Gerd Schultze-Rhonhof
21614 Buxtehude, den 12.01.2004
Die Schlacht am Waterberg im Jahre 1904
Zum hundertsten Jahrestag des Hereroaufstandes in Namibia erscheinen in vielen
deutschen Zeitungen Artikel. Nicht wenige davon berichten bedauerlicherweise von
einem Völkermord, den die deutsche Schutztruppe in der damals deutschen Kolonie
Süd-West-Afrika, dem heutigen Namibia, an dem Volk der Hereros begangen haben
soll. Hintergrund der Geschichte ist ein Aufstand der Hereros im Jahre 1904. Die
Hereros, ein Nomadenvolk, zogen damals, wie seit alters her, mit ihren Rinderherden
durch das nördliche Süd-West-Afrika. Sie gerieten dabei – wie auch seit alters her –
mit anderen schwarzen Völkern in kriegerische Auseinandersetzungen um
Weideland und Wasserstellen. Seit der Ansiedlung deutscher, englischer und
burischer Landwirte in der deutschen Kolonie kam hinzu, dass ihre Häuptlinge viel
Land an weiße Farmer verkauften und es trotzdem weiterhin als eigenes Weideland
nutzen ließen. So kamen zu den bis dahin üblichen schwarz-schwarzen
Auseinandersetzungen in „deutscher Zeit“ die schwarz-weißen.
In den Kriegen der angestammten afrikanischen Völker waren mal die Hereros
Sieger, mal andere. So kam es, dass das Volk der Hottentotten 1884 die deutsche
Kolonialverwaltung um einen Schutzvertrag gegen die Hereros bat. Unter dem
Schutz dieses Vertrages gingen die Hottentotten dann gegen die Hereros vor . Die
Folge war die Bitte der Hereros um einen gleichen Schutzvertrag. Doch auch damit
kehrte kein dauerhafter Friede in der deutschen Kolonie ein. Das Ganze hat
Parallelen zu den Streitigkeiten der Völker heutzutage auf dem Balkan, und die Rolle
der Schutztruppe von damals ist der der KFOR in manchem ähnlich. 1904
versuchten die Hereos, die Deutschen loszuwerden und ihr verkauftes Land dadurch
wiederzubekommen.. Im Januar des Jahres wurden 123 deutsche Siedler, Händler
und Soldaten umgebracht und dabei auch viele Angehörige des ebenfalls dort
lebenden Damara-Volkes. Die Schutztruppe versuchte daraufhin ein halbes Jahr
lang erfolglos, der Hereros in einem Buschkrieg Herr zu werden.1904 war ein
besonderes Trockenjahr. Die Hereros zogen sich deshalb im August mit ihren
Familien und mit den Viehherden auf noch frisches Weideland zurück, das sie östlich
des Waterbergs fanden, eines Bergmassivs im Landesinneren. Die Schutztruppe
versuchte nun, die Hereros dort einzukesseln und zu schlagen. Doch das misslang,
und die Hereros zogen nach Osten in die Kalahari-Steppe ab, wo sich ihre Spur
zunächst verlor. Das beschriebene Geschehen ist als die Schlacht am Waterberg in
die Geschichte eingegangen. Der Kommandeur der Schutztruppe meldete nach der
Schlacht, um seinen Misserfolg abzuschwächen, nach Berlin, dass die Hereros in der
Kalahari-Steppe verdurstet und umgekommen wären.
Bemerkenswert ist nun, was dazu in den Akten der britischen Kolonialverwaltung
aufgezeichnet ist. Die Führer der Hereros hatten sich schon lange vor der Schlacht
am Waterberg die Rückendeckung der britischen Kolonialverwaltung in den
benachbarten Gebieten eingeholt. Sie hatten dabei zugesagt, Landbesitz und Leben
der englischen und burischen Farmer bei den Kämpfen zu verschonen. Im Gegenzug
hatten sie sich für den Fall des Scheiterns ihres Aufstandes Asyl und Weideland in
Britisch-Betschuanaland zusichern lassen. So ist es auch gekommen. Nach der
Kesselschlacht am Waterberg zogen die Hereros mit Herden und Familien auf ihnen
bekannten Wegen, vorbei an den noch vorhandenen Wasserstellen durch die
Kalahari-Steppe nach Osten zu den Briten. Die Deutschen, die das damals für
unmöglich hielten, glaubten offensichtlich selbst an das Verdursten aller
abgezogenen Hereros in der dürren Kalahari.
