Nun, das ist aber doch der Prozess politischer Willensbildung, dass jeder seine Einzelinteressen durchsetzen will. Also in der Realität jenseits des abstrakten Ideals. Die Interessengruppe ist doch der Gundbaustein von Gesellschaft. Die Frage ist nur, ob eine Interessengruppe, die politische Macht monopolisieren kann, die ihre Interessen dann als Interesse der Gesamtheit ausgibt, oder nicht - dann haben wir Demokratie.
Demokratie, als sie geboren wurde, war ja fuer seinesgleichen konzipiert, man ging zwar von geringfuegigen Meinungsverschiedenheiten aus, aber eben auch von einer einenden Interessengemeinschaft, was die Substanz anging. Gerade der relative Erfolg von Staaten mit 80 Mio Einwohnern zu existieren, auf Dauer, mit Immigration, birgt aber ein Problem in sich. Denn die lange Friedenszeit, die Vielfalt der politischen und kulturellen und religioesen Ideale entzieht diesem demokratischen Korpus die Substanz der Interessengemeinschaft. Ein Muslim wird in der Regel Schwule, Lesben, Feministinnen, Evangelikale, Auslaenderhasser, Rechte, Katholiken, und Konservative voellig ohne Verstaendnis und nur in Feindschaft begegnen. Das gleiche gilt fuer fast jede dieser Gruppen vis a vis die anderen. Man hasst sich viel mehr als man Gemeinsamkeiten hat. Und zwar weil gerade diese gemeinsame Substanz von der die Demokratie ausging, immer mehr verloren geht. Was koennen 80 Mio Menschen noch gemeinsam haben, wie Sloterdijk sagt?
So ein Etwas gab es nie. Jedenfalls nicht in Deutschland. Nach 1871 gab es die "Reichsfeinde", Polen, Sozialdemokraten, Katholiken, die Mehrheit der Bevölkerung, die man von der politischen Macht abgedrängt hatte. Das blieb im Prinzip so bis man das heutige System eingeführt hat. Und so 60-80 Mio waren es auch schon immer.
Es gab zu dieser Zeit sicher auch keine Demokratie, somit ist das irrelevant. Deutschland hatte eigentlich ja noch nie Demokratie, von den Germanischen Staemmen vor langer Zeit mal abgesehen. Deutschland leidet an einer gewissen Zerrissenheit, immer schon. Das ist richtig. Paradoxerweise gab es ein Maximum an Einheit unter der Diktatur, wo sich ja fast alles und alle dem Interesse der Aufruestung und Wiederherstellung Deutscher Reichsintegritaet beugte, nicht aus Furcht in der Mehrheit, sondern in der Mehrheit aus Ueberzeugung und Patriotismus. Allerdings hatten wir auch nach 1945 mit der neuen US Demokratie eine Interessengemeinschaft, als der Wiederaufbau das Grosse Ziel war. Jetzt allerdings gibt es keine solche vereinenden Umstaende, im Gegenteil, Aufbau Ost spaltet die Leute.
Die durch Wohlstand enstehenden Inseln der politischen und ideologischen Partikularitaet, Umweltschutz, Feministentum, Sexuelle Identitaetsabweichung, Autonome, Linke, Kommunisten, Amerikahoerigkeit, Liberalismus, Konservative Ideologie, usw, usw, diese spriessen und helfen nicht der Entwicklung einer substanziellen Einheit.
Und die Alternative der rechten Reichen-Diktatur wäre dem vorzuziehen?
Ich denke schon, aber auch das ist nicht der beste aller Wege, wie Aristoteles schon warnte.
Allerdings ist ein Politiker auf die Kapitalmärkte nicht prinzipiell angewiesen, er kann schließlich Geld drucken und Steuern kassieren. Aber da die Produktion ja bereits global organisiert ist, kann der nationale Politiker nicht mehr viel machen.
