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Wenn Deutschland niest ...
Um die langfristigen Auswirkungen der Deindustrialisierung zu verstehen, braucht man nicht weiter zu schauen als den Rust Belt in den USA oder die Midlands in Großbritannien, einst blühende Industriekorridore, die politischen Fehlentscheidungen und dem globalen Wettbewerbsdruck zum Opfer fielen und sich nie wieder vollständig erholten.
Nur in Deutschland würden sich die Folgen auf kontinentaler Ebene abspielen.
Die Abhängigkeit des Landes von der Industrie macht es besonders verwundbar. Mit Ausnahme des Softwareherstellers SAP ist der deutsche Technologiesektor praktisch nicht existent. In der Finanzwelt sind die größten Akteure vor allem für Fehlinvestitionen (Deutsche Bank) und Skandale (Wirecard) bekannt. Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Wirtschaft beträgt etwa 27 Prozent, verglichen mit 18 Prozent in den USA.
Ein damit zusammenhängendes Problem ist, dass Deutschlands wichtigste Industriesegmente - von der Chemie über die Automobilindustrie bis zum Maschinenbau - auf Technologien aus dem 19. Jahrhunderts verwurzelt. Während das Land jahrzehntelang durch die Optimierung dieser Produkte florierte, sind viele von ihnen entweder veraltet (der Verbrennungsmotor) oder einfach zu teuer, um sie in Deutschland zu produzieren.
Beispiel Metalle. Im März teilte das Uedesheimer Rheinwerk, Eigentümer der größten deutschen Aluminiumhütte, mit, dass es das Werk aufgrund der hohen Energiekosten bis Ende des Jahres schließen werde.
Solche Berichte wären weniger besorgniserregend, wenn Deutschland eine starke Geschichte der wirtschaftlichen Diversifizierung hätte. Leider ist die Erfolgsbilanz Deutschlands in dieser Hinsicht bestenfalls lückenhaft.
Deutschland leistete beispielsweise Pionierarbeit bei der modernen Solarmodultechnologie und wurde Anfang der 2000er Jahre zum weltweit größten Hersteller. Nachdem die Chinesen das deutsche Design kopiert und den Markt mit billigen Alternativen überschwemmt hatten, brachen die deutschen Solarmodulhersteller jedoch zusammen.
In der Biotechnologie stand das Mainzer Unternehmen BioNtech an der Spitze der Entwicklung des mRNA-Impfstoffs, der sich als entscheidend für die weltweite Überwindung der COVID-19-Pandemie erwies. Aufgrund dieses Erfolges kündigte das Unternehmen im Januar Pläne für eine, wie der Gründer es nannte, "riesige" Investition in die Spitzenkrebsforschung an - in Großbritannien.
... erkältet sich Europa !
Innovation schafft Wirtschaftswachstum, und da die traditionelle Industrie in Deutschland schrumpft, stellt sich die Frage, was an ihre Stelle treten wird. Bislang ist nichts in Sicht.
Im Globalen Innovationsindex, einer jährlich von der Weltorganisation für geistiges Eigentum der Vereinten Nationen erstellten Rangliste, belegt Deutschland nur den achten Platz. In Europa liegt es nicht einmal unter den ersten drei.
Im Bereich der künstlichen Intelligenz, einer Technologie, von der viele Beobachter glauben, dass sie das Wirtschaftswachstum der kommenden Generation ankurbeln wird, ist Deutschland bereits ein Schlusslicht. Nur vier der 100 meistzitierten wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema KI im Jahr 2022 waren aus Deutschland. Zum Vergleich: In den USA sind es 68 und in China 27.
"Deutschland hat in den wichtigsten Zukunftsbranchen nichts zu bieten", sagt Marcel Fratzscher, Chef des deutschen Wirtschaftsinstituts DIW. "Was es gibt, ist alte Industrie."