Der Zug der Hereros durch die Steppe hat sehr viele Opfer an Menschenleben, an
Hab und Vieh gekostet. Die trockenen Weiden und das knappe Wasser konnten so
viele Menschen und so viel Vieh in so kurzer Zeit weder tränken noch ernähren. Die
Zahl der Toten wird sich nie klären lassen. Doch tauchen Wochen und Monate nach
der Schlacht große Zahlen von Hereros im deutschen Farmland wieder auf. Sie
erscheinen auf den Lohnlisten deutscher Farmer, in den Berichten der
Missionsstationen und der Polizei. Sie wandern in Gruppen bis zu Tausenden bei
ihren schwarzen Nachbarvölkern ein. Und 1930 werden sechstausend Hereros bei
einer Volkszählung im Betschuanaland registriert.
Nun ist die Flucht durch eine trockene Steppe noch kein Völkermord, auch wenn sie
viele Menschenleben gekostet hat. Dieser Vorwurf stammt aus zwei verschiedenen
Quellen. Die eine ist das Britische Blaubuch, das nach dem Ersten Weltkrieg die
„Unfähigkeit“ der Deutschen, ihre Kolonien zu verwalten belegen und die Übernahme
derselben durch die Engländer begründen soll. Die zweite entstammt der Feder
eines DDR-Historikers, der in den 60er Jahren die „verbrecherische Kriegsführung
der imperialistischen deutschen Kolonialtruppen“ anzuprangern hatte. Sein Vorwurf
lautet, dass die Schutztruppen die Hereros nach der Schlacht in die Kalahari
getrieben und vorsätzlich dem Verdursten preisgegeben hätten. Er belegt das mit
dem deutschen Operationsplan, der eine schwache Stelle im Einschließungsring
vorgesehen hätte, durch den die Hereros in die Steppe entweichen und in ihr
Verderben rennen sollten.
In dem Operationsplan ist jedoch ganz anderes zu finden. Nach diesem Plan waren
an der späteren Durchbruchsstelle besonders starke Kräfte vorgesehen, die jedoch
verspätet kamen und den Kessel nicht mehr schließen konnten. Der Auftrag an die
Truppe lautete außerdem: einschließen, niederkämpfen und entwaffnen. Nachdem
die Hereros dennoch durchgebrochen und entwichen waren, konnten die deutschen
Truppen zunächst nicht folgen. Erschöpfung und Krankheiten von Pferden und
Soldaten, und der Wassermangel erlaubten erst nach fünf Tagen, den Hereros
nachzusetzen. Damit hatte die deutsche Truppe ihren Auftrag nicht erfüllt. Sie hatte
die Hereros nicht bezwungen und entwaffnet. Sie hat sie auch nicht in die Steppe
getrieben.
Der Feldzug der Schutztruppe gegen die Hereros entsprang dem Bemühen, die
Massaker und Überfälle auf Deutsche und Damaras zu beenden. Das Ende dieser
Kämpfe war schicksalhaft für die Hereros. Viele überlebten, viele starben bei den
Gefechten, viele auf der Flucht. Das war kein Völkermord, und es war auch nicht
geplant.
Dieser Aufsatz ist ab dem zweiten Absatz eine Kurzfassung der Magisterarbeit von
OTL. a.D. Klaus Lorenz, geschrieben an der Universität Hamburg bei Professor Dr.
phil Leonard Harding. Die Kurzfassung stammt von Gerd Schultze-Rhonhof, dem
Autor des Buchs „1939, Der Krieg, der viele Väter hatte. - Der lange Anlauf zum