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"Grüße von den Ciompi" - seit wann gibt es den Kapitalismus?
In [ame="http://www.amazon.de/Warum-Geldpolitik-1929-33-Weltwirtschaftskrise-verursacht/dp/3837093913/ref=sr_1_7?ie=UTF8&s=books&qid=1253516782&sr=1-7"]Hellmanns Buch über die Geldpolitik[/ame] wird die Geschichte der [ame="http://de.wikipedia.org/wiki/Medici"]Medici[/ame] erwähnt.
Da gibt schon im 14. Jahrhundert einen Aufstand der Arbeiter, den so genannten Ciompi-Aufstand. In diesem Fall waren die Arbeiter in der Textilproduktion beschäftigt. Hellmanns Buch zufolge produzierten auf dem Höhepunkt des Booms 30 000 Arbeiter in Heimarbeit und abhängig von so genannten "Verlegern" Textilien, die die Grundlage des Reichtums von Florenz darstellten. Also ein vorläufer der Weberaufstände, die bei Wikipedia erwähnt werden.
Dabei gab es die heutigem Kapitalismus ähnelnden Strukturen schon vor den Medici und in einer viel größeren Dimension als den Stadtrepubliken in Oberitalien. Die Wirtschaft der chinesischen Song-Dynastie (10. bis 13. Jahrhundert) hatte Strukturen, wie es sie in Europa erst Jahrhunderte später gab.
Zu nennen sind noch die Edo-Zeit (1603-1868) in Japan und als Beispiel für einen Börsencrash die Tulpomania in den Niederlanden bis 1637.
Alle diese Kapitalismen haben folgende Gemeinsamkeiten:
1. Eine wichtige Rolle der Händler und Kaufleute, die etwa trotz ihres geringen Ansehens im Japan der Edo-Zeit zu den "Gewinnern" gehörten.
2. Eine große Rolle der Geldwirtschaft und der Banken.
3. Das Aufkommen des Börsenwesens.
4. Die Entstehung einer Arbeiterschaft, die von den "Kapitalisten" abhängig ist.
Sie haben auch noch eine 5. Gemeinsamkeit, die den Apologeten des Kapitalismus gar nicht gefällt: ihren Untergang! :rolleyes2:
Die Medici begannen ihre Karriere als "kapitalistische" Händler und Bankiers und beendete sie als "feudalistische" Herzöge von Florenz und der Toskana. War das im Geschichtsfahrplan, an den wir alle seit Marx selig glauben, nicht umgekehrt? Zuerst der Feudalismus und die Adelsherrschaft, dann der Kapitalismus und bürgerliche Herrschaft? Mit dem Song-China war es noch schlimmer: das wurde 1279 von der Militärmaschinerie der nomadischen Mongolen überrollt :rolleyes2: Nomadismus schlägt Kapitalismus, wer hätte das gedacht :rolleyes2:
Die Ambitionen der Niederländer im 17. Jahrhundert darauf, mit Kolonien in Übersee zur Großmacht zu werden, scheiterten letztendlich. Ihre "Besitzungen" am Kap der Guten Hoffnung und in Nordmarika gingen an die Engländer verloren. Nur Indonesien behielten sie für 300 Jahre, waren aber ganz erstaunt darüber, wie verhasst sie sich bei den Indonesiern gemacht haben.
Dass die Edo-Zeit für die Japaner nicht mit einem China vergleichbaren Absturz in Fremdherrschaft, inneren Wirren und Elend endete, hat mit einem Faktor zu tun, der so gar nichts mit den inneren Befindlichkeiten von Samurai, Neo-Konfuzianern oder dem Treibem am Reismarkt zu tun hat: die Japaner eigneten sich nach der "Öffnung" ihres Landes 1868 in Windeseile moderne Wissenschaft und Technik an.
Womit wir bein dem Punkt sind, der den heutigen Kapitalismus von seinen früheren Versionen unterscheidet: Wissenschaft und Technik.
Womit sich aber auf der geistigen Ebene große Widersprüche auftun.
Die Träger früherer Kapitalismen waren geistig und ideologisch alles mögliche, aber weder "emanzipatorisch" noch "humanistisch" oder gar im gesellschaftlichen Sinne "liberal". Im China der Song-Zeit dominierte meines Wissens der Konfuzianismus, die Niederländer waren Calvinisten und Japan der Edo-Zeit ist sehr umstritten: ein Freund von mir meint, es wäre eine Zeit des Regresses und der Repression gewesen. Im Hochmittelalter waren die Japaner schon mal weiter gewesen und hatten die Todesstrafe abgeschafft.
