Gemäß Artikel 95a Abs. 3 und 4 des im vorangegangenen Beitrag angesprochenen Reformentwurfs zum Grundgesetz wären Bundestagswahlen wie folgt durchzuführen:
Sowohl die parteiunabhängigen Bewerber/innen als auch die Bewerber/innen aus den politischen Parteien (parteigebundene Bewerber/innen) sind in alfabetischer Reihenfolge oder in der Reihenfolge der Wahlkreise, für die sie sich bewerben, jeweils in eine bundesbezogene Liste aufzunehmen; insoweit werden die parteiunabhängigen Bewerber also entsprechend den partei-gebundenen Bewerbern behandelt.
Gewählt ist für jeden Wahlkreis der/die Bewerber/in, der/die die meisten Stimmen erhalten hat (Personenwahl; bisherige Direktwahl), und zwar unabhängig davon ob er/sie parteiunabhängig oder parteigebunden ist.
Sodann wird festgestellt, welchen Hundertsatz die Gesamtzahl der aus jeder Liste unmittelbar zu Abgeordneten gewählten Bewerber/innen an der Gesamtzahl aller Wahlkreise ausmacht (Personenwahl-Anteil).
Die unmittelbar durch Personenwahl zu Abgeordneten gewählten Bewerber/innen werden aus den Listen gestrichen.
Dann wird die bundesweite Gesamtzahl der auf die Summe der Bewerber/innen aller Listen entfallenen Stimmen festgestellt und errechnet, welchen Hundertsatz an der Gesamtzahl der für alle Listen abgegebenen Stimmen jede Liste erreicht hat (Verhältniswahl bzw. Verhältniswahl-Anteil).
Als nächstes wird der Personenwahl-Anteil durch den Verhältniswahl-Anteil geteilt. Die Liste mit dem sich daraus ergebenden höchsten Teiler ist Ausgangspunkt für den Verhältniswahl-Ausgleich aller Listen. Dieser errechnet sich wie dann wie folgt:
Bei der Liste mit dem höchsten Teiler verbleibt es bei der Gesamtzahl der durch die Personenwahl errungenen Abgeordneten-sitze. Diese Zahl wird mit dem Verhältniswahl-Anteil der betreffenden Liste gleichgesetzt und von ihm aus die Gesamtzahl der den anderen Listen nach dem Verhältniswahl-Anteil zustehenden Abgeordnetensitze ermittelt.
Bei den Listen, denen demnach mehr Abgeordnetensitze zustehen als sie unmittelbar durch die Personenwahl errungen haben, werden die zusätzlichen Abgeordnetensitze an die Bewerber/innen vergeben, die nach dem Herausstreichen der durch die Per-sonenwahl unmittelbar gewählten Bewerber/innen verblieben sind. Die Vergabe erfolgt bei jeder Liste in absteigender Reihen-folge beginnend mit dem/der Bewerber/in mit der höchsten Stimmenzahl; entscheidend ist die bloße Stimmenzahl und nicht deren Hundertsatz an der Gesamtzahl aller im jeweiligen Wahlkreis abgegebenen Stimmen, da sonst der Grundsatz der Gleich-heit der Wahl verletzt wäre (in einem einwohnerschwachen Wahlkreis könnte sonst ein/e Bewerber/in mit vergleichsweise hohem Stimmenanteil einen Abgeordnetensitz erringen, während in einem einwohnerstarken Wahlkreis ein/e Bewerber/in mit einem im Vergleich dazu niedrigeren Stimmenanteil, aber nach der Zahl mehr Wählerstimmen keinen erhalten würde).
Beispielsberechnung (der Einfachheit halber werden 300 Wahlkreise angenommen; in Wirklichkeit sind es 299):
Durch Personenwahl sind unmittelbar zu Abgeordneten gewählt worden:
- 150 Bewerber/innen der Partei A, -> 50 %
- 120 Bewerber/innen der Partei B, -> 40 %
- 15 Bewerber/innen der Partei C, -> 5 %
- keine Bewerber/innen der Parteien D und E
- 15 parteiunabhängige Bewerber/innen (Liste U), -> 5 %.
