherrlichen Volke zur Verfügung stelle. Goldgeld und ein freiheitliches Volksleben
sind unvereinbar. Gleich am ersten Tage seines Erscheinens setzt das Gold, unter Benutzung der
urgewaltigen Kräfte, die ihm die Menschen durch die Übertragung der Geldeigenschaften verliehen,
die Trennung der Menschen in Arbeiter und Genießer durch.