Aus der Verschwendungssucht der Staaten selbst, und der Abhaengigkeit von Kapital fuer den wirtschaftlichen Wettbewerb, sowie die Tatsache das die riesigen Sozialsystem auf Schulden aufgebaut werden, geht es hervor das Politiker vollkommen auf die Gunst der Glaeubiger, sprich Kapitalmaerkte, angewiesen sind.
Ich glaube nicht, dass eine dirigistische Wirtschaft mit "Gemeinwillen" gut beschrieben ist. Ein Konzern muss ja nur im Wettbewerb mit Asien bestehen, weil man, also die Politik, ihn diesem Wettbewerb aussetzt. Es ist ja gewollt, die billigen Lohnsklaven in Asien zu nutzen, damit wir billige Klamotten kaufen können. Damit wird natürlich der Arbeiter in der deutschen Textilindustrie arbeitslos. Im Prinzip könnte man das verhindern indem man auch den deutschen Arbeiter zu einem billigen Lohnsklaven macht. Die Frage ist, mit welcher Intention. Also: was soll da am Ende rauskommen.
Ein Konzern muss im Wettbewerb mit Asien bestehen weil er auch selber den Chinesichen Markt zB anzapfen will, und andere Weltmaerkte, das ist nicht nur von der Politik gewollt, auch vom Konzern selbst, zwecks Gewinnmaximierung. Du stellst aber genau die richtige Frage, was soll das Ziel sein? Fuer die Konzerne ist das Ziel klar, Maximaler Profit. Fuer die Politik auch, maximale Steuern. Fuer den Arbeiter auch, maximales Gehalt. Die Politiker haben das Glueck das ihr Ziel mit den beiden anderen Aktueren in Einklang ist. Fuer uns kann das Ziel entweder sein, genug Steuern das unsere Sozialsystem weiter erhalten bleiben, aber das scheint unerreichbar, oder maximale Steuersenkung damit Arbeiter und Konzerne besser auf sich selbst gestellt werden koennen. Wenn man den Arbeitern ein Maximalgehalt zahlt waere der Konzern sehr schnell bankrott, das werden Konzerne deswegen nie mitvertreten.
Das scheint mir relativ rational. Man kann nicht selber vorsorgen, der Rentner lebt immer von denen die noch arbeiten. Also braucht er ein Gesellschaftssystem, dass diese Umverteilung organisiert, von den Arbeitern zu den Nicht-Arbeitern. Ob das ein privat-wirtschaftlich oder staatlich organisiertes System ist, das ist gehupft wie gesprungen. Ein Staat kann bankrott machen, aber eine Renten-Versicherung auch. Und da Rentenversicherungen gerne in Staatsanleihen investieren, wird es sie im Fall eines Staatsbankrotts vermutlich auch erwischen. Wenn man sieht, dass der Staatsbankrott von Griechenland die europäische Finanzwirtschaft in ihrer Substanz bedroht - was passiert wohl wenn Deutschland bankrott macht?
Ein Bankrott eines Staates ist etwas voellig anderes als die Insolvenz einer Privatperson. Niemand kann mit Gewalt die Schulden Deutschlands eintreiben, was passieren wuerde ist schlicht das die Kapitalmaerkte Deutschland keine Kredite mehr geben. Das Deutsche Sozialsystem sowie die Deutsche Wirtschaft, die ja auf Kredite angewiesen ist, wuerden zusammenbrechen. Man koennte wieder aufbauen, aber dann natuerlich sehr viel bescheidener als vorher, zwecks Mittellosigkeit.
Dieser Bankrott muss also auf jeden Fall vermieden werden.
Hm, aber wie soll die aussehen? So eine Art Riester-Rente?
Ich fuerchte man sieht das schon in Ungarn. Wenn die Mittelschicht sich politisiert wird sie in der Regel faschistisch, denn die Schwachen, wie auch die Oberschicht, sind dann von geringem Interesse. Rentenmaessig kann es nur Reduzierung geben, weil das Demographieproblem unsere Hand forciert. Der Staat wird weiter versuchen zu helfen, aber dazu nicht mehr lange in der Lage sein, die Leute werden auf sich selbst gestellt sein. Wie in Singapur. Da ging die Welt nicht unter.