Nach der Verhältniswahl sind auf die Listen folgende Stimmenanteile entfallen:
- auf die Liste der Partei A 36 %
- auf die Liste der Partei B 30 %
- auf die Liste der Partei C 15 %
- auf die Liste der Partei D 9 %
- auf die Liste der Partei E 4 %
- auf parteiunabhängige Bewerber/innen (Liste U) 6 %.
Die Hundertsätze der Personenwahl werden nun durch die der Verhältniswahl geteilt:
Liste A: 50/36 = 1,39
Liste B: 40/30 = 1,33
Liste C: 5/9 = 0,56
Liste D: 0/9 = 0,00
Liste E: 0/9 = 0,00
Liste U: 5/6 = 0,83
Den höchsten Teiler hat mit 1,39 die Liste A erreicht. Damit werden die von ihren Bewerbern/Bewerberinnen durch Personen-wahl errungenen 150 Sitze mit den 36 %, die die Liste A nach der Verhältniswahl erreicht hat, gleichgesetzt.
Für die Liste A bleibt es insgesamt bei den 150 Abgeordnetensitzen.
Infolge dessen errechnen sich die Sitzzahlen der anderen Listen wie folgt (bis x,49 wird abgerundet, ab x,50 aufgerundet):
Liste B: 150/36x30 = 125
Liste C: 150/36x15 = 62
Liste D: 150/36x9 = 37
Liste E: 150/36x4 = 17
Liste U: 150/36x5 = 21.
Die Sitzverteilung sieht also insgesamt wie folgt aus:
Liste A 150 Sitze (alle 150 Sitze durch Personenwahl)
Liste B 125 Sitze (davon 120 Sitze durch Personenwahl, 5 durch Verhältnisausgleich)
Liste C 62 Sitze (davon 15 Sitze durch Personenwahl, 47 durch Verhältnisausgleich)
Liste D 37 Sitze (alle Sitze durch Verhältnisausgleich)
Liste E 17 Sitze (alle Sitze durch Verhältnisausgleich)
Liste U 21 Sitze (davon 15 Sitze durch Personenwahl, 6 durch Verhältnisausgleich)
Summe: 412 Sitze
Die Wahl wäre dadurch vereinfacht, dass nicht zwischen Erst- und Zweitstimmen unterschieden werden müsste und die Wähler nur eine Stimme für eine/n bestimmte/n Bewerber/in abgeben könnten. Dabei spielt die Parteizugehörigkeit rechnerisch keine Rolle mehr, so dass dadurch die Aussichten für parteiunabhängige Bewerber sicher steigen würden.
Im Bundestag würde es nach dem Berechnungsbeispiel 412 Abgeordnete geben anstatt weit über 600 nach der bisherigen Regelung, die Abgeordnetenzahl würde also um etwa ein Drittel sinken.
Die unmittelbar durch Personenwahl errungenen Abgeordnetensitze bleiben in jedem Fall erhalten;
gleichzeitig wird aber ein dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl entsprechender Verhältniswahl-Ausgleich durchgeführt.
Die bisherigen Verwerfungen durch Überhangmandate könnten gar nicht erst entstehen, weil die Abgeordnetensitze von vornherein nach den Verhältniswahl-Ergebnissen vergeben würden, ohne jedoch wegen anfallender Überhangmandate einen das Parlament aufblähenden Verhältnisausgleich durchführen zu müssen.
Ob wie bisher eine 5 %- oder eine andere Hürde für den Einzug ins Parlament gelten sollte, ist Entscheidungssache; für die Auffassung, dass eine so hohe Zutrittsschranke einen groben Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl darstellt, sprechen aber gute Gründe, so dass aus diesem Blickwinkel heraus eher daran zu denken wäre, allenfalls eine Zutrittsschranke einzuführen, die sich danach bemisst, wie viele Stimmen insgesamt erforderlich sind, um einen Abgeordneten ins Parlament zu bringen, nach dem obigen Rechenbeispiel also z. B. wie folgt:
Im Parlament gibt es 412 Sitze. Als Rechenbeispiel soll angenommen werden, dass insgesamt 41,2 Millionen Stimmen abgegeben werden. Auf einen Abgeordneten würden im Durchschnitt also 100.000 Stimmen entfallen. Wenn also eine Liste nicht mindestens 100.000 Stimmen erreichen würde, erhielte sie im Verhältnisausgleich auch keinen Sitz.