Die Macht der Technologie, eine Wirtschaft zu verändern - oder sie zurückzulassen - wird deutlich, wenn man die Entwicklung in Deutschland und den USA in den letzten 15 Jahren vergleicht. In diesem Zeitraum wuchs die US-Wirtschaft, angetrieben durch einen Boom im Silicon Valley, um 76 Prozent auf 25,5 Billionen Dollar. Die deutsche Wirtschaft wuchs um 19 Prozent auf 4,1 Billionen Dollar. In Dollar ausgedrückt, haben die USA ihre Wirtschaft in diesem Zeitraum um den Gegenwert von fast drei deutschen Ländern erweitert.
Die Erosion des industriellen Kerns in Deutschland wird erhebliche Auswirkungen auf den Rest der Europäischen Union haben. Deutschland ist nicht nur der größte Akteur in Europa, sondern funktioniert auch wie die Nabe eines Rades, das die verschiedenen Volkswirtschaften der Region miteinander verbindet, da es für viele von ihnen der größte Handelspartner und Investor ist.
In den letzten drei Jahrzehnten hat die deutsche Industrie Mitteleuropa zu ihrer Fabrikhalle gemacht. Porsche stellt seinen meistverkauften Geländewagen Cayenne in der Slowakei her, Audi produziert seit Anfang der 1990er Jahre Motoren in Ungarn, und der Premium-Haushaltsgerätehersteller Miele stellt Waschmaschinen in Polen her.
Tausende von kleinen und mittleren deutschen Unternehmen, der so genannte Mittelstand, der das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bildet, sind in der Region tätig und produzieren hauptsächlich für den europäischen Markt. Sie werden zwar nicht über Nacht verschwinden, aber ein anhaltender Niedergang in Deutschland würde unweigerlich den Rest der Region mit in den Abgrund reißen.
"Es besteht die Gefahr, dass Europa am Ende der Verlierer dieser Verlagerung sein wird", räumte Klaus Rosenfeld, der Vorstandsvorsitzende des Automobilzulieferers Schaeffler, kürzlich ein und fügte hinzu, dass sein Unternehmen seine nächsten Werke wahrscheinlich in den USA bauen werde.
Um die langfristigen Auswirkungen der Deindustrialisierung zu verstehen, braucht man nicht weiter zu schauen als den Rust Belt in den USA oder die Midlands in Großbritannien, einst blühende Industriekorridore, die politischen Fehlentscheidungen und dem globalen Wettbewerbsdruck zum Opfer fielen und sich nie wieder vollständig erholten.
Nur in Deutschland würden sich die Folgen auf kontinentaler Ebene abspielen.
Die Abhängigkeit des Landes von der Industrie macht es besonders verwundbar. Mit Ausnahme des Softwareherstellers SAP ist der deutsche Technologiesektor praktisch nicht existent. In der Finanzwelt sind die größten Akteure vor allem für Fehlinvestitionen (Deutsche Bank) und Skandale (Wirecard) bekannt. Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Wirtschaft beträgt etwa 27 Prozent, verglichen mit 18 Prozent in den USA.
Ein damit zusammenhängendes Problem ist, dass Deutschlands wichtigste Industriesegmente - von der Chemie über die Automobilindustrie bis zum Maschinenbau - auf Technologien aus dem 19. Jahrhunderts verwurzelt. Während das Land jahrzehntelang durch die Optimierung dieser Produkte florierte, sind viele von ihnen entweder veraltet (der Verbrennungsmotor) oder einfach zu teuer, um sie in Deutschland zu produzieren.
Beispiel Metalle. Im März teilte das Uedesheimer Rheinwerk, Eigentümer der größten deutschen Aluminiumhütte, mit, dass es das Werk aufgrund der hohen Energiekosten bis Ende des Jahres schließen werde.
Solche Berichte wären weniger besorgniserregend, wenn Deutschland eine starke Geschichte der wirtschaftlichen Diversifizierung hätte. Leider ist die Erfolgsbilanz Deutschlands in dieser Hinsicht bestenfalls lückenhaft.