Historisch betrachtet ist der Kapitalismus keine Weiterentwicklung von anderen Systemen. Alle Systeme sind "gleich", sie unterscheiden sich nur darin, wer herrscht.
Im Feudalismus des Mittelalters die Grundherren und Militärs - "Ritter", "Adel" halt.
Im Etatismus IMHO seit dem alten Ägypten die zum Gott verkulteten Inhaber staatlicher Macht. "Pharao" bedeutet meines Wissens "großes Haus", ein Verweis auf den an der Spitze, der alles organisiert.
In einer "Theokratie" das jeweilige Äquivalent zum "Klerus", etwa die "Rechtsgelehrten" im heutigen Iran.
Im Kapitalismus herrschen Händler und Bankiers - "Geldleute" - zusammen mit den Besitzern der Produktionsmittel - "Fabrikanten".
Im Militarismus herrschen diejenigen, die das Monopol über physische Gewalt haben - Soldaten und Offiziere. Die Mongolen, die mit schierer Gewalt Eurasien terrorisierten, sind das Musterbeispiel für so ein System.
Anders als im marxistischem Geschichtsfahrplan folgt da nicht ein System in einer vorgegebenen Abfolge auf ein Anderes. Wie der Untergang der Song zeigt, kann ein kapitalistisches System durch ein militaristisches ersetzt werden.
Schon dadurch, dass die jeweils herrschende Klasse ihre Gesellschaft nicht allein bewirtschaften kann, ist auch der Keim für ihren Untergang gelegt. Die am Zivilleben orienten Song waren kulturell viel weiter als die Mongolen. Aber ihre Armee taugte nichts und deshalb gingen sie unter. In der Edo-Zeit in Japan dagegen war der Krieger - Samurai - hoch geschätzt. Aber die Samurai erlagen den Verlockungen des süßen Lebens und verschuldeten sich bei den verachteten Kaufleuten. Bis sie kaum mehr als Folklore waren und die Kaufleute im modernen Japan das Sagen hatten.
Die jetzt zu hörende Parole "make capitalismus history" ist von daher verkürzt und sie sollte lauten "capitalism is history". Sogar für seine Nutznießer, die so tun, als ob er das Ende und die Erfüllung der Geschichte wäre.
In [ame="http://www.amazon.de/Warum-Geldpolitik-1929-33-Weltwirtschaftskrise-verursacht/dp/3837093913/ref=sr_1_7?ie=UTF8&s=books&qid=1253516782&sr=1-7"]Hellmanns Buch über die Geldpolitik[/ame] wird die Geschichte der [ame="http://de.wikipedia.org/wiki/Medici"]Medici[/ame] erwähnt.
Da gibt schon im 14. Jahrhundert einen Aufstand der Arbeiter, den so genannten Ciompi-Aufstand. In diesem Fall waren die Arbeiter in der Textilproduktion beschäftigt. Hellmanns Buch zufolge produzierten auf dem Höhepunkt des Booms 30 000 Arbeiter in Heimarbeit und abhängig von so genannten "Verlegern" Textilien, die die Grundlage des Reichtums von Florenz darstellten. Also ein vorläufer der Weberaufstände, die bei Wikipedia erwähnt werden.
Dabei gab es die heutigem Kapitalismus ähnelnden Strukturen schon vor den Medici und in einer viel größeren Dimension als den Stadtrepubliken in Oberitalien. Die Wirtschaft der chinesischen Song-Dynastie (10. bis 13. Jahrhundert) hatte Strukturen, wie es sie in Europa erst Jahrhunderte später gab.
Zu nennen sind noch die Edo-Zeit (1603-1868) in Japan und als Beispiel für einen Börsencrash die Tulpomania in den Niederlanden bis 1637.
Alle diese Kapitalismen haben folgende Gemeinsamkeiten:
1. Eine wichtige Rolle der Händler und Kaufleute, die etwa trotz ihres geringen Ansehens im Japan der Edo-Zeit zu den "Gewinnern" gehörten.
