Ich glaube, darauf gibt es eine relativ einfache Antwort: sie wünschen sich mehr Teilhabe. Sie wollen nicht alle vier oder fünf Jubeljahre eine Partei wählen, deren Politik sie nicht nachvollziehen können und die ihre wirklichen Probleme (oder das, was sie dafür halten) nicht löst und oft nicht einmal thematisiert.
Ich denke, da ist was Wahres dran. Die Realität wird immer komplexer und Menschen mit wenig Hirn kommen da immer weniger mit. Und das was man nicht versteht, macht einem Angst. Zum anderen ist man es gewohnt, dass man jedes Jahr spürbar mehr verdient. Nur wächst alles im S-Kurven-Verlauf wie zB. die Weltbevölkerung oder Mitgliedszahlen von Facebook. Erst ist das prozentuale Wirtschaftswachstum relativ gering und nimmt immer weiter zu (Höhepunkt 60er Jahre) und nimmt dann allmählich wieder ab. Die Entwicklungsländer wie China haben heute ihren Höhepunkt. Dazu muss man in den Medien immer lesen, dass alles zu schlimm sei. Das feuert das alles noch an.
Und da sucht man nach einfachen Lösungen. Nach einem Sündenbock. Der Klassiker ist der Kapitalismus bzw. die Konzerne. Aber genauso ein Klassiker sind Ausländer.
der Wert der Ware Mensch sinkt angesichts Überbevölkerung, Automatisierung und knapper werdenden Rohstoffen zusehends.
Das ist eben der Angelpunkt. Viele Menschen sind gar nicht fähig zu verstehen, wie Wirtschaft funktioniert bzw. wollen sie es auch gar nicht verstehen. Überbevölkerung oder Automatisierung führen eben
nicht zu Arbeitslosigkeit oder geringeren Löhnen. Wenn du mit mir auf einer Insel bist, dann haben wir ein bestimmtes BIP. Also die Dinge, die wir für den Konsum herstellen. Das wird nicht viel sein, aber ist was. Und wenn ein neuer Inselbewohner kommt, heißt das nun, dass jemand von uns arbeitslos wird? Nein, im Gegenteil. Da wir uns nun weiter spezialisieren können, steigt das BIP pro Kopf(=Einkommen) sogar. Vielleicht sind wir beide miserable Fischer und müssen sehr viel Zeit für die Fischerei aufwänden. Wenn der neue Inselbewohner ein gelernter Fischer ist, ist das zum Nutzen aller. Und wenn wir die Fischerei automatisieren? Entsteht dadurch Arbeitslosigkeit, oder steigt der Wohlstand, da wir nun Zeit haben, andere Dinge herzustellen?
Auch der Vorwurf, dass die Massenmedien lügen, ist kaum von der Hand zu weisen. Zeitungen und Fernsehsender finanzieren sich durch Reklameanzeigen, und im Zweifelsfall wird ein wirtschaftskritischer Artikel vielleicht nicht gedruckt oder (dank der Schere im Kopf vieler Journalisten) gar nicht erst geschrieben; statt dessen wird für ein besonders „werbefreundliches Umfeld“ gesorgt und mit entsprechenden Sonderbeilagen (Mode, Wellness, Pipapo) versucht, den Konkurrenten noch ein paar Anzeigen abzujagen.
Eine Zeitung schreibt das, was die Leser lesen wollen. Das stimmt. Sollte es denn anders sein? Solltest DU etwa bestimmen, was geschrieben wird?
Der kapitalistische Wettbewerb ist immer auch ein Unterbietungswettbewerb: nicht besser, sondern billiger. Und auch die öffentlich-rechtlichen Sender, in denen noch am ehesten kritische Töne erklingen, werden natürlich von Gremien kontrolliert und regiert, die paritätisch von Politikern besetzt werden, die sich wiederum mit Wirtschaftslobbyisten arrangieren (zu) müssen (meinen).
Auch hier: Die Unternehmen produzieren das, was die Konsumenten wollen. Sollte es etwa anders sein? Sollte etwa jemand wie DU bestimmen, was für alle produziert wird?
aber der kapitalistische Götze des „permanenten Wirtschaftswachstums"
Auch so ein Märchen. Ob eine Wirtschaft wächst, hängt davon ab, ob die Teilnehmer einer Wirtschaft mehr wollen oder nicht. Ironischerweise sind genau Leute, die dieses Wirtschaftswachstum ablehnen die, die meinen, die Masse der Bevölkerung sei zu arm.
Es mag paradox klingen, aber ich glaube, das einzige Mittel gegen diese gefährliche Spaltung wäre es, eben allen Menschen mehr politische Teilhabe zu gewähren
und es klingt paradox. Du nimmst den Menschen ihre Meinungsfreiheit und Konsumfreiheit, um dann irgendwas mit politischen Mehrheiten zu entscheiden. Wie hoch ist der Einfluss eines einzelnen Wählers auf das Gesamtergebnis? Wenn ich zu Saturn gehe, lohnt es sich wenigstens drüber nachzudenken, ob ich einen Fernseher will, denn das entscheidet, ob ich mit oder ohne Fernseher nach Hause gehe. Bei der Wahl spielt es keine Rolle, wo ich das Kreuz mache.
Die sog. Mehrheitsdemokratie führt zu rationalem Desinterresse und Konzentration der Macht.