Deutschland leistete beispielsweise Pionierarbeit bei der modernen Solarmodultechnologie und wurde Anfang der 2000er Jahre zum weltweit größten Hersteller. Nachdem die Chinesen das deutsche Design kopiert und den Markt mit billigen Alternativen überschwemmt hatten, brachen die deutschen Solarmodulhersteller jedoch zusammen.
In der Biotechnologie stand das Mainzer Unternehmen BioNtech an der Spitze der Entwicklung des mRNA-Impfstoffs, der sich als entscheidend für die weltweite Überwindung der COVID-19-Pandemie erwies. Aufgrund dieses Erfolges kündigte das Unternehmen im Januar Pläne für eine, wie der Gründer es nannte, "riesige" Investition in die Spitzenkrebsforschung an - in Großbritannien.
... erkältet sich Europa !
Innovation schafft Wirtschaftswachstum, und da die traditionelle Industrie in Deutschland schrumpft, stellt sich die Frage, was an ihre Stelle treten wird. Bislang ist nichts in Sicht.
Im Globalen Innovationsindex, einer jährlich von der Weltorganisation für geistiges Eigentum der Vereinten Nationen erstellten Rangliste, belegt Deutschland nur den achten Platz. In Europa liegt es nicht einmal unter den ersten drei.
Im Bereich der künstlichen Intelligenz, einer Technologie, von der viele Beobachter glauben, dass sie das Wirtschaftswachstum der kommenden Generation ankurbeln wird, ist Deutschland bereits ein Schlusslicht. Nur vier der 100 meistzitierten wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema KI im Jahr 2022 waren aus Deutschland. Zum Vergleich: In den USA sind es 68 und in China 27.
"Deutschland hat in den wichtigsten Zukunftsbranchen nichts zu bieten", sagt Marcel Fratzscher, Chef des deutschen Wirtschaftsinstituts DIW. "Was es gibt, ist alte Industrie."
Die Macht der Technologie, eine Wirtschaft zu verändern - oder sie zurückzulassen - wird deutlich, wenn man die Entwicklung in Deutschland und den USA in den letzten 15 Jahren vergleicht. In diesem Zeitraum wuchs die US-Wirtschaft, angetrieben durch einen Boom im Silicon Valley, um 76 Prozent auf 25,5 Billionen Dollar. Die deutsche Wirtschaft wuchs um 19 Prozent auf 4,1 Billionen Dollar. In Dollar ausgedrückt, haben die USA ihre Wirtschaft in diesem Zeitraum um den Gegenwert von fast drei deutschen Ländern erweitert.
Die Erosion des industriellen Kerns in Deutschland wird erhebliche Auswirkungen auf den Rest der Europäischen Union haben. Deutschland ist nicht nur der größte Akteur in Europa, sondern funktioniert auch wie die Nabe eines Rades, das die verschiedenen Volkswirtschaften der Region miteinander verbindet, da es für viele von ihnen der größte Handelspartner und Investor ist.
In den letzten drei Jahrzehnten hat die deutsche Industrie Mitteleuropa zu ihrer Fabrikhalle gemacht. Porsche stellt seinen meistverkauften Geländewagen Cayenne in der Slowakei her, Audi produziert seit Anfang der 1990er Jahre Motoren in Ungarn, und der Premium-Haushaltsgerätehersteller Miele stellt Waschmaschinen in Polen her.
Tausende von kleinen und mittleren deutschen Unternehmen, der so genannte Mittelstand, der das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bildet, sind in der Region tätig und produzieren hauptsächlich für den europäischen Markt. Sie werden zwar nicht über Nacht verschwinden, aber ein anhaltender Niedergang in Deutschland würde unweigerlich den Rest der Region mit in den Abgrund reißen.
"Es besteht die Gefahr, dass Europa am Ende der Verlierer dieser Verlagerung sein wird", räumte Klaus Rosenfeld, der Vorstandsvorsitzende des Automobilzulieferers Schaeffler, kürzlich ein und fügte hinzu, dass sein Unternehmen seine nächsten Werke wahrscheinlich in den USA bauen werde.