2. Eine große Rolle der Geldwirtschaft und der Banken.
3. Das Aufkommen des Börsenwesens.
4. Die Entstehung einer Arbeiterschaft, die von den "Kapitalisten" abhängig ist.
Sie haben auch noch eine 5. Gemeinsamkeit, die den Apologeten des Kapitalismus gar nicht gefällt: ihren Untergang! :rolleyes2:
Die Medici begannen ihre Karriere als "kapitalistische" Händler und Bankiers und beendete sie als "feudalistische" Herzöge von Florenz und der Toskana. War das im Geschichtsfahrplan, an den wir alle seit Marx selig glauben, nicht umgekehrt? Zuerst der Feudalismus und die Adelsherrschaft, dann der Kapitalismus und bürgerliche Herrschaft? Mit dem Song-China war es noch schlimmer: das wurde 1279 von der Militärmaschinerie der nomadischen Mongolen überrollt :rolleyes2: Nomadismus schlägt Kapitalismus, wer hätte das gedacht :rolleyes2:
Die Ambitionen der Niederländer im 17. Jahrhundert darauf, mit Kolonien in Übersee zur Großmacht zu werden, scheiterten letztendlich. Ihre "Besitzungen" am Kap der Guten Hoffnung und in Nordmarika gingen an die Engländer verloren. Nur Indonesien behielten sie für 300 Jahre, waren aber ganz erstaunt darüber, wie verhasst sie sich bei den Indonesiern gemacht haben.
Dass die Edo-Zeit für die Japaner nicht mit einem China vergleichbaren Absturz in Fremdherrschaft, inneren Wirren und Elend endete, hat mit einem Faktor zu tun, der so gar nichts mit den inneren Befindlichkeiten von Samurai, Neo-Konfuzianern oder dem Treibem am Reismarkt zu tun hat: die Japaner eigneten sich nach der "Öffnung" ihres Landes 1868 in Windeseile moderne Wissenschaft und Technik an.
Womit wir bein dem Punkt sind, der den heutigen Kapitalismus von seinen früheren Versionen unterscheidet: Wissenschaft und Technik.
Womit sich aber auf der geistigen Ebene große Widersprüche auftun.
Die Träger früherer Kapitalismen waren geistig und ideologisch alles mögliche, aber weder "emanzipatorisch" noch "humanistisch" oder gar im gesellschaftlichen Sinne "liberal". Im China der Song-Zeit dominierte meines Wissens der Konfuzianismus, die Niederländer waren Calvinisten und Japan der Edo-Zeit ist sehr umstritten: ein Freund von mir meint, es wäre eine Zeit des Regresses und der Repression gewesen. Im Hochmittelalter waren die Japaner schon mal weiter gewesen und hatten die Todesstrafe abgeschafft.
Historisch betrachtet ist der Kapitalismus keine Weiterentwicklung von anderen Systemen. Alle Systeme sind "gleich", sie unterscheiden sich nur darin, wer herrscht.
Im Feudalismus des Mittelalters die Grundherren und Militärs - "Ritter", "Adel" halt.
Im Etatismus IMHO seit dem alten Ägypten die zum Gott verkulteten Inhaber staatlicher Macht. "Pharao" bedeutet meines Wissens "großes Haus", ein Verweis auf den an der Spitze, der alles organisiert.
In einer "Theokratie" das jeweilige Äquivalent zum "Klerus", etwa die "Rechtsgelehrten" im heutigen Iran.
Im Kapitalismus herrschen Händler und Bankiers - "Geldleute" - zusammen mit den Besitzern der Produktionsmittel - "Fabrikanten".
Im Militarismus herrschen diejenigen, die das Monopol über physische Gewalt haben - Soldaten und Offiziere. Die Mongolen, die mit schierer Gewalt Eurasien terrorisierten, sind das Musterbeispiel für so ein System.
Anders als im marxistischem Geschichtsfahrplan folgt da nicht ein System in einer vorgegebenen Abfolge auf ein Anderes. Wie der Untergang der Song zeigt, kann ein kapitalistisches System durch ein militaristisches ersetzt werden.
Schon dadurch, dass die jeweils herrschende Klasse ihre Gesellschaft nicht allein bewirtschaften kann, ist auch der Keim für ihren Untergang gelegt. Die am Zivilleben orienten Song waren kulturell viel weiter als die Mongolen. Aber ihre Armee taugte nichts und deshalb gingen sie unter. In der Edo-Zeit in Japan dagegen war der Krieger - Samurai - hoch geschätzt. Aber die Samurai erlagen den Verlockungen des süßen Lebens und verschuldeten sich bei den verachteten Kaufleuten. Bis sie kaum mehr als Folklore waren und die Kaufleute im modernen Japan das Sagen hatten.
Die jetzt zu hörende Parole "make capitalismus history" ist von daher verkürzt und sie sollte lauten "capitalism is history". Sogar für seine Nutznießer, die so tun, als ob er das Ende und die Erfüllung der Geschichte wäre.