Für Siegerists Recherchen gibt es eine Vorlage: einen »offenen Brief«, mit dem der ehemalige Gestapo-Mann und Kriminalobersekretär August Naujock im Bundestagswahlkampf 1972 das deutsche Publikum beglückt hatte. Brandt habe, so behauptete damals der greise Naujock, »am 31. Januar 1933 in Lübeck in der Hundegasse« bei einer nächtlichen Keilerei zwischen Sozialdemokraten und SA-Leuten dem Zivilisten Willi Meinen »von hinten ein Klappmesser in den Rücken« gejagt. Meinen sei sofort tot gewesen, deshalb habe Brandt ins Ausland fliehen müssen.
Unionsfunktionäre schossen mit der willkommenen Wahlkampfmunition, doch bald schon mußten sich die Christdemokraten distanzieren. Naujock, so stellte sich heraus, war »wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit durch Beschluß des Landgerichts Hamburg (4713 64-1941 KNS 1-64) 1964 in die Heilanstalt Ochsenzoll eingewiesen und 1966 bedingt entlassen worden. Jahrelang bombardierte er dann allerlei Politiker mit krausen Beschuldigungen; dem damaligen Minister Horst Ehmke schrieb Naujock, der Kanzler trage Verantwortung für Morde mit geheimen Todesstrahlen.